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Wegen Pistole: Russen erschießen Familie

Der 8. Mai 1945 brachte in Kottmarsdorf viel Leid mit sich. Ein Bauer notierte tragische Einzelschicksale und bewahrte sie der Nachwelt.

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Die Ortsmitte von Kottmarsdorf mit der evangelischen Kirche um 1935. Zehn Jahre später wurde am Turm die weiße Fahne gehisst. Weil Durchhalte-Kämpfer die Flagge wieder einholten, kam es zum Beschuss.
Die Ortsmitte von Kottmarsdorf mit der evangelischen Kirche um 1935. Zehn Jahre später wurde am Turm die weiße Fahne gehisst. Weil Durchhalte-Kämpfer die Flagge wieder einholten, kam es zum Beschuss. © Sammlung Bernd Dreßler

Am 8. Mai kam der furchtbarste Tag für unser Dorf. Früh 7 Uhr verließ ein Teil der Bewohner mit Pferd- und Kuhgespannen und vielen Handleiterwagen, auf denen die wichtigsten Habseligkeiten verstaut waren, das Dorf. Das Ziel der Trecks war Böhmisch Kamnitz (heute Ceska Kamenice). Die Zurückgebliebenen überließen sich ihrem Schicksal.

Der Vormittag verlief ganz ruhig. Als gegen Mittag die Russen sich näherten, hingen beherzte Männer die weiße Flagge auf den Kirchturm und an die beim Kretscham stehende Panzersperre, als Zeichen der Ergebung. Jedoch wurden kurze Zeit danach die Fahnen von denen, die das Dorf verteidigten, wieder heruntergeschossen oder heruntergerissen. Gegen 12.30 Uhr lag das Dorf unter Beschuss. Die noch im Ort verweilenden Bewohner flüchteten bis auf wenige in die nahen Wälder. Beim Beschuss fanden die 92-jährige Anna Belger, die älteste Einwohnerin, und der fast erblindete Rentner Hermann Belger durch Granatsplitter den Tod. Auch erhängte sich der erkrankte, jedoch bis ins hohe Alter rüstige und lebensfrohe 85-jährige Auszügler Ernst Geißler. 

In Massengrab beigesetzt

Unter dem Beschuss hatten etliche Grundstücke, aber auch die Kirche, gelitten. Zum Glück sind keine Brandruinen entstanden. Gegen 8 Uhr abends hatten die Russen das Dorf erreicht und schlugen die Richtung nach dem Sudetenland ein. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai war Waffenstillstand. Am 9. Mai kehrten die ersten Flüchtlinge aus den Wäldern und Büschen wieder zurück. Es wurden Hausdurchsuchungen nach Waffen von den Russen vorgenommen. Die Bauersfamilie Schnitter wurde im Hausflur erschossen, weil sie einen von ihrem in Russland gefallenen Sohn mitgebrachten Stalingrad-Revolver als Andenken aufbewahrt hatte.

Am 10. Mai wurden die Leichen der bei der Flucht durch Herzschlag verstorbenen 15 Jahre alten Christa Günther, der durch Granatsplitter verstorbenen Anna und Hermann Belger und der auf tragische Weise ums Leben gekommenen Familie Schnitter (Mutter, Vater und die 40 Jahre alte Tochter) mit vier gefallenen deutschen Soldaten in einem Massengrab in aller Stille auf dem Friedhof beigesetzt. Ernst Geißler dagegen wurde in einem Erdbegräbnis bestattet. Sein Sohn hatte sein Grab selbst gegraben.In den folgenden Wochen kamen viele russische und polnische Soldaten durchs Dorf, welche räuberten und plünderten und Vieh abtrieben, sodass von den alten Pferdebeständen nur noch eins vorhanden war. Es wurde lange Zeit im Busche versteckt gehalten. Am meisten hatten unter den Viehabtrieben die großen Wirtschaften zu leiden. Schweine gab es nur noch wenige, desgleichen auch Federvieh. Viel zu leiden hatten auch die jungen Frauen und Mädchen.

Aus Aufzeichnungen des Bauern Richard Wolf. Die Rechtschreibung wurde nicht heutigen Regeln angepasst.

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