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Ende der Zurückhaltung: Deutschland rüstet auf

Jetzt ist klar: Auch Deutschland wird die Folgen des Krieges in der Ukraine zu spüren bekommen. Milliarden fließen in die Bundeswehr.

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Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten.
Die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten. © Patrick Pleul/dpa

Berlin. Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und die Drohungen von Kreml-Chef Wladimir Putin gegen den Westen will Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit mit Milliardenaufwand erhöhen. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Sonntag in einer Sondersitzung des Bundestags ein einmaliges "Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro und eine deutliche Aufstockung der jährlichen Verteidigungsausgaben an. Nötig sei eine "große nationale Kraftanstrengung". Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sagte dem Kanzler die Unterstützung der Union bei Rüstungsinvestitionen und Sanktionen gegen Russland zu.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte bei der Eröffnung der Sitzung: "Was der Westen mit vereinten Kräften zu verhindern versucht hat, ist doch eingetreten: Wir haben Krieg in Europa." Die Abgeordneten zollten dem auf der Gästetribüne sitzenden ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk minutenlang Beifall. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, der neben ihm saß, umarmte den Botschafter. Vor dem Reichstagsgebäude wehte die ukrainische Flagge.

"Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen", sagte Scholz in seiner Regierungserklärung. Er kündigte zudem den schnellen Bau von zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland an, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern. Als Standorte nannte er Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Außerdem solle eine Kohle- und Gasreserve aufgebaut werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine: "Wir werden von nun an - Jahr für Jahr - mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine: "Wir werden von nun an - Jahr für Jahr - mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren." © Kay Nietfeld/dpa

Scholz verurteilte den russischen Angriff scharf und nannte ihn eine weitgehende Zäsur. "Wir erleben eine Zeitenwende", sagte er. "Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor." Im Kern gehe es um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe und ob es Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen. "Oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen."

Der Kanzler bekräftigte, mit dem Überfall auf die Ukraine habe Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. "Der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukraine. Aber: Der Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen." Scholz richtete eine deutliche Warnung in Richtung Moskau: "Präsident Putin sollte unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen, gemeinsam mit unseren Alliierten jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes zu verteidigen."

Deutschland stehe an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. "Und genauso stehen wir an der Seite all jener in Russland, die Putins Machtapparat mutig die Stirn bieten und seinen Krieg gegen die Ukraine ablehnen", sagte Scholz weiter. "Wir wissen, sie sind viele. Ihnen allen sage ich: Geben Sie nicht auf!"

Merz versicherte, die Union werde umfassende Maßnahmen unterstützen "und nicht im Kleinen herummäkeln". Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Kanzler gehen. Und wenn Scholz es für nötig halte, die Energiepolitik der Regierung neu auszurichten, und mit der Union der Meinung sei, "dass wir jetzt endgültig auf keine weiteren Optionen der Energieerzeugung mehr verzichten dürfen, dann finden Sie dabei unserer tatkräftige Unterstützung", betonte Merz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt die Rede des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt die Rede des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz. © Kay Nietfeld/dpa

Zugleich warnte der Fraktionschef aber, das von Scholz angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro bedeute zunächst neue Schulden. Wie man diese aufnehme und möglicherweise in der Verfassung verankere, müsse in Ruhe und im Detail besprochen werden - "das geht nicht allein mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen zu machen". Merz bescheinigte Scholz, eine "gute Regierungserklärung" gehalten zu haben. Er betonte, das klare Signal des heutigen Tages sei: "Genug ist genug. Das Spiel ist aus."

Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte die Entscheidung der Regierung, nun doch Waffen an die Ukraine zu liefern. "Wir dürfen die Ukraine nicht wehrlos dem Aggressor überlassen, der Tod und Verwüstung über dieses Land bringt", sagte die Grünen-Politikerin. "Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein." Es handele sich um "mehr als die Lieferung von Fahrzeugen, Waffen und Raketen", betonte Baerbock. "Es ist eine klare Botschaft an Wladimir Putin: Das Preisschild dieses Krieges gegen unschuldige Menschen und der Bruch mit der Charta der Vereinten Nationen wird für das System Putin ein untragbares sein."

Finanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, die Sanktionen gegen Russland seien auf Dauer angelegt. "Wir brauchen einen langen Atem, wir haben diesen langen Atem." Deutschland sei bereit, die negativen Auswirkungen der Sanktionen auch hierzulande zu tragen - "denn sie sind der Preis der Freiheit". Zur geplanten Milliarden-Unterstützung für die Bundeswehr sagte Lindner: "Der Krieg in der Ukraine weckt uns alle aus einem selbstgerechten Traum." Die Bundeswehr sei jahrelang vernachlässigt worden, damit müsse es jetzt vorbei sein.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte hat nach den westlichen Sanktionspaketen gegen Russland Hilfen für deutsche Firmen an. Die Bundesregierung werde alles dafür tun, um Konsequenzen von Deutschland fernzuhalten. "Wir werden also für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherweise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßnahmen machen wie wir es in der Corona-Pandemie getan haben."

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte nach den westlichen Sanktionspaketen gegen Russland Hilfen für deutsche Firmen an.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte nach den westlichen Sanktionspaketen gegen Russland Hilfen für deutsche Firmen an. © Kay Nietfeld/dpa

Die Linke lehnte eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben strikt ab. "Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen", sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. "Die Geschichte lehrt uns, dass Wettrüsten keine Sicherheit schafft." Nötig seien Abrüstung und Diplomatie. Zugleich versicherte Mohamed Ali, die Linke teile die Ansicht, dass Russland für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verantwortlich sei.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel gab dem Westen eine wesentliche Verantwortung für den Angriff Russlands auf die Ukraine. Die Hardliner hätten starr an der Nato-Beitrittsperspektive für das Land festgehalten und dabei überheblich Russland den Großmachtstatus abgesprochen. "Das ist das historische Versagen des Westens: die Kränkung Russlands." Dies ändere nichts an der "Verwerflichkeit des russischen Einmarsches", fügte Weidel hinzu.

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU wurde das Vorgehen der russischen Regierung aufs Schärfste verurteilt und der Ukraine volle Solidarität zugesichert. AfD und Linke stimmten dagegen.(dpa)