Wirtschaft
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Kommentar zum Atomausstieg: Deutschlands riskanter Weg durch die Krise

Die letzten drei Kernkraftwerke werden heute abgeschaltet. Damit werden Entscheidungen durchgesetzt, die aus einer völlig anderen Zeit stammen und heute töricht sind. Ein Kommentar.

Von Stephan Schön
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© dpa

Energie ist in Deutschland so knapp wie nie. Trotzdem werden funktionstüchtige und intakte Kraftwerke abgeschaltet. Am Sonnabend gehen die letzten drei hier verbliebenen Kernkraftwerke vom Netz. Stillgelegt für immer. Eine Hochtechnologie geht, ein neues Risiko kommt. Das Risiko für noch größeren Energiemangel und weiter steigende Energiepreise.

Die Vorgeschichte zum Atomausstieg ist gut zwei Jahrzehnte lang. Und sie wurde abwechselnd von allen regierenden Parteien mitgetragen. Von SPD, Grünen, CDU und FDP. Mal forciert, mal gebremst. Letztlich wurde das Atom-Aus nach dem verheerenden Super-GAU in Fukushima von der Bundesregierung unter Merkel beschlossen. Erneuerbare Energien sollen seitdem die Kernenergie ablösen. Es ist ein an sich gutes Ziel, diese sehr teure Technologie zu ersetzen. Die ja zudem das ungelöste Atommüll-Problem hat.

24,1 Prozent Windkraft und 10,6 Prozent Sonnenstrom versorgten uns 2022. Deutschland erzeugte vergangenes Jahr 46,3 Prozent allen Stroms aus erneuerbaren Ressourcen, geht aus den Daten des Statistischen Bundesamtes hervor. Dagegen nimmt sich der Atomstrom gering aus. Vor der Abschaltung von drei weiteren Kraftwerken Ende 2021 waren es gut zwölf Prozent. 2022 dann noch 6,4 Prozent.

Zu vernachlässigen und abschaffbar? Nicht in Zeiten wie diesen, in denen Städte immer noch nachts das Licht in der City ausschalten, um Strom zu sparen. Wenn Schwimmhallen und Sportstätten ihre Temperatur herunterkühlen, die Bürger enorme Energiekosten bezahlen. Und ein Ende von all dem ist nicht absehbar.

Ja, es ist eine Zeitenwende, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz seit dem Kriegsbeginn durch Russland immer wieder betont. Nur, wurde diese Zeitenwende beim Atomausstieg und der Energiewende offenbar übersehen. Russisches Gas kommt nicht mehr an. Öl auch nicht. Wir bauen in aller Eile neue Flüssiggas-Terminals, um umwelttechnisch dreckiges Fracking-Gas aus den USA zu bekommen. Eine Technologie, die hierzulande auf heftigen Widerstand stößt.

Um Wirtschaft und Leben in Deutschland am Laufen zu halten, mussten die Braunkohlekraftwerke hochgefahren werden. Es ist die fürs Klima schädlichste Variante der Stromerzeugung mit viel CO2 in der Atmosphäre. Selbst Greta Thunberg wundert sich da über den deutschen Sonderweg ohne Atomstrom. Deutsche Kernkraftwerke zählen zu den weltweit sichersten. Und die Kernenergie wäre gerade jetzt als CO2-freie Brückentechnologie in Zeiten der Energiekrise nötig.

Ein halbes Jahrhundert Kampf gegen Atomenergie

Mehr als ein halbes Jahrhundert Kampf gegen Kernkraftwerke hat Deutschland geprägt. Das Nein zur Kernenergie wurde für die Grünen zum Gründungs- und Markenzeichen. Jetzt haben sie diese Schlacht gewonnen. Halb zumindest. Denn nach außen hin funktioniert der Plan ganz und gar nicht, dass andere Länder dem deutschen Vorbild folgen. Im Gegenteil. Tschechien baut neue Kernkraftwerke. Polen plant dies so, Belgien verlängerte eben die Laufzeiten. Schweden erklärte, mehr Kernkraftwerke auch dezentrale, neuartige kleine zu bauen. Und in Frankreich war sowieso nie von einem Rückzug die Rede. Dort sind viele Atommeiler älter als die nun abgeschalteten in Deutschland.

Die Entscheidung für Deutschland ist gefallen. Sie ist nicht mehr umkehrbar, aber dennoch ist sie falsch. Auch deshalb, weil damit hierzulande eine Hochtechnologie verschwindet, in der Deutschland einmal führend war. Tschechien beispielsweise sieht jetzt die große Chance für seine Ingenieure und Wissenschaftler, diese Lücke zu füllen.

Lehrstühle dieses Fachs an deutschen Universitäten werden so gut wie nicht mehr besetzt, Forschungsprogramme gibt es kaum noch. Selbst die Sicherheitsforschung für die Kerntechnik ist suspekt. Der Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf gibt das konsterniert zu verstehen. Zwar würde diese Forschung weltweit im Interesse der Sicherheit und auch unserer eigenen gebraucht, ist aber politisch nicht mehr opportun. Dieser Forschungsbereich wird daher in Rossendorf abgeschafft.

Eine teure, aber nötige Stromreserve

Das Atom-Aus ist da. Jetzt will selbst die Energiewirtschaft nicht mehr zurück. Viele Experten sind sowieso schon weg in andere Jobs. Technisch aufwendige, aufgeschobene Kontrollen und Wartungen an den Reaktoren wären nun nötig. Das kostet viel, am Ende zahlt wieder der Verbraucher. Und Uran-Brennstäbe gäbe es sowieso bei den derzeitigen Lieferzeiten frühestens in einem Jahr.

Diese drei Kraftwerke wenigstens als stille Reserve für die nächsten Winter zu halten wäre sehr teurer. Prinzipiell aber möglich. Denn die Rückbaugenehmigungen gibt es noch nicht und sie wird es auch vor dem nächsten Winter nicht geben.

Die Kernenergie ist weg, das Ende der Kohleverstromung soll auf 2030 vorgezogen werden, russisches Gas und Öl fehlen auch künftig. So wichtig die Energiewende ist, sie kann unmöglich wie unter früheren, anderen Umständen einmal geplant, durchgezogen werden. Egal was ringsum passiert. Die Ziele stimmen, der Zeitplan nicht. Übergangstechnologien Energie sind nötig. Wenn ein Energieträger, also das Gas, wegfällt, müssen nun mal andere her. Der Atomstrom hätte eine Möglichkeit sein können. Die Energiewende muss überarbeitet werden, sonst funktioniert sie nicht.

E-Mail an Stephan Schön