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Zwischen Gedenken und Geheimniskrämerei

Am 1. Dezember 2014 explodierte das Chemiewerk in Pirna-Neundorf. Noch immer sind Fragen offen.

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© Steffen Unger

Von Mareike Huisinga und Heike Sabel

Pirna. Ruhig und beschaulich liegt Pirna-Neundorf im Tal. Viele Fenster sind mit Lichterketten weihnachtlich geschmückt, Passanten holen sich Brötchen beim Dorfbäcker, man hat Zeit für einen Plausch. Das war vor zwei Jahren auch so. Bis am frühen Abend eine verheerende Explosion auf dem Gelände der Chemiefabrik Schill & Seilacher die Weihnachtsidylle beendete.

Die Herstellung eines neuen Flammschutzmittels geriet damals außer Kontrolle, ein Mitarbeiter starb und vier wurden schwer verletzt. „Man denkt immer daran, besonders wenn wieder einmal ein Fehlalarm auf dem Gelände der Chemiefabrik ausgelöst wird“, sagt Thomas Huth, der ein Autohaus in Pirna-Neundorf besitzt. Erst vor knapp zwei Monaten sei dies wieder geschehen. „Mehrere Feuerwehrfahrzeuge rückten mit Blaulicht an. Dann sind sofort wieder die schlimmen Bilder von damals im Kopf“, sagt der Geschäftsmann. Sein Unternehmen liegt nur 150 Meter von der Chemiefabrik entfernt.

Unmittelbar daneben befindet sich das Grundstück der Dietrichs. Ihr Haus wurde vor zwei Jahren so stark beschädigt, dass sie zunächst für ein paar Tage und dann für die Zeit der Sanierung ausziehen mussten. Trümmer lagen damals im ganzen Garten verstreut. Erst im Sommer dieses Jahres konnten die Dietrichs wieder zurück.

Nach der Explosion 2014 hatte sich die Bürgerinitiative Pirna-Neundorf gebildet, der auch Thomas Huth angehört. „Wir fordern nach wie vor, dass die Produktion von gefährlichen Stoffen nicht wieder aufgenommen wird “, sagt Huth. Das Unternehmen stand nach dem Unglück rund sechs Monate still. Im Mai 2015 war eine Misch- und Emulgieranlage wieder hochgefahren worden. Anfang dieses Jahres genehmigte die Landesdirektion Dresden dann die Inbetriebnahme einer Anlage zur Produktion von Phosphorsäureester. Inzwischen überwacht der Landkreis den Betrieb des Chemiewerkes.

Die Mitglieder der Bürgerinitiative beantragten schon vor Längerem Akteneinsicht, um zu erfahren, welche Produkte ganz konkret derzeit bei Schill & Seilacher hergestellt werden. „Wir hoffen, dass unserem Anliegen zeitnah stattgegeben wird“, sagt Huth. Außerdem kritisieren die Mitglieder die teils starke Geruchsbelästigung, die von dem Werk ausgehe.

Huths Meinung ist klar: „Ich denke, diese Fabrik gehört nicht in die Dorfmitte, da keine Abstandsflächen zur Wohnbebauung gewahrt werden.“ Er weiß aber auch, dass nicht alle im Dorf so denken. „Manche sind der Ansicht, dass das Werk ungefährlich ist. Sie wohnen allerdings auch nicht in unmittelbarer Nähe der Anlage.“ Die Dietrichs schauen ständig auf sie.

Blumen für die Nachbarn

Um des toten Mitarbeiters zu gedenken, lädt die Bürgerinitiative am 1. Dezember um 17.30 Uhr zu einer Zusammenkunft auf dem Gelände des Autohauses in der Ortsmitte ein. Ein solches Treffen fand bereits am Jahrestag des Unglücks im vergangenen Dezember statt. Damals stellten die Teilnehmer Kerzen am Werkstor auf. „Wir wurden jedoch von der Polizei aufgefordert, diese unverzüglich wieder zu entfernen. Deshalb ist diesmal keine solche Aktion geplant“, sagt Thomas Huth.

Im Unternehmen selbst gibt es am Mittwoch eine kleine interne Veranstaltung bzw. Versammlung. Was sich dahinter verbirgt, ob es Informationen zur weiteren Zukunft gibt, ob des toten Kollegen gedacht wird – alles geheim. Man wolle verhindern, von der Presse „belagert“ zu werden.

Das Unternehmen hat trotz Geschäftsführerwechsels in Sachen Öffentlichkeitsarbeit offenbar nicht viel gelernt. Nach der Explosion vor zwei Jahren kamen Stellungnahmen nur spärlich, und nach wie vor gibt es viele offene Fragen. Auf Antworten warten nicht nur die Neundorfer. Der Chef habe dieses Jahr keine Zeit mehr, mit der Presse zu sprechen, lautet die knappe Antwort auf eine Anfrage der SZ. Im Sommer schickte er den Dietrichs Blumen zum Wiedereinzug. Auch für sie bleibt die Angst, die nur durch sachliche Informationen ausgeräumt werden könnte.

Für die Familie ist dieses Weihnachten ein besonderes. Nach einem Fest im beschädigten Haus und einem in der Übergangswohnung können sie nun wieder zu Hause feiern. Am 1. Dezember wird traditionell der Weihnachtsschmuck angebracht. Gegen 17.20 Uhr wird es auch bei ihnen für einem Moment ganz still sein. Es ist die Zeit, als die Explosion sie vor zwei Jahren aus der weihnachtlichen Idylle riss.