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Atomkraft-Ära in Deutschland beendet - Söder plant Alleingang

Es ist ein wegweisender Schritt - nach mehr als 60 Jahren ist Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen. Doch ist das Atom-Kapitel damit wirklich beendet?

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Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder möchte nach eigener Darstellung Atomkraftwerke wie den abgeschalteten Meiler Isar 2 in Landesverantwortung weiter betreiben.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder möchte nach eigener Darstellung Atomkraftwerke wie den abgeschalteten Meiler Isar 2 in Landesverantwortung weiter betreiben. © Peter Kneffel/dpa

Es ist ein historisches Ende: Nach gut sechs Jahrzehnten Atomenergie in Deutschland sind die drei letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. Als erstes wurde nach Angaben der Betreiber im niedersächsischen Meiler Emsland am Samstagabend um 22.37 Uhr die Verbindung zum Netz getrennt. Es folgten das bayrische Isar 2 um 23.52 Uhr und das baden-württembergische Neckarwestheim 2 um 23.59 Uhr. Damit ist die Atom-Energiegewinnung, die jahrzehntelang für erzürnte gesellschaftliche Debatten gesorgt hatte, in Deutschland beendet. Bis zum Schluss hatte es noch ein hartes politisches Ringen um den Ausstiegstermin und die Möglichkeit eines Reservebetriebs gegeben.

"Das Kapitel ist nun abgeschlossen", sagte jedoch der Chef des Emsland-Betreibers RWE, Markus Krebber, in einer Mitteilung. "Jetzt kommt es darauf an, die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben Erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, wenn Deutschland 2030 idealerweise auch aus der Kohle aussteigen will."

Bis kurz vor Schluss hatten die Betreiber noch Strom durch Kernspaltung produziert, ab Mitternacht war das dann nicht mehr erlaubt. "Wir arbeiten nach Recht und Gesetz und da ist es eindeutig, dass der Leistungsbetrieb ab dem 16. April eine Straftat wäre", sagte der Chef-Atomaufseher des Bundes, der Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium, Gerrit Niehaus, der Deutschen Presse-Agentur.

Ein symbolischer Hebel zum Abschalten des AKWs-Emsland.
Ein symbolischer Hebel zum Abschalten des AKWs-Emsland. © Lars Klemmer/dpa

Außerdem müssen die Betreiber die Meiler möglichst schnell zurückbauen. Das Atomgesetz habe die Regelung, dass die Kernkraftwerke unverzüglich abzubauen sind, sagte Niehaus. "Das heißt, einerseits das Abbau-Genehmigungsverfahren voranzutreiben, aber auch schon erste zulässige Schritte in Richtung Abbau vorzunehmen."

Vor gut 62 Jahren war Deutschlands erstes Atomkraftwerk im unterfränkischen Kahl in den kommerziellen Betrieb gegangen. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 setzte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den endgültigen Ausstieg aus der Technologie in Deutschland durch. So hätten die Meiler eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine entschied die Ampel-Koalition von Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD) nach wochenlanger Diskussion im Herbst jedoch, die drei Meiler über den Winter bis Mitte April weiterlaufen zu lassen.

Söder: Wollen bayerisches AKW in Landesregie weiter betreiben

Mit dem Ausstieg beginnt nun eine neue Energie-Zeitrechnung: Kernkraftgegner feierten den historischen Schritt am Samstag mit Festen in Berlin und anderswo. Mehrere Hundert Menschen kamen zu einem "Abschaltfest" nach Neckarwestheim und auch in München veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein "Atomausstiegsfest". In der niedersächsischen AKW-Stadt Lingen demonstrierten Hunderte Atomkraftgegner gegen die dortige ebenfalls ansässige Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört, und forderten auch deren Schließung.

Politisch jedoch bleibt der Atomausstieg in Deutschland umstritten. Vor allem die Union hatte zuletzt das ursprünglich mitbeschlossene Aus angesichts der Weltlage für verfrüht gehalten und für einen Weiterbetreib geworben. Der Koalitionspartner FDP will die abgeschalteten AKW zumindest für Energie-Notfälle in Reserve halten - obwohl ein schnelles Wiederanfahren nicht möglich wäre und monatelange Vorbereitungen erfordern würde.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder möchte nach eigener Darstellung Atomkraftwerke wie den abgeschalteten Meiler Isar 2 in Landesverantwortung weiter betreiben. Vom Bund verlangt er dafür eine Änderung des Atomgesetzes. "Bayern fordert deshalb vom Bund eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft. Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen", sagte er der "Bild am Sonntag". Söder dürfte wissen, dass es quasi ausgeschlossen ist, dass die Ampel-Koalition darauf eingeht. Und wenn, wäre etwa auch die Frage der Endlagerung des in Bayern weiter produzierten Atommülls gesondert zu klären.

Kretschmer erneuert Kritik am Atomausstieg

Das Problem ist so schon groß genug. "Mit der Abschaltung der letzten AKW ist unsere Arbeit noch lange nicht beendet", hatte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vor kurzem gesagt. "Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben."

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) forderte mehr Forschung an neuen Technologien. "Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise zeigen uns, dass wir uns breit aufstellen müssen. Wir müssen besonders angesichts des Atomausstiegs technologieoffen Forschung fördern. Nicht nur aussteigen, sondern auch mal einsteigen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erneuerte seine Kritik am Atomausstieg und der Energiepolitik der Bundesregierung zudem am Samstag noch einmal bei Twitter. "5% unserer #Energieversorgung bestand aus CO2-freiem #Atomstrom. Diese Menge muss seit heute durch mehr Kohle & Gas erzeugt werden. Was hier passiert, ist Ideologie & eine Entscheidung auf dem Rücken der Bevölkerung", schrieb er. (dpa)