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Zusammen – und doch getrennt

Markus Rehm kann springen, soweit er will. Deutscher Meister wird er in diesem Jahr nicht.

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© dpa

Von Michaela Widder, Nürnberg

Es ist eine Krux. Da tritt Markus Rehm als Deutscher Meister gestern Abend auf dem Hauptmarkt in Nürnberg an, springt mit 8,11 Metern am weitesten, aber seinen Titel verteidigen, kann der unterschenkelamputierte Weitspringer nicht. Weil er in diesem Jahr außer Konkurrenz startet. Fabian Heinle, der acht Zentimeter kürzer als Rehm springt, ist erstmals Deutscher Meister. „Ich wollte über acht Meter springen und am liebsten die Tagesbestweite. Das habe ich in tollen Wettkampf geschafft“, sagte Rehm.

Bis vor einem Jahr kannte den Leverkusener kaum einer. Doch dann verblüffte er in Ulm mit einem Satz auf 8,24 Meter, der Meisterschaftsgold bedeutete – bei den Nicht-Behinderten. Damit hatte Rehm gleichzeitig auch eine riesige Debatte über mögliche Vorteile einer Prothese ausgelöst.

Davon etwas überrumpelt befand sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) plötzlich in der Zwickmühle, denn Rehm hatte mit seiner Weite die EM-Norm unterboten. Man nahm ihn trotzdem nicht mit nach Zürich, denn bei einer ersten biomechanischen Analyse stellte sich heraus: Die Sprünge auf Karbonstelzen ließen sich nicht vergleichen mit denen auf zwei gesunden Beinen. Ein Vorteil beim Absprung ist wahrscheinlich, aber längst nicht bewiesen. Über den Nachteil einer geringeren Anlaufgeschwindigkeit (Rehm: „Es ist immer ein Kompromiss am Bein“) wird dagegen kaum diskutiert.

Auch ein Jahr später gibt es dazu keine endgültige Aussage. Ein umfangreiches wissenschaftliches Gutachten steht noch aus, soll laut Gerhard Janetzky, dem Inklusionsbeauftragten im DLV, aber vorangetrieben werden. „Ich habe schon länger keinen Kontakt mehr zum DLV. Ich hoffe, dass wir uns demnächst gemeinsam an einen Tisch setzen, dass ich mich einbringen kann und dass es eine Lösung für die Zukunft gibt“, sagt Rehm. Bis dahin muss er mit einer Zwischenlösung leben – und die heißt: gemeinsamer Wettkampf, getrennte Wertung. Dafür hat der Verband extra einen neuen Paragrafen ins Regelwerk aufgenommen, der auch möglicherweise international diskutiert werden wird. „Ich habe gehört, dass der DLV dazu einen Antrag beim Weltverband einreichen will.“ Für die WM in einem Monat wird ein gemeinsamer Wettkampf noch nicht möglich sein. „Aber vielleicht dann für die nahe Zukunft. Mein großer Wunsch wäre“, meint Rehm, „dass ich bei Olympia starte und dort meinen Sport präsentieren kann – gern auch in getrennter Wertung.“

Rehms Anliegen ist nicht allein die persönliche Performance, sondern er sieht in Wettbewerben wie gestern in Nürnberg „eine große Chance, den paralympischen Sport weiter bekannter zu machen“. Dort gehen dem Orthopädiemechaniker zunehmend die Konkurrenten aus, erst kürzlich hat er in seiner Startklasse den Weltrekord auf 8,29 Meter verbessert. Damit wäre er Jahresbester in Deutschland – hätte er zwei gesunde Beine.

Ob er seinen Meistertitel aus dem Vorjahr behalten darf, ist noch nicht mal endgültig geklärt. Im November, mehr als drei Monate nach den Meisterschaften, hatten sechs von sieben Konkurrenten Beschwerde gegen seine Wertung eingereicht. Rehm ist darüber ein wenig enttäuscht. „Na ja, ich hätte mir ein direktes Gespräch unter allen Beteiligten gewünscht und es gerne direkt beziehungsweise nicht über Dritte erfahren.“ Nur der damals zweitplatzierte Christian Reif, der mittlerweile seine Karriere beendet hat, machte in dieser geheimen Angelegenheit nicht mit.