Von Carola Gerlach
Nicht-Fußball-Begeisterten stehen harte Zeiten bevor. Vom frühen Morgen bis zum Nachmittag rollt in den nächsten Wochen der Ball. In natura bei der WM in Japan und Südkorea, über die Mattscheibe sicherlich auch in vielen Görlitzer Haushalten.
Wenn die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr erstes Vorrundenspiel gegen Saudi Arabien bestreitet, werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch zwei Görlitzer mit auflaufen. Dass Jens Jeremies ein waschechter Görlitzer ist, der seine Herkunft bei keinem Interview dank seines schlesischen Zungenschlages verleugnet, weiß fast jeder. Aber auch die Wiege von Mittelfeld-As Michael Ballack stand vor 25 Jahren an der Neiße.
Ein Blick ins Telefonbuch verrät, dass wenigstens noch vier Ballacks hier zu Hause sind, obwohl der Michael mit seinen Eltern schon im Kleinkindalter nach Chemnitz gezogen ist. Detlef und Ruben Ballack sind zwar „irgendwie über den Großvater verwandt“, haben aber keinen Kontakt mehr zum prominenten Familienmitglied.
Bei „Jerry“ ist das ganz anders. Der Bayern-Stammspieler lässt sich regelmäßig in seiner Heimat blicken und unterstützt auch die Jugendmannschaften seines Vereins NFV Gelb-Weiß. Der E-Jugend-Trainer Horst Jank bekommt jedes Jahr Weihnachten Besuch von seinem Schützling, dem er vor mehr als 20 Jahren das Fußball-ABC beigebracht hat. Mit 13 Jahren musste Hans Ermlich, der C-Jugend-Trainer, seinen talentierten Spieler nach Dresden ziehen lassen. Und jetzt steht der Schwarzschopf, dessen Eltern immer noch in Görlitz wohnen, vor seiner größten Herausforderung, der WM-Teilnahme. Trainer Ermlich traut der Deutschen Nationalmannschaft alles zu, „vom Ausscheiden in der Vorrunde bis zum Gewinn der Weltmeisterschaft“. Den Neu-Bayern Ballack sieht er als möglichen Gewinner des Turniers. „Michael könnte die Lichtgestalt des deutschen Fußballs werden.“
Ob das gelingt, davon werden sich bestimmt viele Fans in den nächsten Wochen am Bildschirm überzeugen. Da die Live-Übertragungszeiten wegen der Zeitverschiebung in Japan und Südkorea für deutsche Arbeitnehmer eher ungünstig sind, muss nach Alternativen gesucht werden. Die von Politikern ins Spiel gebrachte Kulanz der Firmenbosse, Spiele während der Arbeitszeit schauen zu dürfen, spielt in Görlitz keine Rolle. Bei den größten Arbeitgebern in Görlitz, Bombardier und Landskron, gab es von Mitarbeitern überhaupt keine Anfragen, versichert die Firmenleitung. „Jeder Einzelne weiß, dass er für die Produktion und Verwaltung sehr wichtig ist. Die Interessierten werden sich die betreffenden Spiele per Videorecorder aufzeichnen und nach getaner Arbeit gemütlich im Familien- oder Freundeskreis anschauen“, vermutet Sonja Schilg, die Brauerei-Geschäftsführerin. Dass dabei traditionell ein „kühles Blondes“ dazugehört, lässt die Landskronbrauerei optimistisch in die nächsten Wochen schauen.
Einen ganz tollen Arbeitsplatz in der Beziehung hat Frank Ahrens. Gemeinsam mit seinen 25 Mitarbeitern könnte er als „Expert“-Filialleiter im neuen City-Center den ganzen Tag „in die Glotze schauen“. 80 verschiedene Fernseher aller Größen und Marken hat der Elektronik-Anbieter ausgestellt. „Unsere Kunden können sich gern den ganzen Tag vor unsere Geräte stellen und die Weltmeisterschaftsspiele verfolgen. Das gilt natürlich nicht für die Angestellten.“
Ganz große Fußball-Enthusiasten schauen sich die Spiele sowieso nicht vor dem heimischen Fernseher oder in der Kneipe um die Ecke an, sondern fliegen ins Land der aufgehenden Sonne. „Diese Reisen sind aber sehr teuer gewesen“, gibt Elke Richter vom gleichnamigen Reisebüro zu bedenken. Ihr sei kein einziger Fall einer Buchung bekannt.