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Studie: Die Armut in Deutschland ist deutlich angestiegen

Trotz sinkender Arbeitslosigkeit ist Armut im vergangenen Jahrzehnt angewachsen. Etliche konnten von guter Wirtschaftsentwicklung nicht profitieren.

Von Thilo Alexe
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Die Armutsquote in Deutschland ist gestiegen.
Die Armutsquote in Deutschland ist gestiegen. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Düsseldorf/Dresden. Wohlstand ist in Deutschland ungleich verteilt. Wie eine aktuelle Erhebung zeigt, lebten vor zwei Jahren 29 Prozent der Armen im Ostteil der Bundesrepublik. Allerdings hat Ostdeutschland nur einen Anteil von 18 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Das Gefälle verdeutlicht sich auch an anderer Stelle: Nur sieben Prozent der Reichen leben im Osten des Landes.

Die Daten gehen aus dem sogenannten Verteilungsbericht des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor. Deutschlandweit ist der Erhebung zufolge die Armut im vergangenen Jahrzehnt – und damit bereits vor Corona - angewachsen. "Armut ist in der letzten Dekade deutlich angestiegen. Im Jahr 2019 waren so viele Menschen in Deutschland von Armut betroffen wie nie zuvor", betonten die Studienautorinnen Dorothee Spannagel und Aline Zucco. Dabei seien die 2010er-Jahre ein Zeitraum mit generell guter Wirtschaftsentwicklung und sinkender Arbeitslosigkeit gewesen. Arme Haushalte, so die These, hätten davon nicht profitiert, der Abstand habe sich sogar noch vergrößert.

Die Armutsquote stieg nach Erkenntnissen der Forscherinnen zwischen 2010 und 2019 von 14,3 Prozent auf 16,8 Prozent. Als arm definiert die Studie Menschen, deren bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt, als sehr arm Menschen mit weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens. Die Quote der sehr armen Menschen, die also weniger die als Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, sei zwischen 2010 und 2019 auf 11,1 Prozent der Bevölkerung gestiegen, berichtete das WSI darin. Zur Einordnung: 2010 lag das gewichtete Haushaltseinkommen pro Kopf im Mittel demnach bei 21.219 Euro, 2019 bei 24.037 Euro.

Armut wirkt sich nicht nur finanziell aus. So sind der Studie zufolge unter anderem die Lebenszufriedenheit sowie die Qualität der Gesundheit niedriger als im Bevölkerungsdurchschnitt, ebenso das Vertrauen in staatliche Institutionen von der Bundesregierung bis zu Polizei und Gerichten. In der Böckler-Lebenslagenbefragung stimmten lediglich 59 Prozent der Armen der Einschätzung zu, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniere, lediglich 68 Prozent hielten sie für die beste Staatsform – elf beziehungsweise14 Prozentpunkte weniger als in der Gesamtbevölkerung.

WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch forderte "mehr und wirksameres politisches Engagement gegen Armut". Das sei nicht nur notwendig, um Betroffenen zu helfen, sondern auch, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Kohlrausch ergänzte: "Das gilt umso mehr, da in Zeiten von hoher Inflation sozialer Abstieg auch Menschen droht, die sich während des vergangenen Jahrzehnts darum wenig Sorgen machen mussten." Die Direktorin lobte die Einführung des Bürgergeldes. Zudem empfiehlt die Studie unter anderem die Stärkung der Tarifbindung sowie die Förderung von sozialem Wohnraum. (mit dpa)

Die WSI-Studie stützt sich auf Daten des sozio-oekonomischen-Panels (SOEP), für das jährlich rund 16.000 Haushalte interviewt werden und das aktuell bis 2019 reicht. Außerdem flossen die Ergebnisse der Lebenslagenuntersuchung der Hans-Böckler-Stiftung ein, für die 2020 und 2021 gut 4.000 Menschen befragt wurden. Darüber hinaus wurden Daten aus einer Repräsentativbefragung, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Böckler-Stiftung im August 2022 zur Inflationsbelastung durchgeführt hat, berücksichtigt.