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Warum wir Kernkraft, Erneuerbare Energien und vorerst Kohle weiter brauchen

Ein Kohleausstieg bis 2030 ist nach dem Stopp russischer Gaslieferungen eine grüne Illusion. Eine Antwort auf den Gastbeitrag von Anna Cavazzini und Michael Bloss.

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Der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst geht davon aus, dass wir noch nach 2030 auf Kohlekraftwerke angewiesen sein werden.
Der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst geht davon aus, dass wir noch nach 2030 auf Kohlekraftwerke angewiesen sein werden. © PR

Von Torsten Herbst

Die beiden grünen Europaparlamentarier Anna Cavazzini und Michael Bloss plädierten in der vergangenen Woche für einen vorgezogenen Braunkohleausstieg in den sächsischen Revieren. Wind- und Solarstrom sollen den bisherigen Kohlestrom ersetzen.

Warum dieses Konzept nicht aufgeht, zeigen allein zwei Fakten. Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Endenergieverbrauch hat bisher in keinem einzigen Jahr die 20-Prozent-Marke überschritten, trotz des massiven Ausbaus der Kapazitäten. Das Hauptproblem ist die starke Wetterabhängigkeit.

Solar- und Windstrom deckten beispielsweise in der vergangenen Woche weniger als zehn Prozent unseres Strombedarfs. Der Himmel war wolkenverhangen und es wehte wenig Wind. Diese “Dunkelflaute” ist im Winter häufig anzutreffen. In der Folge liefen die Kohlekraftwerke auf Hochtouren. Fast die Hälfte des gesamten Stroms im deutschen Netz war Kohlestrom. Zudem wurde mehr wertvolles Gas zur Stromerzeugung verbrannt. Die Folge: Bei solchen Wetterlagen produziert Deutschland seinen Strom mit der zweitschlechtesten CO2-Bilanz in ganz Europa. Nur in Polen ist der Strom noch schmutziger.

Würde es helfen, einfach mehr Windräder im Inland aufzustellen? Leider nicht, denn dadurch wird die Stromerzeugung noch wetterabhängiger. Bei Starkwind müssen Anlagen abgeschaltet werden, bei Flaute helfen auch mehr Windräder nicht weiter. Je wetterabhängiger die Stromerzeugung wird, desto mehr Reservekraftwerke, Speicher und Stromleitungsausbau werden benötigt - mit entsprechenden Mehrkosten für Privathaushalte und Unternehmen.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. Um die Leistung dieses Kernkraftwerks zu ersetzen, bräuchte es mindestens 300 hochmoderne Windräder mit einer Leistung von jeweils fünf Megawatt. Foto: dpa
Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftwerks (AKW) Isar 2. Um die Leistung dieses Kernkraftwerks zu ersetzen, bräuchte es mindestens 300 hochmoderne Windräder mit einer Leistung von jeweils fünf Megawatt. Foto: dpa © Symbolbild: dpa/Armin Weigel

Als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt brauchen wir eine zuverlässige, bezahlbare und klimafreundliche Stromversorgung. Die Achillesferse der meisten erneuerbaren Energien - mit Ausnahme von Wasserkraft und Biomasse - ist die fehlende Zuverlässigkeit. Um ein Kernkraftwerk wie “Isar 2” mit einer sicheren Leistung von 1,5 Gigawatt zu ersetzen, bräuchte man beispielsweise mindestens 300 hochmoderne Windräder mit einer Leistung von jeweils fünf Megawatt. Diese müssten bei Bedarf stets mit Maximalleistung laufen. Die Realität sieht anders aus: Eine typische Windkraftanlage an Land ist im Jahr nur zu rund 20 Prozent ausgelastet. Diese wetterbedingte Ineffizienz erfordert nicht nur eine starke Überdimensionierung der Windkraftkapazitäten mit riesigem Flächenbedarf, sondern auch eine enorme Menge an Rohstoffen wie Stahl, Zement, Kupfer und Seltene Erden.

Einige Experten meinen, die Schwankungen bei der Stromerzeugung könnten kurzfristig durch Speicher gelöst werden. Leider sind wir davon noch sehr weit entfernt. Alle Speicher zusammen können den Energiebedarf in Deutschland derzeit nicht einmal für eine Stunde decken - geschweige denn für Tage oder Wochen. Eine Perspektive wäre die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff aus überschüssigem Ökostrom. Doch große Elektrolyseanlagen befinden sich noch am Anfang ihrer technologischen Entwicklung. Die Wasserstoffproduktion ist hierzulande zudem vergleichsweise teuer. Deshalb werden wir Wasserstoff in großen Mengen importieren müssen.

Heute können wir Strombedarf und Netzstabilität in manchen Stunden nur noch mit Mühe garantieren. Doch der Bedarf wird zukünftig deutlich steigen. Wärmepumpen, Elektroautos und die Umstellung industrieller Prozesse auf Strom treiben die Nachfrage. Ohne einen massiven Ausbau des Energieangebots droht Deutschland ein spürbarer Wohlstandsverlust.

Einwand der ungelösten Endlagerfrage ist falsch

Deshalb brauchen wir in den kommenden Jahren alle Energieträger - erneuerbare Energien ebenso wie die heimische Braunkohle. Statt nur viel Geld für amerikanisches Fracking-Gas mit großem CO2-Fußabdruck auszugeben, sollten wir mehr heimisches Gas fördern. Und Deutschland sollte wie dreizehn andere europäische Staaten weiter auf klimafreundliche Kernkraftwerke setzen. Polen und Litauen wollen zudem erstmals Kernkraftwerke bauen.

Der Einwand, die Endlagerfrage sei nicht lösbar, ist falsch. Nach über 60 Jahren deutscher Kernkraftnutzung entspricht das hochradioaktive Restmaterial einem Würfel mit weniger als 40 Metern Kantenlänge. Finnland baut aktuell ein Lager für hochradioaktive Reststoffe, Schweden wird folgen. Neuartige Reaktoren können sogar aus Atommüll noch viel Energie gewinnen und damit die Restmenge an hochradioaktivem Material reduzieren. Nicht umsonst empfehlen auch der Weltklimarat (IPCC) und Greta Thunberg, Kernkraft für den Klimaschutz zu berücksichtigen.

Was bei der deutschen Energiewende häufig aus dem Blick gerät, sind die Kosten. Schon vor dem Ukraine-Krieg lagen die deutschen Stromkosten weltweit an der Spitze. Heute zahlen Haushalte in Deutschland beispielsweise 250 Prozent mehr als Haushalte in den USA. Steigende Stromkosten werden auch immer stärker zum Standortproblem. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Berylls stieg der durchschnittliche Stromkostenanteil bei der Herstellung eines Fahrzeugs in Europa im vergangenen Jahr von 300 auf 800 Euro.

In den USA stiegen die Stromkosten nur von 130 auf 250 Euro. In den kommenden Jahren fallen weitere Milliardenkosten für die deutsche Energiewende an. Diese hat bereits bisher über 400 Milliarden Euro an Subventionen gekostet - übrigens ohne dass Deutschland globaler Vorreiter bei CO2-Einsparungen ist.

Für die Zukunft unserer Energieversorgung brauchen wir mehr Realismus und Technologieoffenheit und weniger Ideologie. Nur mit technologischem Fortschritt können wir gleichzeitig unseren Wohlstand sichern und das Klima schützen. Dafür brauchen wir den Ausbau verlässlicher erneuerbarer Energien, bezahlbare Speichermöglichkeiten, heimische Gasförderung und die weitere Nutzung der Kernenergie. Sächsische Braunkohle wird sicher nicht ewig verstromt, aber ein Ausstieg in den nächsten Jahren ist spätestens nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen eine grüne Illusion. Wohl niemand käme auf die Idee, eine funktionstüchtige Brücke abzureißen, bevor nicht eine neue fertig gebaut ist.

Torsten Herbst ist sächsischer Bundestagsabgeordneter der Freien Demokraten (FDP) und parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion.