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Afghanistan braucht Hilfe, kein Militär

Das Demokratie-Experiment am Hindukusch ist gescheitert. Wegsehen ist keine Option. Aber nötig ist nun ein grundlegend neuer politischer Ansatz.

Von Frank Grubitzsch
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Menschen werden aus Kabul evakuiert.
Menschen werden aus Kabul evakuiert. © ZUMA Press Wire Service

Es ist eine Tragödie, die vorhersehbar war – nicht erst seit dem raschen (manche sagen überstürzten) Abzug der Bundeswehr und der Soldaten anderer Nato-Staaten. Schon Wochen vorher gab es Indizien dafür, wie es um Macht und Einfluss der afghanischen Regierung tatsächlich steht. Die Bundesregierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht rechtzeitig Vorkehrungen für den schlimmsten Fall getroffen zu haben. So wird die Evakuierung von Botschaftspersonal und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen zu einem gefährlichen Unternehmen, bei dem Bundeswehr-Soldaten erneut ihr Leben riskieren müssen. Nur deshalb, weil die Politik zu leichtgläubig war, lieber beschönigenden Lagebeschreibungen folgte, als auf deutliche Warnungen zu hören. Und was aus den Ortskräften wird, ist für die meisten von ihnen weiter unklar.

Wenn etwas überraschend war, dann das Tempo des Vormarschs der Taliban-Milizen. Dass Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium und Geheimdienste mit ihren Fehleinschätzungen nicht allein standen, ist ein schwacher Trost.

Schon in den Zeiten, als noch Hamid Karsai im Präsidenten-Palast regierte, meinten Spötter, die Macht des „Königs von Kabul“ reiche bestenfalls bis an die Peripherie der Hauptstadt. Das allein sagt viel, wenn nicht alles. Das Land ist riesig, War die neue Ordnung nichts weiter als ein Potemkinsches Dorf – eine schöne Kulisse ohne stabile Stützen?

Fremd gebliebenes Staatswesen

Karsais politische Erben haben mit Korruption und Vetternwirtschaft nicht nur Vertrauen und Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Sie haben den Regierungsapparat in ein morsches Gebilde verwandelt, das beim ersten starken Gegenwind in sich zusammenfiel. Afghanistans Armee war zwar mit 300.000 Mann zahlenmäßig den Taliban-Milizen deutlich überlegen. Und trotz moderner Waffen und solider Ausbildung fehlte den Soldaten der Regierungstruppen ein wichtiges Gut: die Motivation, ein Staatswesen zu verteidigen, das ihnen – wie den meisten Afghanen – fremd geblieben war.

Afghanistan liefert ein bitteres Lehrstück für die westlichen Staaten. Gescheitert ist ihr Versuch, ein anderes Gesellschaftsmodell in Afghanistan zu etablieren. Wenn Kanzlerin Angela Merkel nun von „nicht erfolgreichen Bemühungen“ spricht, dann klingt das eher beschönigend. Denn für das Demokratie-Experiment am Hindukusch setzten in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrere Tausend Bundeswehr-Soldaten ihr Leben aufs Spiel. 59 von ihnen kehrten nicht zurück.

Müssen sich Regierungen in Washington, London und Berlin nun endgültig von dem Ziel verabschieden, politische Verhältnisse in anderen Teilen der Welt nach ihren Maßstäben und Moralvorstellungen zu verändern? Auch wenn es schwerfällt, sich das Scheitern einzugestehen: Es bleibt keine andere Wahl. Einem fremden Land die Demokratie nach westlichem Vorbild von außen überzustülpen, funktioniert nicht – erst recht nicht in einer archaischen, weitgehend von Stämmen dominierten Gesellschaft mit anderer Religion, Kultur und Tradition.

In Kabul kommt es seit Tagenzu Chaos am Flughafen.
In Kabul kommt es seit Tagenzu Chaos am Flughafen. © AP

Heißt das zwangsläufig, dass die Menschen in Afghanistan nun verloren und für immer ohne Perspektive sind? Ausgeliefert dem Willen radikaler Islamisten, die politische Freiheiten drastisch einschränken, die Scharia zum allein gültigen Gesetz erheben und Frauen wieder unter die Burka zwingen? Gegen die Rückkehr zu den alten Verhältnissen vor der US-Invasion von 2001 sprechen zwar die moderaten Töne einiger Taliban-Sprecher. Doch ihren Zusicherungen zu glauben, fällt schwer – angesichts der Gräueltaten, die ihre Kämpfer verübt haben.

Bedeutet das, künftig tatenlos zuzusehen, wie Gewaltherrscher jeglicher Couleur ihre Völker drangsalieren? Müssen wir die Menschen in Afghanistan und anderswo ihrem Schicksal überlassen?

Wegschauen ist keine akzeptable Alternative. Doch gebraucht wird ein grundlegend neuer politischer Ansatz. Das setzt voraus, dass die deutsche Politik – und nicht nur sie – das Afghanistan-Engagement offen und ehrlich aufarbeitet.

Zivilgesellschaftlicher Ansatz

Die Absicht, den Dauerkonflikt am Hindukusch nach mehr als vier Jahrzehnten zu beenden und das Land zu stabilisieren, war richtig; die Methode indes untauglich. Wer versucht, diese Ziele vorrangig mit militärischen Mitteln durchzusetzen, wird scheitern. Das Vorgehen der US-Armee gegen Terroristen und vermeintliche Unterstützer kostete Tausende unschuldige Zivilisten das Leben. In den Augen vieler Afghanen blieben die selbst erklärten Beschützer vor allem eines: fremde Besatzer.

Wer den Menschen in Ländern wie Afghanistan, Mali oder Somalia wirklich helfen will, braucht einen zivilgesellschaftlichen Ansatz. Solange dort bittere Armut und Unterentwicklung, wirtschaftliche Chancenlosigkeit und das Gefühl kultureller Überfremdung herrschen, haben radikale Islamisten leichtes Spiel.

Mit Waffengewalt ist ihnen auf Dauer nicht beizukommen. Man muss ihnen den Nährboden entziehen, auf dem ihre Ideologie gedeiht. Das hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn es die westliche Welt nicht bei Almosen und Nothilfeaktionen belässt, sondern den Menschen echte Lebensperspektiven und Entwicklungschancen ermöglicht. Wer weiter stur Militäreinsätzen vertraut, wird irgendwann das nächste Debakel erleben.