Zwangspause für James Bond und Dresdner TV-Kommissare

Von Martin Schwickert und Oliver Reinhard
Sie spielten, bis sie nicht mehr durften. In den letzten Tagen hatten Deutschlands Kinos ihre Säle nur unter besonderen Bedingungen für das Publikum geöffnet. Auch im Riesaer Capitol, im Bautzner Filmpalast und im kleinen Dresdner Thalia waren die Hygienevorkehrungen erhöht worden, vielerorts gab es Tickets nur noch für einzelne Plätze, mindestens ein Sitz dazwischen musste frei bleiben. Jetzt ist auch das vorbei, der Shutdown für die Lichtspielhäuser da.
Doch die Zukunft ist nicht für die Kinos so offen wie der Himmel über der Prärie in einem Spätwestern. Die ganze Filmbranche liegt mehr oder weniger still. Überall werden fest eingeplante Produktionen mitten im Arbeitsprozess unterbrochen, Dreharbeiten von Filmen und Serien ausgesetzt, Teams nach Hause geschickt.
Das geschah auch in Sachsen, etwa bei den Aufnahmen zum Dresden-„Tatort – Rettung so nah“, dem Dokumentarfilm „Maria Zwetajewa – Über Deutschland“ in Dresden-Loschwitz und mit dem Dreh des großen TV-Events „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ in Leipzig. Nur solche Projekte, die bereits abgedreht und in der Postproduktion in kleinen Studios nun geschnitten, vertont und vollendet werden, laufen noch weiter, bis auch sie fertig sind.
Verlegung vieler Filmstarts
Ausgerechnet James Bond war als erster vor Corona eingeknickt. Schon am 5. März ließen das Filmstudio Universal Pictures gemeinsam mit den Produzenten Michael Wilson und Barbara Broccoli und der Filmproduktionsfirma MGM verlauten, dass das 25. Agentenabenteuer nicht wie geplant am 2. April, sondern erst am 12. November starten würde.
Die Entscheidung sei nach „sorgfältiger Evaluation“ getroffen worden. Das hatte nichts mit seherischen Fähigkeiten zu tun, sondern mit einer nüchternen Betrachtungsweise. Denn die asiatischen Märkte, die für Action-Produktionen dieser Größenordnung entscheidend sind, waren im Zuge der Corona-Krise schon längst zusammengebrochen. Damals lächelte noch manch einer süffisant darüber, dass ausgerechnet ein Film, der sich „Keine Angst zu sterben“ nennt, auf maximalen Sicherheitsabstand zur Krise ging.
Gut zwei Wochen ist das erst her. Aber in einer Zeit, in der jeder Tag Ereignisse produziert, die man gestern noch für unmöglich hielt, erscheint es wie eine Ewigkeit. Ende letzter Woche überschlugen sich auch für die Film- und Kinobranche die Ereignisse mit ungeahnter Rasanz.
Fast im Zehn-Minuten-Takt landeten die Pressemitteilungen im E-Mail-Postfach, in denen die Verlegung der Filmstarts für die nächsten Wochen absagt wurde. Die Studioproduktion „A Quiet Place 2“ hatte im Gegensatz zu anderen Hollywoodfilmen bis dahin noch am Start für diese Woche festgehalten. Regisseur John Krasinski vertröstete am Donnerstag via Twitter höchstpersönlich die Fans, die es verdient hätten, das heiß erwartete Horrorfilm-Sequel „alle zusammen“ anzuschauen.
Am nächsten Tag folgten auch die kleineren Independent-Produktionen: Christian Petzolds „Undine“ war für den 26. März., der Berlinale-Erfolg „Berlin Alexanderplatz“ für den 16. April terminiert, beide werden nun erst im Sommer starten. Frühestens. Gerade die kleineren Verleihe und Arthaus-Kinos hatten gehofft sich mit großen Sitzabständen und der Unterbelegung ihrer Kinosäle über die Krise hinwegzuretten. Aber auch das ist nun nicht mehr möglich.
Gerangel um die Starttermine
Was bedeutet das für die Film- und Kinobranche in Deutschland? Am härtesten trifft es zunächst natürlich die kleineren Arthaus-Kinos, die anders als die großen Ketten über wenig Rücklage-Ressourcen verfügen. Ihnen wird kaum anderes übrigbleiben, als auf die versprochenen staatlichen Hilfestellungen zurückzugreifen. Doch selbst wenn die Kinos in einem oder zwei Monaten wieder öffnen dürfen, bleibt es für die Filmbranche schwierig. Wöchentlich drängen im Schnitt acht bis zehn Neustarts in die Kinos, und nach der verordneten Pause wird das Gerangel um die Starttermine losgehen.
Besonders schwer tun sich die internationalen Großproduktionen mit der postpandemischen Terminfindung. Sie starten ihre Filme immer weltweit am selben Tag. Aber auch wenn in Deutschland und Europa der Spuk im Juni vorbei sein sollte, kann das in den USA und Lateinamerika ganz anders aussehen. Normalerweise halten solche Blockbuster-Produktionen auch einen gewissen Sicherheitsabstand zueinander. Thematisch ähnlich gelagerte Comic-Verfilmungen wie „Black Widow“ und „Wonder Woman“ werden selten im selben Monat in die Multiplexe eingespeist. Auf der anderen Seite sind hier riesige Investitionen getätigt worden, deren Finanziers nun auf ihre Amortisierung warten.
Streaming-Dienste profitieren
Aber was für die Großen gilt, gilt natürlich auch für die Kleinen. Die zahlreichen Independent-Produktionen graben sich ohnehin schon viel zu oft im schrumpfenden Zuschauermarkt das Wasser ab und mit einer noch größeren Ballung könnte eine Konkurrenz entstehen, in der alle Beteiligten verlieren.
Der Filmverleih Entertainment One zeigt sich optimistisch und will seinen „Berlin Alexanderplatz“ schon am 21. Mai in die hoffentlich wiedereröffneten Kinos bringen. „Undine“ hat sich auf dem 11. Juni positioniert, während die Großproduktionen in Hollywood wahrscheinlich noch auf Sicherheit gehen. „Bleibt gesund und vergesst uns nicht“, schreibt die Berliner „Yorck“-Kino-Gruppe ihren Newsletter-Abonnenten zum vorläufigen Abschied.
Dahinter steckt noch eine andere Angst: Die Schließung der Kinos treibt die Zuschauer scharenweise in die Arme der Streaming-Dienste, deren Konkurrenz viele Lichtspielhäuser ohnehin schon während der letzten Jahre in existenzielle Nöte brachte. Die Befürchtung, dass das Publikum nicht den Weg in den Kinosaal zurückfindet, erscheint berechtigt.
Doch es gibt auch eine optimistischere Vision der nahen Zukunft: Gerade jetzt zeigt sich, wie sehr die Menschen das soziale, vergnügliche Miteinander brauchen. Vielleicht lernen sie, durch den erzwungenen Verzicht das Kino als sozialen Ort gemeinsamer Rezeption neu zu schätzen. Vielleicht drängen sie nach wochenlangem Netflix-Konsum auf der heimischen Couch wieder nach draußen.
Vielleicht bilden sich dann lange Schlangen vor den Kinokassen, in denen munter und ohne Sicherheitsabstand miteinander parliert wird. Vielleicht lassen sich dann alle mit einem Seufzer in den Kinosessel fallen und spüren, während es langsam dunkel wird im Saal und der Vorhang sich öffnet, dass gutes Kino zum guten Leben einfach dazugehört.