Politik
Merken

Protest muss kreativ sein – und nicht radikal

Die Blockierer der „Letzten Generation“ beschmieren Kunstwerke, kleben sich auf Straßen fest – und sie werden immer rücksichtsloser. Ist das der richtige Weg zum Klimaschutz?

Von Birgit Grimm
 4 Min.
Teilen
Folgen
Die Straßenblockaden der "Letzten Generation" erhitzen die Gemüter. Zu schimpfen ist einfach, meint SZ-Redakteurin Birgit Grimm, doch den Protesten fehlt auch Kreativität.
Die Straßenblockaden der "Letzten Generation" erhitzen die Gemüter. Zu schimpfen ist einfach, meint SZ-Redakteurin Birgit Grimm, doch den Protesten fehlt auch Kreativität. © Deutsche Presse-Agentur GmbH

Fragt man jemanden, was er denn über die Ziele der Klima-Bewegung „Letzte Generation“ weiß, bekommt man als Reaktion meist ein Schulterzucken und schnippische Ansagen wie „Straßen blockieren“, „sich in Museen ankleben“. Was diese Aktivisten, die aus allen Altersgruppen kommen und von denen viele ihre gut dotieren Jobs aufgegeben haben, tatsächlich erreichen wollen, interessiert kaum jemanden. Wer im Stau steht, weil sich junge Leute auf einer Kreuzung angeklebt haben, oder wer im Museum wegen strengerer Kontrollen ewig am Einlass warten muss, ist verständlicherweise genervt.

Denn welchen Sinn hat es, Kunstwerke zu beschmutzen, zu beschädigen? Und erzeugt nicht jeder Stau, das ewige Stop-and-Go, einen höheren Schadstoffausstoß als gleichmäßig rollender Verkehr?

Bitterer Höhepunkt der Straßenblockaden der „Letzten Generation“ war die Aktion auf der Berliner Stadtautobahn. Ein Rettungseinsatz soll behindert worden sein: Für eine Radfahrerin, die von einem Betonmischer überrollt worden war, kam die Hilfe zu spät. Am Freitag starb die Frau.

Wenn die Klima-Aktivisten dafür verantwortlich sind, müssen sie bestraft werden. Die Schuldfrage ist juristisch nicht geklärt, doch sie werden bereits zu Sündenböcken gemacht. Jeder darf an ihren Aktionen und Blockaden seinen Frust ablassen, ohne sein eigenes Verhalten hinterfragen zu müssen. Wenn ein Rettungswagen nicht rechtzeitig zum Einsatzort kommt, dann vielleicht auch deshalb, weil Pkw-Fahrer im Stau keine Rettungsgasse bilden oder SUV-Lenkerinnen, denen jeder noch so kurze Weg zu weit ist, in der zweiten Reihe parken.

Museumsbesuche könnten deutlich unattraktiver werden

Im Museum ist die Schuldfrage eindeutig: Wer sich ein Kunstwerk beschädigt, begeht eine Straftat oder mindestens eine Ordnungswidrigkeit und sollte sich dafür verantworten müssen.

Aber was haben die Klimaschützer denn erreicht, wenn sie sich in der Dresdner Gemäldegalerie am Rahmen von Raffaels „Sixtinischer Madonna“ festkleben? Welcher Alpengletscher taut langsamer, wenn sie in Potsdam Kartoffelbrei auf Claude Monets „Getreideschober“ oder in London Tomatensuppe auf van Goghs „Sonnenblumen“ schütten? Wird weniger Regenwald abgeholzt, weil sich zwei Mütter im Berliner Naturkundemuseum an einem Dinosaurierskelett ankleben und zeigen wollen, dass die Menschheit ausstirbt, wenn sie den Raubbau an der Natur fortsetzt?

Die Aktivisten können noch so oft beteuern, dass sie die Kunstwerke nicht beschädigen wollen. Einige Museen haben Anzeige erstattet, andere werden es noch tun. Die Kunstwerke müssen gereinigt, die Rahmen restauriert werden. Im Fall der „Sixtinischen Madonna“ sprechen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) von bis zu 12.000 Euro, inklusive der Einnahmeverluste. Und künftig dürfte der Museumsbesuch deutlich unattraktiver werden.

Marion Ackermann, Generaldirektorin der SKD, sagt: „Wir denken darüber nach, alle Gemälde zu verglasen und den Abstand zwischen Skulptur und Besucher zu vergrößern.“ Sollte das nicht möglich sein, könne man die Kunstwerke nicht mehr ausstellen.

Diese Menschen haben es satt, nicht gehört zu werden

Die Frage der Klima-Aktivisten, ob ein Kunstwerk denn mehr wert sein kann als ein Leben, hat Bundeskulturministerin Claudia Roth mit der Frage gekontert, wie denn das Leben ohne Kunst wäre. Daran verschwenden die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ freilich keinen Gedanken.

Sie haben höhere Ziele: kein weiterer Einsatz fossiler Brennstoffe, genug Lebensmittel für alle und ein 9-Euro-Ticket für immer. Sie wollen unseren Planeten retten. Besser gesagt: Sie wollen die Politiker dazu zwingen, die Welt zu retten. Sich irgendwo festzukleben scheint ihnen das einzige Mittel zu sein, ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Verurteilt, gar inhaftiert zu werden, nehmen sie in Kauf.

Diese Menschen haben es satt, nicht gehört zu werden. Sie haben berechtigte Angst, wenn sie an die Zukunft denken. Sie sind es, die die Folgen unseres Wohlstandes aushalten müssen. Sie und die folgenden Generationen sind es, die für die gigantischen Staatsschulden, die jetzt gemacht werden, aufkommen müssen. Auch haben sie bei Fridays for Future erleben müssen, dass das Aufbegehren zwar gehört, aber auch als Schuleschwänzen diskreditiert wurde. Doch haben die Klimaaktivisten daraus die richtigen Schlüsse gezogen?

Widerstand und ziviler Ungehorsam brauchen Kreativität

Angesichts von Krieg und Terror, von Hunger und Hitze, von Stürmen und Überschwemmungen darf man sich nicht wegducken. Man wäre blind, würde man noch hoffen, dass das Ausnahmeerscheinungen bleiben. Jeden gewaltfreien Protest müsste man eigentlich begrüßen. Wäre da nicht die Sorge, dass die Protestierenden sich in ihrer maßlosen Selbstüberschätzung radikalisieren könnten.

Es klafft eine große Lücke zwischen den Aktivisten und all den Menschen im Land, denen der Zustand der Erde ebenfalls nicht egal ist. Die aufs Fahrrad steigen, Bus und Bahn nutzen, so oft es nur geht. Die schon immer sparsam mit Strom, Gas und Wasser umgehen und wenig Müll hinterlassen.

Aufmerksamkeit zu erzeugen ist heutzutage kein Hexenwerk. Aber die Menschen zu erreichen und sie mitzunehmen auf einem anstrengenden Weg, das erfordert außer Mut auch Intelligenz. Widerstand und ziviler Ungehorsam brauchen Kreativität.