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Bund muss Klimaschutzgesetz nachbessern

Damit hatten die wenigsten gerechnet: Aus Karlsruhe kommt ein wegweisendes Urteil zum Klimaschutz - mit großen Auswirkungen.

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Wasserdampf steigt am Morgen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde der Lausitzer Energie Bergbau AG (LEAG).
Wasserdampf steigt am Morgen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde der Lausitzer Energie Bergbau AG (LEAG). ©  Archiv/Patrick Pleul/dpa (Symbolbild)

Karlsruhe/Berlin. Es ist ein historisches Urteil. Und ein großer Sieg vor allem für junge Klimaschützer. Wenige Monate vor der Wahl hat das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung eine Klatsche verpasst, die noch lange nachwirken dürfte. Das Gericht hat im Kern festgestellt: die Politik muss deutlich mehr tun, damit Klimaziele erreicht werden - und darf einschneidende Schritte zur Senkung von schädlichen Treibhausgasemissionen nicht zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank schieben.

Die Politik muss das Klimaschutzgesetz nachbessern, wobei das Gericht eine Frist bis Ende 2022 setzte. Sofort nach dem Urteil begann eine politische Debatte über schärfere Maßnahmen. In der schwarz-roten Koalition lieferten sich Minister einen Schlagabtausch über Versäumnisse und schoben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Eine Frage der Generationengerechtigkeit

Umweltverbände jubelten, ein solches "bahnbrechendes" und "epochales" Urteil war nicht erwartet worden. "Es ist ein unfassbar großer Tag für viele", sagte Luisa Neubauer von Fridays for Future, die in Karlsruhe zu den Klägerinnen gehörte. Die Bewegung sei "belächelt" und "ausgelacht" worden.

Nun aber steht schwarz auf weiß: Klimaschutz ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Denn das Gericht stellt fest, dass die "zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden" durch die Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes in ihren Freiheitsrechten verletzt seien. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030."

Mehrfach nennen die Verfassungsrichter das Pariser Klimaabkommen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden soll - sowie das Ziel Deutschlands und der EU einer Treibhausgasneutralität bis 2050. "Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden." Daher muss der Gesetzgeber nun bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher regeln.

"Der Schluck aus der Pulle bis 2030 ist zu groß"

Ein zentraler Satz des Gerichts lautet: es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, "unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde". Oder, wie es Rechtsanwältin Roda Verheyen, die einige Kläger vertritt, umschrieb: Der Schluck aus der Pulle bis 2030 sei zu groß.

Das Klimaschutzgesetz legt bisher für die Jahre bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen für Bereiche wie die Energiewirtschaft, die Industrie, den Verkehr oder die Landwirtschaft fest. Werden Ziele nicht erreicht, müssen die zuständigen Ministerien nachbessern. Dieser Mechanismus greift in diesem Jahr zum ersten Mal, weil Ziele im Gebäudebereich verfehlt wurden. Alle anderen Sektoren schafften ihrer Ziele - das lag aber vor allem an den Folgen der Pandemie, weil es etwa weniger Reisen mit dem Auto oder dem Flugzeug gab.

Bisher sieht das Klimaschutzgesetz vor, dass die Regierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen festlegt - das genügt aber nicht, sagt nun das Verfassungsgericht.

Minister Altmaier in der Kritik

Das Klimaziel der Bundesregierung lautet derzeit, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Erst vor kurzem hat sich die Europäische Union auf schärfere Ziele bis 2030 geeinigt, das dürfte Auswirkungen auch auf Deutschland haben. Und das große Ziel ist es, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das bedeutet, dass dann alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Nötig ist dafür der Umstieg auf erneuerbare und abgasfreie Energien und Produktionsmethoden - konkret bedeutet das etwa "grünen" Stahl oder Millionen von Autos mit klimafreundlicheren Antrieben.

Die politischen Folgen des Urteils sind groß. Fraglich scheint es, ob die schwarz-rote Koalition noch eine Reform des Gesetzes hinbekommt. Das zeigt ein Beispiel aus der vergangenen Woche: Zwar einigten sich CDU, CSU und SPD auf höhere Ausbaumengen beim Ökostrom für 2022 und Entlastungen beim Strompreis, einen "großen Wurf" mit langfristigen Weichenstellungen bekam die Koalition aber nicht mehr hin.

Dafür kann sie sich gut zoffen. Nach dem Urteil nahm die SPD vor allem Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ins Visier. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, sie hätte 2019 bei den Verhandlungen über das Gesetz gerne ein weiteres Zwischenziel für die 30er Jahre aufgenommen. "Doch dafür gab es damals keine Mehrheit."

Mehr Windräder, mehr Solaranlagen

Altmaier entgegnete, diesen Vorschlag habe er mit einer Klima-Initiative im vergangenen September gemacht, die SPD habe dies aber nicht aufgegriffen. Schulze sowie Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kündigten an, im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorzulegen. Auch Altmaier will Vorschläge machen, wie es nun weitergehen soll.

Wahrscheinlich aber ist, dass eine neue Bundesregierung die Reform anpacken muss. Eine entscheidende Rolle könnten dabei die Grünen spielen. Die designierte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nahm den Ball aus Karlsruhe auf und sagte: "Wir werden unser Land auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ausrichten und das Klimaschutzgesetz entsprechend ändern." Als politisch Verantwortliche dächten die Grünen nicht nur in kurzfristigen Zyklen, sondern garantierten Grundrechte langfristig.

Aber worum geht es konkret bei mehr Klimaschutz? Eines der größten Themen dürfte ein deutlich schnellerer Ausbau und Nutzen erneuerbarer Energiequellen wie Wind und Sonne sein. Das bedeutet: mehr Windräder auf dem Land und auf hoher See, mehr Solaranlagen. Schon jetzt aber gibt es etwa gegen Windräder an Land vor Ort oft große Proteste und viele Klagen, dazu kommen lange Genehmigungsverfahren und Streitigkeiten um den Arten- und Naturschutz sowie das Baurecht.

Schneller aus der Kohle raus?

Dazu dürfte die Debatte über einen schnelleren Kohleausstieg Fahrt aufnehmen. Bisher ist es das Ziel, bis spätestens 2038 aus der klimaschädlichen Kohleverstromung auszusteigen. Doch reicht das, muss Deutschland schneller aus der Kohle raus?

Hinzu kommen viele andere Fragen: Muss der CO2-Preis im Verkehr und bei Gebäuden stärker erhöht werden, damit mehr Menschen schneller auf klimafreundlichere Autos umsteigen oder moderne Heizungen kaufen? Sollen Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotor, getrieben von fossilen Kraftstoffen, ab einem bestimmten Zeitpunkt verboten werden? Müssen Inlandsflüge verboten werden? Und was ist mit dem Tempolimit?

Viele Klimaexperten sagen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, sei das laufende Jahrzehnt das entscheidende, um grundlegende Weichen zu stellen. Anstrengungen für den Klimaschutz und den Umbau des Industrielandes kosten viel Geld. Das Thema dürfte bei der Bundestagswahl im Herbst noch mehr in den Fokus rücken. (dpa)