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Wie Sachsen Wohnungslosen helfen will

Im Winter wird die Notlage von Obdachlosen besonders deutlich. Die Kenia-Koalition im Freistaat setzt nun auf ein neues Konzept.

Von Thilo Alexe
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Mehr als 40.000 Menschen leben einer Schätzung zufolge in Deutschland auf der Straße. Foto: dpa/Paul Zinken
Mehr als 40.000 Menschen leben einer Schätzung zufolge in Deutschland auf der Straße. Foto: dpa/Paul Zinken © Symbolfoto: dpa

Das Problem verschärft sich. Die jüngsten Daten beschreiben eine Zunahme der Wohnungslosigkeit. Bundesweit waren im Laufe des Jahres 2018 rund 678.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung – nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mehr als vier Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Großteil kam bei Freunden, Verwandten oder in Heimen unter. Doch rund 41.000 lebten obdachlos ohne jede Unterkunft auf der Straße.

In Sachsen berichten Wohltätigkeitsorganisationen wie etwa die Diakonie ebenfalls von steigenden Zahlen und beziehen sich auf diejenigen, die bei ihnen Hilfe suchen. Auch im Landtag ist das Thema präsent. Die Koalitionsfraktionen von CDU, Grünen und SPD haben einen Antrag ins Parlament eingebracht mit dem Titel „Wohnungslosen in Sachsen helfen“. Sie fordern die von ihr getragene Regierung dazu auf, neue Daten für ein Wohnungsnotfallkonzept zu berücksichtigen.

„Housing first“-Konzept

Unklar ist derzeit, wie viele Menschen genau in Sachsen wohnungs- oder gar obdachlos sind. Ab dem kommenden Jahr soll bundesweit die Zahl der Betroffenen erfasst werden, was dann auch Rückschlüsse auf den Freistaat zulässt. Sozialpolitiker der Koalition drängen zudem darauf, einen Ansatz in der Hilfe für Wohnungs- und Obdachlose zu vertiefen. Gemeint ist vor allem das Konzept des „Housing first“, frei übersetzt: „Das Dringendste ist eine Unterkunft.“

In dem Antrag, über den das Parlament in einer der kommenden Sitzungen abstimmen wird, heißt es: „Der Gedanke dahinter ist, dass zuerst die Wohnung, ein dauerhaftes Dach über dem Kopf, nötig ist und dann die weiteren Hilfen so erfolgreicher ansetzen können.“ Der CDU-Sozialpolitiker Alexander Dierks spricht von einem „Paradigmenwechsel“. „Die eigene Wohnung steht nach diesem Ansatz am Anfang des Prozesses in ein geregeltes Leben und nicht wie bisher am Ende eines komplexen Hilfeprozesses“, sagt er. Die Grünenabgeordnete Kathleen Kuhfuß sieht bei dem Konzept für Wohnungs- und Obdachlose „eine Sicherheit im Rücken, die hilft“: „Es geht darum, den Betroffenen einen Halt zu geben. In anderen Ländern gibt es positive Erfahrungen damit.“

Bislang funktioniert, trotz Ausnahmen auch in Sachsen, Hilfe für Menschen mit Wohnungsproblemen meist nach einem anderen Muster. Zunächst werden die Probleme in den Blick genommen, die zur Notlage geführt haben, etwa Arbeitslosigkeit, Trennung oder eine Suchterkrankung. Die Wohnung – gemeint ist nicht die Unterkunft in einem Heim – steht am Ende dieses Prozesses. Das bereits im Koalitionsvertrag genannte „Housing first“-Konzept setzt darauf, dass die Menschen möglichst früh eigenständig wohnen.

Positive Erfahrungen aus anderen Ländern

Unumstritten ist dieser Ansatz nicht. Stellt er doch scheinbar das Prinzip infrage, dass sich ein Notleidender auch selbst anstrengen muss, um die Situation in den Griff zu bekommen. Doch Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Wer selbstständig in einer Wohnung lebt, tendiert dazu, durch diese Sicherheit auch andere Probleme rascher lösen zu können. „In Seattle etwa konnte die Wohnungslosigkeit dadurch um über 75 Prozent gesenkt werden“, heißt es in dem Antrag der drei Fraktionen. Auch aus Österreich kommen positive Rückmeldungen. Experten verweisen zudem darauf, dass das Konzept zu mehr Stabilität führe – und damit sogar Kosten senke. Versorgungsleistungen würden weniger in Anspruch genommen.

Nach Angaben des SPD-geführten sächsischen Sozialministeriums befindet sich das „Housing first“-Modellprojekt derzeit im Ausschreibungsverfahren. 50.000 Euro stehen im Haushalt bereit. Die eigentlich für die Betreuung von Wohnungs- und Obdachlosen verantwortlichen Großstädte und Kreise sollen dabei unterstützt werden, Betroffene in kommunalen Wohnungen unterzubringen, auch wenn das nicht die ausschließliche Hilfsform sein wird. „Wir wollen ‚Housing first‘ nun gemeinsam mit einigen Kommunen auch im Freistaat Sachsen erproben“, betont Dierks.