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Experten erwarten noch 20 Jahre Lehrermangel

Der Lehrkräftemangel ist ein Dauerthema in der Bildungspolitik. Dass es aber so düster aussieht, überrascht dann doch. Experten machen nun Vorschläge zur Entspannung der Lage.

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Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben.
Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben. © dpa/Stefan Sauer (Symbolfoto)

Berlin. Um dem dramatischen Lehrermangel im Land zu begegnen, sollten nach Expertenansicht ein höheres Unterrichtspensum für Lehrkräfte geprüft, weniger Teilzeitmöglichkeiten eingeräumt und gegebenenfalls auch größere Klassen gebildet werden. Diese und andere Empfehlungen legte die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz (KMK), am Freitag zur kurz- und mittelfristigen Entspannung der Lage vor. Die Vorschläge stießen bei Lehrervertretern und Bildungsgewerkschaften auf scharfe Kritik.

Die Wissenschaftler befürchten eine noch lange Personal-Durststrecke an den rund 40.000 Schulen des Landes und sprechen von einer historischen Herausforderung für die Gesellschaft. "Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben."

Die Ausgangslage:

Auf absehbare Zeit kommen deutlich weniger ausgebildete Lehrkräfte nach, als angesichts der Entwicklung der Schülerzahlen und der Abgänge in den Ruhestand gebraucht werden. "Erheblichen Pensionierungswellen stehen kleine Geburtskohorten gegenüber, aus denen Lehramtsstudierende gewonnen werden können", heißt es in der Stellungnahme. Berechnungen der KMK zufolge liegt die Lücke zwischen Lehrkräftebedarf und -angebot zwischen 2021 und 2035 jedes Jahr im Schnitt bei etwa 1600. In der Summe also deutlich über 20.000. Pessimistischere Prognosen gehen vom Vierfachen aus. Aktuell sind mehr als 12.000 Lehrerstellen unbesetzt, hatte eine Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) in den Ländern gezeigt.

Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 10 Millionen Schülerinnen und Schüler. Seit dem russischen Überfall auf das Nachbarland sind 200.000 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche dazugekommen, was die Herausforderungen an den Schulen weiter erhöht.

Nicht überall ist die Personalsituation gleich schlecht: Regional gibt es Unterschiede und auch je nach Schultyp und Fach. Insgesamt besteht eher ein Überangebot an Gymnasiallehrkräften, dagegen wird durchgehend mit einem besonderen Mangel an Berufsschulen und in der Mittelstufe gerechnet, die Lage an den Grundschulen wird sich den Prognosen zufolge ab Mitte der 20er Jahre entspannen. Es fehlen vor allem Mathe-, Chemie-, Physik-, Musik-, Kunst-, Englisch- und Informatik-Lehrer.

Der Lehrkräftemangel droht, bestehende Probleme im Bildungssystem weiter zu verschärfen. Beispiel Grundschulkinder: Die haben, wie Erhebungen gezeigt hatten, zunehmend Mathe- und Deutschprobleme. Die Lücken in der späteren Schullaufbahn zu schließen, wird mit zunehmender Personalnot immer schwieriger.

Was die Expertenkommission unter anderem vorschlägt:

Fast die Hälfte der Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit. Die Kommission schlägt vor, die Möglichkeiten dafür zu begrenzen. "Hier liegt die größte Beschäftigungsreserve."

Geprüft werden sollte eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche für Lehrkräfte mit finanziellem Ausgleich oder Abgeltung durch weniger Arbeitszeit in späteren Jahren.

Empfohlen werden Anreize, damit ältere Lehrer aus dem Ruhestand zurückkommen oder über die Altersgrenze hinaus arbeiten.

Klassen sollten dort vergrößert, wo festgelegte Maximal- oder Orientierungswerte unterschritten werden. In der Mittelstufe dürfe auch eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenstärke als "ultima ratio" nicht ausgeschlossen werden.

Die Wissenschaftler sprechen sich für erleichterte Anerkennungen von Abschlüssen von ausländischen Lehrern aus, für Anreize zur befristeten Beschäftigung an anderen Schulen, wo Personalnot herrscht und für einen zusätzlichen Einsatz von nicht-pädagogischem Personal in Verwaltung, IT oder Bibliotheken, um Lehrkräfte zu entlasten.

In oberen Gymnasialklassen sollte der Kommission zufolge Hybrid-Unterricht erprobt werden. Zum Beispiel könnte eine Lehrkraft in einer Klasse unterrichten und eine andere Klasse - auch aus einer anderen Schule - ist zugeschaltet.

Vorgeschlagen werden zudem mehr Angebote zur Gesundheitsvorsorge bei Lehrkräften - etwa Coaching, Supervision oder Achtsamkeitstrainings.

Die Kommission schreibt, sie sei sich bewusst, dass ihre Vorschläge "eine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte mit sich bringen". "Deshalb müssen die hier vorgeschlagenen Maßnahmen befristet werden", heißt es. Die Wissenschaftler mahnen aber auch: Allen Akteuren im Schulsystem müsse klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung stehe, die größte Anstrengungen erfordere.

Die Reaktionen:

Die Mahnung der Kommission kam wohl als Vorgriff auf die erwarteten Reaktionen der Bildungs- und Lehrergewerkschaften. Die fallen sehr kritisch aus.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger sagte, viele der Vorschläge seien praxisfremd und kontraproduktiv. "Wer Teilzeit und Altersermäßigungen einschränken oder abschaffen will, treibt noch mehr Lehrkräfte in die Frühpensionierung und den Burnout". Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, kritisierte, wenn die Kommission als Ausgleich "Achtsamkeitstraining und Yoga" empfehle, sei das "blanker Hohn". "Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen", sagte Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). (dpa)