Wie Sachsen Wohnungslosen helfen will

Das Problem verschärft sich. Die jüngsten Daten beschreiben eine Zunahme
der Wohnungslosigkeit. Bundesweit waren im Laufe des Jahres 2018 rund
678.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung – nach Angaben der
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mehr als vier Prozent mehr
als im Jahr zuvor. Der Großteil kam bei Freunden, Verwandten oder in
Heimen unter. Doch rund 41.000 lebten obdachlos ohne jede Unterkunft
auf der Straße.
In Sachsen berichten Wohltätigkeitsorganisationen wie etwa die Diakonie
ebenfalls von steigenden Zahlen und beziehen sich auf diejenigen, die
bei ihnen Hilfe suchen. Auch im Landtag ist das Thema präsent. Die
Koalitionsfraktionen von CDU, Grünen und SPD haben einen Antrag ins
Parlament eingebracht mit dem Titel „Wohnungslosen in Sachsen helfen“.
Sie fordern die von ihr getragene Regierung dazu auf, neue Daten für ein
Wohnungsnotfallkonzept zu berücksichtigen.
„Housing first“-Konzept
Unklar ist derzeit, wie
viele Menschen genau in Sachsen wohnungs- oder gar obdachlos sind. Ab
dem kommenden Jahr soll bundesweit die Zahl der Betroffenen erfasst
werden, was dann auch Rückschlüsse auf den Freistaat zulässt.
Sozialpolitiker der Koalition drängen zudem darauf, einen Ansatz in der
Hilfe für Wohnungs- und Obdachlose zu vertiefen. Gemeint ist vor allem
das Konzept des „Housing first“, frei übersetzt: „Das Dringendste ist
eine Unterkunft.“
In dem Antrag, über den das Parlament in einer der
kommenden Sitzungen abstimmen wird, heißt es: „Der Gedanke dahinter ist,
dass zuerst die Wohnung, ein dauerhaftes Dach über dem Kopf, nötig ist
und dann die weiteren Hilfen so erfolgreicher ansetzen können.“
Der CDU-Sozialpolitiker Alexander Dierks spricht von einem
„Paradigmenwechsel“. „Die eigene Wohnung steht nach diesem Ansatz am
Anfang des Prozesses in ein geregeltes Leben und nicht wie bisher am
Ende eines komplexen Hilfeprozesses“, sagt er. Die Grünenabgeordnete
Kathleen Kuhfuß sieht bei dem Konzept für Wohnungs- und Obdachlose „eine
Sicherheit im Rücken, die hilft“: „Es geht darum, den Betroffenen einen
Halt zu geben. In anderen Ländern gibt es positive Erfahrungen damit.“
Bislang funktioniert, trotz Ausnahmen auch in Sachsen, Hilfe für
Menschen mit Wohnungsproblemen meist nach einem anderen Muster. Zunächst
werden die Probleme in den Blick genommen, die zur Notlage geführt
haben, etwa Arbeitslosigkeit, Trennung oder eine Suchterkrankung. Die
Wohnung – gemeint ist nicht die Unterkunft in einem Heim – steht am Ende
dieses Prozesses. Das bereits im Koalitionsvertrag genannte „Housing first“-Konzept setzt darauf, dass die Menschen
möglichst früh eigenständig wohnen.
Positive Erfahrungen aus anderen Ländern
Unumstritten ist dieser Ansatz nicht. Stellt er doch scheinbar das
Prinzip infrage, dass sich ein Notleidender auch selbst anstrengen muss,
um die Situation in den Griff zu bekommen. Doch Erfahrungen aus anderen
Ländern zeigen: Wer selbstständig in einer Wohnung lebt, tendiert dazu,
durch diese Sicherheit auch andere Probleme rascher lösen zu können.
„In Seattle etwa konnte die Wohnungslosigkeit dadurch um über 75 Prozent
gesenkt werden“, heißt es in dem Antrag der drei Fraktionen. Auch aus
Österreich kommen positive Rückmeldungen. Experten verweisen zudem
darauf, dass das Konzept zu mehr Stabilität führe – und damit sogar
Kosten senke. Versorgungsleistungen würden weniger in Anspruch genommen.
Nach Angaben des SPD-geführten sächsischen Sozialministeriums befindet sich das
„Housing first“-Modellprojekt derzeit im Ausschreibungsverfahren. 50.000
Euro stehen im Haushalt bereit. Die eigentlich für die Betreuung von
Wohnungs- und Obdachlosen verantwortlichen Großstädte und Kreise sollen
dabei unterstützt werden, Betroffene in kommunalen Wohnungen
unterzubringen, auch wenn das nicht die ausschließliche Hilfsform sein
wird. „Wir wollen ‚Housing first‘ nun gemeinsam mit einigen Kommunen
auch im Freistaat Sachsen erproben“, betont Dierks.