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Warum Linke gegen Waffenlieferungen sein sollten

Im Ukraine-Krieg sind alle "realpolitischen" Lösungen fatal. Trotzdem sollten Linke gegen Waffenlieferungen eintreten. Ein Gastbeitrag des Publizisten Raul Zelik.

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Umstritten: Der deutsche Kampfpanzer "Leopard 2"
Umstritten: Der deutsche Kampfpanzer "Leopard 2" © dpa

Von Raul Zelik

Schlägt man in diesen Tagen die Zeitungen auf, traut man seinen Augen kaum. Während die Grünen – 2021 immerhin mit dem Versprechen angetreten, Rüstungsexporte zu stoppen – mittlerweile eine Kriegswirtschaft aufbauen wollen, haben die Rechtsextremen von der AfD pazifistische Kreide gefressen. Waffenlieferungen würden nur das Leiden verlängern, verkünden die Rassisten, die bislang noch für jeden (deutschen) Eroberungskrieg der Vergangenheit Verständnis gehegt haben.

Unser Gastautor Raul Zelik ist Politikwissenschaftler und Schriftsteller. Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Wir Untoten des Kapitalismus" (edition suhrkamp).

Dass die Linke in dieser Gemengelage kaum wahrzunehmen ist, liegt auch daran, dass es zu diesem Krieg keine einfache Position gibt: Alle „realpolitischen“ Lösungen sind katastrophal. Wenn Russland die Ukraine militärisch unterwirft, ist das eine Einladung an alle imperialistischen Projekte, die Nachbarländer zu überfallen. Wenn die Nato hingegen hochmoderne Waffen liefert, um den Kollaps der Ukraine zu verhindern, hält das einen Abnutzungskrieg in Gang, an dessen Ende im besten Fall Hunderttausende, im schlechteren Milliarden Menschen tot sind. Man darf sich nichts vormachen – beide Optionen sind Teil desselben Prozesses: Der nationalstaatlich organisierte globale Kapitalismus hat den Selbstzerstörungsmodus aktiviert.

Rüstungskonzerne gelten auf einmal als normale Unternehmen

Wie kann eine Linke und im Besonderen die gleichnamige Partei damit umgehen? Die erste Aufgabe besteht wohl darin, sich zu vergegenwärtigen, wem ihre Empathie gelten muss – nämlich nicht den Nationalstaaten, sondern denjenigen, die unter dem russischen Überfall leiden: der Bevölkerung in zerschossenen ukrainischen Ortschaften, den geflohenen Kindern, den zwangsrekrutierten Soldaten auf beiden Seiten der Frontlinie.

Wenn man sich das in Erinnerung ruft, wird deutlich, was Linke im Augenblick nicht vertreten sollten. Es kann nicht darum gehen, „den Krieg zu verhindern“, denn Millionen erleiden diesen Krieg bereits. Nicht irgendwelche „legitimen Sicherheitsbedürfnisse“ Putins, sondern die Unsicherheit derjenigen, die in der Ostukraine heute in Kellern ausharren, muss Ausgangspunkt der Debatte sein. Nicht geopolitische Vorträge zur Weltlage, sondern Solidarität ist gefragt: Geflüchtete aufnehmen, Lebensmittel und Medikamente schicken, Deserteure verstecken, Oppositionelle in Russland und der Ukraine nach ihrer Meinung befragen.

Erst, wenn man sich darum bemüht, kann man den Waffenlieferungen der Nato glaubwürdig widersprechen. Denn das bleibt unverzichtbar – Linke in Nato-Staaten sollten sich den Waffenlieferungen ihrer Regierungen weiterhin entschieden widersetzen, und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens: Die sogenannte „Zeitenwende“ ist ein militaristisches Konversionsprogramm. Rüstungskonzerne gelten auf einmal als ganz normale Wirtschaftsunternehmen, Nato-Strukturen, die in den letzten 70 Jahren noch für jede Diktatur im eigenen ökonomischen Interesse aktiviert wurden, als Friedensmacht fantasiert. Auf diese Weise werden die reaktionärsten, aggressivsten und zerstörerischsten Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft gestärkt. Nichts ist in Anbetracht dessen so wichtig wie ein Nein zu Aufrüstung und militärischer Mobilmachung. (Im Übrigen: Imperialistische Interventionen wurden im20. Jahrhundert fast überall durch den Widerstand der Bevölkerung und nicht durch schwere Waffensysteme besiegt).

In diesem Krieg gibt es nur zwei Optionen

Zweitens: Ja, es stimmt vermutlich: Der russischen Führung geht es in der Ukraine nicht in erster Linie um die Nato, sondern darum, sich durch Krieg jenes geopolitische Gewicht zu verschaffen, das man wirtschaftlich nicht mehr besitzt. Und sie will (wie schon in Belarus) verhindern, dass sich ein einigermaßen funktionierendes bürgerliches System etabliert, das auch in Russland als Alternative betrachtet werden könnte. Aber wahr ist trotzdem eben auch, dass sich über den Verteidigungskampf der Ukraine ein zweiter, anders gelagerter Krieg legt: Der atlantische Westen finanziert einen Abnutzungskrieg, in dem sich Russland verbrauchen und als Verbündeter Chinas ausgeschaltet werden soll. Denn ein Krieg im Pazifik ist für die US-Führung eine ganz rationale Option. Anders ausgedrückt: Die Ukrainer verteidigen ihr Leben, die westlichen Staatenlenker verfolgen ihre eigenen geostrategischen Projekte.

Drittens: In diesem Krieg gibt es nur zwei Optionen. Entweder er eskaliert oder er wird durch Verhandlungen eingefroren. Dass die Interessen Russlands mit dem Völkerrecht unvereinbar sind und es dementsprechend wenig Grundlage für Verhandlungen gibt, ist ein berechtigter Einwand. Nur: Das stimmt für fast alle bewaffneten Konflikte. Das Einfrieren von Kriegen sorgt immerhin dafür, das Sterben zu begrenzen und eine Eskalation zu verhindern. Auch in Vietnam wurde mit dem Aggressor verhandelt – um ihn am Ende durch den Widerstand der Bevölkerung politisch zu besiegen (auf dem militärischen Schlachtfeld blieben die USA unbesiegt).

Ob der Widerstand gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen der Linken wieder auf die Beine hilft, sei dahingestellt. Dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung mit der Lieferung von Kampfpanzern nicht einverstanden ist, darf nicht das entscheidende Argument sein. Bevölkerungsmehrheiten können sich irren. Aber eine Linke, die ihre fünf Sinne beisammen hat, sollte wissen, wo sie steht: weder auf der Seite Putins noch der Nato.