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Bericht der Feuerwehr: Klimakleber haben Rettung erheblich erschwert

Nach dem Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin legt sich die Feuerwehr fest: Spezialretter hätten besser helfen können - standen aber wegen Klimaaktivisten im Stau.

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Nun steht fest: Die Feuerwehr hätte mit einem Spezialfahrzeug bei dem Radunfall in Berlin besser helfen können, doch dieses stand aufgrund des Klima-Protests im Stau.
Nun steht fest: Die Feuerwehr hätte mit einem Spezialfahrzeug bei dem Radunfall in Berlin besser helfen können, doch dieses stand aufgrund des Klima-Protests im Stau. © Paul Zinken/dpa

Von Alexander Fröhlich

Berlin. Nach dem Tod einer Radfahrerin hat die Berliner Feuerwehr nun ihren Abschlussbericht zu den Folgen einer Blockade von Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ vorgelegt. Darin relativiert die Feuerwehr die Aussagen einer Notärztin, dass das verspätete Eintreffen einer Spezialeinheit infolge eines durch Klimaaktivisten ausgelösten Staus unerheblich war.

Der sogenannte Rüstwagen wäre ohne den Stau eine Minute nach der Notärztin eingetroffen. Eine Rettungsmethode, mit der das Unfallopfer besser und schonender unter dem Betonmischer hätte hervorgeholt werden können, wäre durch den Rüstwagen möglich gewesen. Stattdessen musste der Lkw erneut über das Unfallopfer gefahren werden.

Sofortrettung war nötig

Die 44-jährige Radfahrerin war bei einem Unfall auf der Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf von einem Betonmischer überrollt worden, als sie trotz Benutzungspflicht des Radwegs auf der Straße fuhr. Sie wurde am Donnerstag für hirntot erklärt und erlag Donnerstagabend im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.

Das Bein der Radfahrerin war zwischen den hinteren Zwillingsrädern des voll beladenen Betonmischers eingeklemmt. Doch der Rüstwagen, mit dessen Technik der Lkw hätte angehoben werden können, kam zu spät. Die Notärztin befand, dass wegen der schweren Verletzungen und des Zustands der Frau eine Sofortrettung nötig sei.

Einsatzleiter fuhr Betonmischer von der eingeklemmten Frau herunter

Der Einsatzleiter hatte dann zu entscheiden, wie die Frau unter dem Lkw hervorgeholt wird: Er setzte sich in den Betonmischer und fuhr ihn von der einklemmten Frau herunter - er musste also erneut über die Frau rüberfahren. Eine Methode für Situationen, in denen gar nichts anderes mehr geht. Sie wird in den Vorschriften allerdings nicht empfohlen, erfahrene Retter raten sogar entschieden davon ab.

Bundesweit gilt für die Feuerwehr: Lasten wie schwere Lkw werden angehoben oder maximal weggezogen - und nicht mit eigener Motorkraft weggefahren. Nach den Regeln wäre ein Rüstwagen nötig gewesen, heißt es aus der Feuerwehr. Vor allem gelte, dass Feuerwehrleute keine Unfallwagen fahren. Erfahrene Retter machen ein Szenario auf: Hätte der Einsatzleiter sich vertan, den falschen Gang eingelegt oder einen Fehler gemacht, hätte der 26-Tonner nicht nur die Radfahrerin, sondern auch die Notärztin und Einsatzkräfte schwer verletzen können.

Das Protokoll des Einsatzes zeigt nun, dass der von den Klimaaktivisten auf der A100 ausgelöste Stau Folgen für die Rettung der Frau hatte. Am Montagmorgen waren zwei 63 und 59 Jahre alte Klimaaktivisten auf ein Autobahnschild geklettert, die Polizei musste Fahrbahnen sperren, es kam zum Stau. Die Polizei ermittelt gegen die Aktivisten wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen, die Staatsanwaltschaft prüft auch den Vorwurf der fahrlässigen Tötung.

Um 8.20 Uhr geht bei der Leitstelle der Feuerwehr der Notruf zu dem Unfall ein, der erste Alarm wird noch während des Telefonats verschärft. Rettungswagen, der Rüstwagen der Technischen Hilfe, ein Intensiv-Transporthubschrauber und ein Einsatzleitwagen werden losgeschickt. Um 8.28 trifft ein sogenanntes Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeug (LHF) am Unfallort ein, fünf Minuten später ein Rettungswagen und der Einsatzleitwagen.

Die Feuerwehr legt sich fest: Der Rüstwagen kam zu spät

Um 8.36 Uhr kommt das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) mit der Notärztin an. Knapp zehn Minuten später, um 8.45 Uhr, wird die Radfahrerin befreit. Zur gleichen Zeit trifft der Rüstwagen mit den Technikspezialisten ein, nach der Prognose der Feuerwehr wäre er ohne die Aktion der Klimaaktivisten bereits um 8.37 Uhr ankommen – eine Minute nach der Notärztin. Um 8.50 liegt das Unfallopfer im Rettungswagen, der fährt um 9.11 Uhr los und ist 13 Minuten später im Virchow-Klinikum.

In ihrem Abschlussbericht legt sich die Feuerwehr fest. Der Rüstwagen kam durch die Aktion der sogenannten Klimakleber und den von ihnen verursachten Stau acht Minuten zu spät – dabei hätte er fast genau mit der Notärztin bei dem Unfall sein sollen. Die sonst in solchen Fällen übliche „technische Beratung“ durch den Führer der Rüstwageneinheit gab es nicht. Andere Wege, als den Betonmischer von der Frau zu fahren, hatte der Einsatzleiter nicht - weil der Rüstwagen fehlte.

Mitglieder der Gruppe "Letzte Generation" blockieren in Leipzig immer wieder wichtige Verkehrsadern.
Mitglieder der Gruppe "Letzte Generation" blockieren in Leipzig immer wieder wichtige Verkehrsadern. © Archiv/Paul Zinken/dpa

Vor diesem Hintergrund erscheint auch eine E-Mail von Rettungsdienstchef Stefan Poloczek in einem anderen Licht. Bereits einen Tag nach dem Unfall hatte der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes eine E-Mail an den Leitungsstab der Feuerwehr geschickt, einen äußerst kleinen Kreis von Empfängern. Aus dem Urlaub heraus und trotz Vertretungsregelungen hatte er sich direkt in den Fall eingeschaltet.

In der E-Mail berief sich Poloczek, um dessen künftige Kompetenzen wegen Problemen beim Rettungsdienst ein Machtkampf in der Feuerwehr und in Teilen der Koalition tobt, auf die Aussagen der Notärztin, die bei dem Einsatz dabei war. Wenig später berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf die E-Mail, dass der von den Klimaaktivisten verursachte Stau keinen Einfluss auf die Versorgung der Radfahrerin nach dem Unfall gehabt habe.

Poloczek hatte geschrieben: „Selbst wenn mit Rüstwagen oder Kran andere technische Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, war dies die richtige Vorgehensweise.“ Und: „Zur Frage der technischen Rettung hat die Notärztin klar geäußert, dass sie sich auch bei der Verfügbarkeit von anderen technischen Möglichkeiten durch Rüstwagen oder Kran sofort für diese Methode entschieden hätte.“

In der Führung der Feuerwehr und bei Rettungskräften hat die von Poloczek zitierte Aussage der Notärztin für Furore gesorgt, weil sie gar nicht die Kompetenz habe, derlei zu beurteilen, wie es hieß. Ebenso sorgte für Aufsehen, dass Poloczeks E-Mail ungefiltert und ohne Einordnung in den Medien landete. Zudem hat die Notärztin offenbar keinen eigenen Vermerk geschrieben.

Feuerwehr widerspricht Poloczek

Nun zeigt sich, dass der Stau der Klimaaktivisten sehr wohl Folgen für den Rettungseinsatz hatte. Der Einsatzleiter am Unfallort musste überaus riskant und auch für ihn rechtlich gefährlich vorgehen. Die Berliner Feuerwehr widerspricht Poloczek nach Überprüfung des Einsatzes sogar. Die Behörde legt sich fest, dass die Frau ohne den Stau und mit dem Rüstwagen sicherer hätte gerettet werden können – weil der Lkw nicht erneut über die Patientin hätten gefahren werden müssen.

Dies sei lediglich getan worden, weil keine anderen Mittel bereitstanden und weil taktisch und medizinisch abgewogen worden sei. Eine Gefahr für das Unfallopfer und die Einsatzkräfte hätte bei diesem riskanten Vorgehen nicht ausgeschlossen werden können. Mit dem Rüstwagen und den technischen Rettern hätte es mehr Optionen gegeben.

Feuerwehrsprecher Thomas Kirstein sagt zu dem Vermerk des Ärztlichen Leiters und der Einschätzung der Notärztin: „Die Ansicht der Notärztin ist eine. Es gibt weitere Betrachtungsweisen und Stellungnahmen zu diesem Einsatz. Die Verantwortung für solche Einsätze trägt grundsätzlich der Gesamteinsatzleiter.“ Ansonsten verweist der Sprecher auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Bei der Feuerwehr erinnern sich nun viele an den „Fall Ronja“. Die 13-jährige Schülerin war im Juni 2018 in Rummelsburg unter eine Straßenbahn geraten und schwer verletzt. Der Kranwagen für die Bergung kam nicht schnell genug, die Feuerwehr entschloss sich, die Tram mit einem hydraulischen Heber hochzustemmen.

Die Heber kippten aber um, die Tram fiel wieder ins Gleisbett, Ronja starb, zwei Einsatzkräfte wurden schwer verletzt. Später mussten sich der Einsatzleiter und der Gesamteinsatzleiter wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Sie wurden freigesprochen. „Man darf ein erhöhtes Risiko zur Rettung eines Menschen eingehen“, entschied das Gericht.