Von Robert Birnbaum, Cordula Eubel, Maria Fiedler, Albert Funk, Heike Jahberg, Hans Monath, Jost Müller-Neuhof, Ralf Schönball, Paul Starzmann und Jens Tartler
Die Ampel ist gestartet. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hat 177 Seiten. Die Liste der Vorhaben, die dort angekündigt sind, ist lang. Manches ist recht konkret benannt, andere Projekte werden nur angekündigt, ohne dass Details auftauchen. Aber die Ampel-Koalition, geführt von Bundeskanzler Olaf Scholz, hat sich einige vorgenommen. Nicht zuletzt die Modernisierung und Digitalisierung des Landes, eine neue Ära beim Klimaschutz, alles sozial abgefedert. Doch die neue Regierung kann nicht mehr so aus dem Vollen schöpfen wie die große Koalition seit 2013: Wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ist die Finanzlage nicht mehr so freundlich.
Finanzen
Christian Lindner ist in der Wilhelmstraße eingezogen, wo das Bundesfinanzministerium seinen Sitz hat. Dort muss er ganz akut zwei Projekte angehen: den geplanten Nachtragshaushalt für 2021 und den regulären Etat für 2022. Der Nachtrag wird nötig, um eine Vereinbarung der Koalition umzusetzen. Vorgesehen ist nämlich, ungenutzte Kreditermächtigungen aus dem laufenden Jahr zu nutzen, um damit den großen Klima- und Transformationsfonds auszustatten, der in den kommenden Jahren für Investitionen genutzt werden soll. Am Freitag kündigte Lindner an, dass dafür 60 Milliarden Euro vorgesehen sind. „Das ist ein Booster für die deutsche Wirtschaft“, sagte er.
Der reguläre Bundeshaushalt für das kommende Jahr liegt bisher nur im Entwurf vor, den das alte Groko-Kabinett im Juni beschlossen hatte. Er muss nun an die Beschlüsse der Ampel angepasst werden. Und dann beginnt für Lindner schon die Arbeit am Bundeshaushalt für 2023, dessen Eckwerte im März vorliegen sollen.
Steuerpolitisch ist wenig zu erwarten – hier hat die neue Koalition bekanntlich wenig beschlossen, abgesehen von den „Superabschreibungen“ für investitionswillige Unternehmen oder einem höheren Sparerfreibetrag. Lindners FDP hat immer dafür geworben, den Etat sozusagen auszumisten – also zu schauen, wo Spielräume sind. Das dürfte der neue Finanzminister nun ebenfalls angehen.
Wirtschaft und Klimaschutz
Als Minister für Wirtschaft und Klimaschutz muss Robert Habeck einen Schnellstart hinlegen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Ampel sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2030 soll der Anteil im Strommix auf 80 Prozent verdoppelt werden. Zum einen sollen mehr Windparks auf Nord- und Ostsee gebaut werden. Aber auch an Land soll der Anteil der Windkraft deutlich steigen: Zwei Prozent der Flächen sollen für Windenergie ausgewiesen werden – das wäre eine Vervierfachung gegenüber heute. Um Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen (die zuletzt oft mehrere Jahre dauerten), strebt die Koalition einen Pakt mit den Ländern an. Mehr Tempo soll es auch beim Ausbau der Photovoltaik geben – die entsprechenden Gesetze und Förderprogramme müssen gleich zu Beginn der Wahlperiode kommen.
Eine der ersten Baustellen für den Grünen-Politiker wird außerdem sein, das versprochene Sofortprogramm für Klimaschutz aufzulegen. Habeck steht hier besonders unter Druck: Denn er weiß auch, dass es eine Weile dauern wird, bis die Treibhausgasemissionen sinken.
Verkehr
Durch die Diskussion um die Steuerlast für Diesel-Fahrzeuge hat Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) einen Vorgeschmack auf die nächsten vier Jahre bekommen. Wenn Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreichen will, muss der Bereich Verkehr seinen Schadstoff-Ausstoß in den nächsten Jahren halbieren, nachdem er seit 1990 keine Verbesserung geschafft hat. Um die im Koalitionsvertrag genannten 15 Millionen E-Autos 2030 zu schaffen, müsste Wissing sich auf EU-Ebene für wesentlich ehrgeizigere CO2-Grenzwerte für die Pkw-Flotte einsetzen. Statt um 37,5 Prozent von 2021 bis 2030 müssten die Emissionen um 75 Prozent sinken, hat die Denkfabrik Agora Verkehrswende errechnet.
Wenn die Ampel-Koalition tatsächlich bis 2030 den Anteil der Schiene am Güterverkehr auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln will, muss Wissing dafür sorgen, dass die Milliarden an Investitionsmitteln auch verbaut werden und der Zielfahrplan für den Deutschlandtakt Realität wird. Die Deutsche Bahn muss umgestaltet werden, vom Aufsichtsrat bis zur gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte. Außerdem muss Wissing für den ÖPNV schnell einen neuen Corona-Rettungsschirm aufspannen.
Um die Emissionen der Luftfahrt zu drücken, muss der neue Minister sich in Brüssel dafür einsetzen, auch europaweit eine Luftverkehrsabgabe einzuführen, wie sie in Deutschland erhoben wird. Bis es nämlich eine EU-Kerosinsteuer gibt, können noch Jahre vergehen.
Eine Schonfrist gibt es in diesem Amt nicht: Ab Tag eins wird der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach als Krisenmanager gefordert sein. Die Impfkampagne muss weiter an Tempo gewinnen – beim Boostern ebenso wie bei den Erstimpfungen. Gemeinsam mit den Fachkolleg:innen aus den 16 Ländern bildet der Gesundheitsminister eine Art permanenten Krisenstab. Verfügbare Impfstoffmengen, gefälschte Impfzertifikate oder der bessere Schutz von Pflegeeinrichtungen, all das steht in den regelmäßigen Runden auf der Tagesordnung.
Die gesetzlichen Krankenkassen stehen absehbar vor deutlichen Finanzproblemen: Für das Jahr 2022 hat der Bundestag noch sichergestellt, dass das erwartete Finanzloch von 14 Milliarden Euro durch einen Steuerzuschuss gedeckt wird. Für 2023 wird es schon deutlich schwieriger. Zwar haben die Ampel-Koalitionäre Vorkehrungen getroffen: So sollen die Kassen einen höheren Beitragszuschuss für Hartz-IV-Empfänger aus Steuermitteln erhalten. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes wird zu höheren Beitragseinnahmen führen. Doch das wird nicht reichen. Teure Reformen aus der letzten Wahlperiode, medizinischer Fortschritt und ein immer höherer Anteil Hochbetagter - das alles führt zu weiter steigenden Ausgaben.
Die Zahl der Baustellen, die Lauterbach vor sich hat, ist groß - vom überarbeitungsbedürftigen System der Fallpauschalen in den Krankenhäusern bis zur Pflege. Ein anderes Thema, bei dem „dringend und schnell“ gegengesteuert werden müsse, sprach Lauterbach in einem Interview kurz nach der Bundestagswahl an: „In ein paar Jahren gehen uns nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Ärzte aus – und das zu einem Zeitpunkt, wo so viele Menschen wie noch nie, nämlich die aus der Babyboomer-Generation, zu versorgen sind“, sagte er. 5000 zusätzliche Medizinstudienplätze pro Jahr forderte er.
Wohnen und Bauen
Damit die 400.000 neuen Wohnungen, die SPD, Grüne und FDP in dieser Legislatur bauen wollen, auch wirklich fertig werden, muss die neue Bauministerin Klara Geywitz unverzüglich das - ebenfalls versprochene - „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ einberufen. Denn überall behindern Vorschriften, Normen und Personalmangel in den Genehmigungsbehörden den Baufortschritt und machen Neubau teuer. Nur im Austausch mit den Bauausführenden lassen sich wirksamen Reformen entwickeln. Weil dies nicht geschah, verfehlte schon Ex-Bauminister Horst Seehofer dieses Ziel.
Zügig muss die Ressortchefin außerdem den Umbau der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben inklusive Zusammenführung mit dem Eisenbahnvermögen voranbringen. Denn diese Bima soll öffentliches Bauland auch für die Länder bereitstellen - und ohne das ist bezahlbarer Neubau nur ein Wunsch. Mit Hochdruck muss ferner das Gesetz zur Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit formuliert werden, das Art und Höhe der versprochenen „steuerliche Förderungen und Investitionszulagen“ konkretisiert. Denn es fehlen heute schon hunderttausende bezahlbare Wohnungen, weshalb die Mieten steigen.
Arbeit und Soziales
Hubertus Heil ist weiterhin Minister für Arbeit und Soziales – als einziger aus dem Kabinett der großen Koalition führt er sein Amt weiter. Seine Hauptaufgabe bleibt auch: Er muss dafür sorgen, dass die Renten stabil und finanzierbar bleiben. Um letzteres zu sichern, hat die Ampel-Koalition den Aufwuchs der Renten gedämpft, indem sie den 2008 eingeführten und von der Groko ausgesetzten Nachholfaktor wieder aktiviert. Damit steigen die Renten künftig weniger stark. 2022 etwa werden es statt einem Plus von 5,2 Prozent nun 4,4 Prozent sein.
Das Rentensystem wird in den kommenden Jahren eine massive Belastungsprobe erleben, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Zur Vorbereitung darauf hatte schon die einstige rot-grüne Regierung mehr Privatvorsorge angestrebt, aber die Riester-Rente erfüllte die Erwartungen nicht. Nun unternimmt die Ampel einen neuen Anlauf für eine Rentenreform in dieser Richtung. Es soll eine kapitalgedeckte Komponente über einen öffentlichen Fonds aufgebaut werden. In einem ersten Schritt soll bei der Deutschen Rentenversicherung ein Kapitalstock von 10 Milliarden Euro angelegt werden. Es geht Richtung Aktienrente - ein Verlangen vor allem der FDP.
Ernährung und Landwirtschaft
Die Vorbereitung auf das neue Amt begann für Cem Özedemir, wie es sich für den neuen Landwirtschafts- und Ernährungsminister gehört, mit einem Essen. Vorigen Montag traf sich der Grünen-Politiker mit seiner Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) im Ministerium - aufgetischt wurde Vegetarisches, denn Özedemir isst seit seiner Teenagerzeit kein Fleisch mehr. Das Thema Tierhaltung treibt ihn wohl auch deshalb besonders um. „Tiere müssen artgerecht gehalten werden“, mahnt er.
Doch was das genau heißt und vor allem, wer dafür bezahlen soll, lässt der Koalitionsvertrag offen. Vorschläge diverser Expertengremien liegen auf dem Tisch, von einer Tierwohlabgabe auf Fleisch und Milch bis hin zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer für Wurst und Eier. Der neue Minister hat bereits angekündigt den Bauern helfen zu wollen, Landwirtschaft klimafreundlicher und tierwohlgerechter zu betreiben.
Das Höfesterben will Özdemir genauso beenden wie das Artensterben, sagt er. Für die Bauern ist der Grünen-Realo sicherlich die passablere Lösung als sein innerparteilicher Konkurrent, der Agrarsystemkritiker Toni Hofreiter. Allerdings ist der Sohn türkischer Gastarbeiter nicht ganz ohne Stallgeruch: Sein Vater war Bauer in der Türkei, und Özedmir selbst hat sich 2014 öffentlich in einem Youtube-Video als Hobbygärtner präsentiert - im Cannabis-Anbau.
Umwelt
Der Verlust der biologischen Vielfalt auf der Erde hat ein Ausmaß angenommen, das mit der Klimakrise vergleichbar ist. Für die Grünen-Politikerin Steffi Lemke wird eine der ersten Aufgaben sein, den zweiten Teil der „Weltnaturkonferenz“ im chinesischen Kunming im April 2022 vorzubereiten. Dort geht es um die Umsetzung eines internationales Regelwerks (Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt), das 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde.
Gemeinsam mit 50 Staaten hat sich Deutschland außerdem verpflichtet, knapp ein Drittel des Planeten bis 2030 unter Schutz zu stellen - sowohl Land als auch Meer. Zu diesem Ziel bekennen sich die Ampel-Parteien auch in ihrem Koalitionsvertrag. Doch zur Umsetzung muss noch einiges getan werden. Eine weiteres Thema, das Lemke gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Habeck austarieren muss: der Spagat zwischen Klimaschutz und Artenschutz beim Ausbau der Windkraft.
Familie
Den Skandal der Kinderarmut in einem der reichsten Länder zu beenden oder zumindest einzudämmen – es ist ein großes Ziel, das sich die Ampelkoalition gesetzt hat. Allerdings dürfte die Einführung der versprochenen Kindergrundsicherung einen organisatorischen Kraftakt erfordern, bei dem viele staatliche Ebenen mitspielen müssen, damit die Neuerung auch wirklich funktioniert. Mit der Kindergrundsicherung sollen die vielen familienpolitischen Leistungen wie zum Beispiel Kindergeld, Kinderzuschlag, Hilfen für Kinder in Hartz-IV-Haushalten oder die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket gebündelt werden und einfacher zu beziehen sein.
Im Gleichstellungskapitel verspricht der Koalitionsvertrag, das bisherige Ehegattensplitting zu einer Familienbesteuerung umzubauen. Vom Splitting profitierten eher traditionelle Ehen, bei denen ein Partner mehr als der andere arbeitet. Die Reform sollte allerdings auch juristisch wasserdicht sein – Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht sind absehbar.
Innen
Die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat schon klar gemacht, was ihr Schwerpunkt sein soll: die Bekämpfung des Rechtsextremismus. In der Tat ist hier viel zu tun. Faeser erbt aber auch mehrere Baustellen von ihrem Vorgänger Horst Seehofer. So muss das Bundespolizeigesetz reformiert werden – der Anlauf der Groko scheiterte im Sommer im Bundesrat. Ein Streitpunkt in der Ampel wird außerdem auch werden, ob die Verfassungsschutzbehörden die Möglichkeit zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung behalten dürfen – also die Befugnis, etwa Whatsapp-Chats von Verfassungsfeinden vor der Verschlüsselung auszulesen. Diese Möglichkeit hatte die Groko den Geheimdiensten erst in der vergangenen Wahlperiode gegeben. Jetzt soll sie überprüft werden.
Die Ampel hat auch eigene ambitionierte sicherheitspolitische Vorhaben, wie den Ausbau der Polizeibehörde Europol zu einem europäischen Kriminalamt. Faeser ist zudem nicht nur Innenministerin, sondern auch Heimatministerin. Gerade bei der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hatte sich nach Ansicht von Experten in der letzten Legislatur zu wenig getan.
Justiz
Das Bundesjustizministerium (BMJ) mit traditionell kleinem Etat verliert die Zuständigkeit für Verbraucherschutz und soll dafür verstärkt über Bürokratieabbau wachen. Der neue Minister Marco Buschmann (FDP) wird damit ein Zeichen geben wollen: Weniger Recht ist möglicherweise mehr.
So klingen auch manche liberale Ansinnen aus dem Koalitionsvertrag. Das Strafrecht etwa will er entrümpeln und effizienter machen. Zugleich soll es moderner werden, vor allem, indem Vernehmungen und Verhandlungen künftig auf Video zu dokumentieren sind. Das wäre eine kleine Revolution in den überkommenen Mustern von Strafprozessen, die bisher nur eingeschränkt Protokollpflichten unterworfen sind. Transparenz bedeutet das nicht, aber eine bessere Nachvollziehbarkeit des Geschehens. Das dürfte der rechtlichen Kontrolle durch höhere Instanzen dienlich sein. Transparenz soll es an anderer Stelle geben. Urteile sollen künftig anonymisiert und maschinenlesbar in einer Datenbank vorgehalten werden. Transparenter soll auch das undurchsichtige System bei den Richterbeförderungen werden.
Das wird alles kein Stoff für Schlagzeilen sein. Buschmann wird seine Behörde deshalb wie viele seiner Amtsvorgänger als Verfassungsministerium positionieren und die Bedeutung der Grundrechte betonen wollen. Förmlich gehört das auch zu den Aufgaben; das BMJ wacht über die Vereinbarkeit der Regierungs-Gesetzentwürfe mit dem Grundgesetz. Und notfalls darf es auch Stopp sagen. Der Minister tritt hier mit jetzt mit angekratzter Autorität an, weil die FDP-Fraktion mit ihm als Vordermann gegen die Corona-Notbremse vor das Verfassungsgericht gezogen war und verlor. Neugierig darf man sein, wie er den geplanten Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung begleiten wird. Er hatte sich hier stets als Kritiker hervorgetan.
Bildung
Bettina Stark-Watzinger übernimmt ein Bundesressort, das qua Verfassung sich auf einem Feld tummelt, das vor allem Länder und Kommunen zugewiesen ist. Zwar hat der Bund einige Möglichkeiten in der Forschungspolitik, aber Universitäten und vor allem Schulen sind nicht sein Metier. So wird die FDP-Politikerin sich in das Kompetenzgetümmel stürzen, das seit Jahren die Bildungspolitik prägt.
Abgesehen von Aufrufen zu mehr Kooperation und einer (wohl nicht zu verwirklichenden) Grundgesetzänderung zugunsten von mehr Bundeseinfluss wird Stark-Watzinger vor allem daran gemessen werden, wie sie im Verein mit den Kultusministern der Länder die Digitalisierung an den Schulen voranbringt. Der Digitalpakt ist zwar seit Jahren in Kraft, aber er lahmt – Stark-Watzinger plädiert für Beschleunigung und Entbürokratisierung des Großprojekts. Da muss sie Schwung reinbringen. Aber da sind noch andere Themen. So will die Ampel eine Bafög-Reform angehen. Vor allem aber will sie mehr Geld ins System pumpen: Die gesamtstaatlichen Ausgaben für Bildung und Forschung sollen auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Aber auch da gilt: Ohne Mitwirkung der Länder geht nichts.
Außen
Die Ampelkoalition beginnt ihre Arbeit im Zeichen der Krise. Im Inneren heißt die Herausforderung Corona, im Äußeren droht ein massiver Konflikt des Westens mit Russland, das 120000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine hat aufmarschieren lassen. Die neue Regierung muss zur Einheit der Nato und der Europäischen Union beitragen, die Sicherheitsinteressen der EU-Partner in Osteuropa berücksichtigen und nach dennoch Wegen suchen, eine weitere Eskalation im Verhältnis zu Russland zu verhindern.
Zugleich wächst der Druck auf Europa und Deutschland, sich im Ringen der Großmächte USA und China zu positionieren. Folgt die neue Regierung dem Beispiel von Joe Biden, der wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen in China keine US-Regierungsmitglieder zu den Olympischen Winterspielen in das Land schicken will? In Washington gibt es die Erwartung, dass Deutschland unter neuer Führung härter auf chinesische Regelverletzungen reagiert, als Angela Merkel das getan hatte. Das kann aber einen hohen wirtschaftlichen Preis haben, den Peking einfordern dürfte.
Und schließlich ist die Europäische Union von innen bedroht, wenn Mitgliedstaaten wie Polen oder Ungarn eklatant rechtsstaatliche Grundsätze der EU verletzen. Eine klarere Haltung der deutschen Regierung dazu haben die Grünen immer eingefordert, doch dürften auch sie kein Interesse daran haben, bilaterale Auseinandersetzungen mit Warschau oder Budapest zu führen, in denen die deutsche Geschichte instrumentalisiert wird. Deshalb gibt es nur eine europäische Antwort - und die bleibt schwierig genug.
Verteidigung
Die Überraschung war groß und hallt nach im Bendler-Block: Mit Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin hatte niemand gerechnet. Als Fachfremde aus dem linken SPD-Flügel erscheint die frühere Justizministerin auf den ersten Blick auch nicht als logische Wahl. Doch ihre Vorgängerinnen waren beim Start genauso wenig im Thema, und Olaf Scholz schätzt die Verwaltungserfahrung der 56-Jährigen.
Die wird sie brauchen, um Ruhe in das schwierige Ressort zu bringen. Denn die Bundeswehr ist eine Dauer-Großbaustelle, auf der es ständig an Personal, Material und Geld fehlt. Im Koalitionsvertrag finden sich Absichtserklärungen, aber kaum konkrete Pläne, wie der Mangelwirtschaft abgeholfen und den Einsatz- und Bündnispflichten nachgekommen werden kann, die – siehe die russischen Drohungen gegen die Ukraine – eher zu- als abnehmen werden.
Da hilft es auch wenig, dass Lambrecht mit als erstes laufende Einsätze überprüfen und gegebenenfalls abbrechen will. Immerhin haben SPD, Grüne und FDP einige politische Tretminen vorab entschärft: Bewaffnete Drohnen sollen ebenso angeschafft werden wie ein Nachfolge-Modell für den Kampfbomber „Tornado“, das Atomwaffen tragen kann – beides Projekte, die SPD-Linke lange bekämpft haben.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit
Es ist ein Ressort, das normalerweise wenig öffentliches Interesse erregt, aber politisch zuletzt immer mehr an Bedeutung gewonnen hat: das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Etat des Hauses in der Vergangenheit stetig gewachsen. Zum ersten Mal erreichte die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode das seit langem angestrebte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken. Das will die Ampel-Koalition fortsetzen – und langfristig ausbauen.
Auf die neue Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) kommen drei Hauptaufgaben zu: die weltweite Eindämmung der Pandemie, die Klimafinanzierung in den sogenannten Partnerländern und die Bekämpfung extremer Armut. Schulze wird dafür auf die Kooperation mit anderen Industriestaaten angewiesen sein. Als ehemalige Umweltministerin habe sie – etwa bei der Klimakonferenz in Glasgow – bewiesen, „wie sehr sie international vernetzt ist“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich.
Um die Pandemie weltweit einzudämmen, wird Deutschland vor allem bei der Steigerung der Impfquote in den Ländern des Südens helfen müssen – über mehr Mittel für das Impfprogramm der Weltgesundheitsorganisation (WHO), aber auch über direkte Vakzin-Spenden an einzelne Länder. In Staaten wie Burundi oder Haiti sind noch nicht einmal ein Prozent der Menschen zweitgeimpft. Deutschland wird außerdem den besonders von der Klimakrise betroffenen Staaten helfen müssen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Hier geht es um etwa um den Erhalt der Artenvielfalt und den Schutz vor dem steigenden Meeresspiegel. Viele Staaten mit rasant wachsender Bevölkerung benötigen aber auch Unterstützung, ihren steigenden Energiebedarf klimafreundlich abdecken zu können, also ohne fossile Brennstoffe.
Nicht zuletzt wird Schulze sich um die Bekämpfung von Hunger und extremer Armut auf der Welt kümmern müssen. Als Folge der Pandemie ist die weltweite Armutsquote erstmals seit 1998 wieder gestiegen – von 8,4 Prozent im Jahr 2019 auf 9,5 Prozent im vergangenen Jahr. Alleine 100 Millionen Kinder weltweit leben nach Unicef-Angaben derzeit in Armut.