Update Politik
Merken

Regierung sucht Linie zu EU-Atomkraft-Plänen

Der Vorschlag der EU-Kommission, Atom- und Gaskraft als nachhaltig einzustufen, ruft Kritik hervor. Die Europäischen Grünen prüfen eine Klage.

 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die EU-Komission will Gas- und Atomkraft unter Auflagen als nachhaltig einstufen. Das ruft Kritik hervor.
Die EU-Komission will Gas- und Atomkraft unter Auflagen als nachhaltig einstufen. Das ruft Kritik hervor. © dpa

Berlin. Die Ampel-Parteien suchen eine gemeinsame Haltung im Umgang mit den Vorschlägen der EU-Kommission zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke.

Zwar sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin, die vorgeschlagenen Kriterien zur Einstufung von Gaskraftwerken als klimafreundlich seien "im Einklang mit der Position der Bundesregierung" - auch wenn es die Kriterien eigentlich nicht gebraucht hätte. Die Bundesregierung werde den Vorschlag nun prüfen und zu einer abgestimmten Position kommen. Widerspruch kam jedoch prompt von Grünen-Politikerinnen.

Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen Investitionen in neue Gaskraftwerke insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise als klimafreundliche eingestuft werden können. Auch Investitionen in neue Atomkraftwerke - vor allem in Frankreich geplant - sollen unter bestimmten Bedingungen als grün klassifiziert werden können.

Diese im Fachjargon Taxonomie genannte Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten soll mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Während Frankreich auf Atomkraft setzt, steigt Deutschland bis Ende 2022 aus der Technologie aus und schrittweise auch aus der Kohle.

Bundesregierung lehnt Pläne zur Atomkraft ab

Die Einschätzungen der EU-Kommission zur Atomkraft lehne die Bundesregierung ausdrücklich ab, sagte Sprecher Hebestreit. Das ist zwischen den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP nicht strittig. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ingrid Nestle, sagte dem "Handelsblatt": "Als Grüne können wir dem Vorschlag der EU-Kommission nicht zustimmen. Atomkraft kann niemals nachhaltig sein."

Ihre Fraktionskollegin Lisa Badum zeigte sich indes skeptisch auch mit Blick auf die Vorschläge zu Gaskraftwerken: "Zwar sind nun strengere Auflagen für Gas und ab 2035 nur noch die Verwendung von kohlenstoffarmen Gasen vorgesehen, dennoch müssen wir wachsam bleiben, da es sich um klimaschädliches Erdgas handelt." Sie sei wenig optimistisch, dass der Vorschlag zustimmungsfähig sei.

Eine explizite Zustimmung wäre aber auch gar nicht nötig. Vielmehr müsste eine deutliche Mehrheit unter den EU-Staaten oder im Europaparlament gegen die Pläne zustande kommen, um sie zu verhindern. Solch eine Mehrheit gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland lediglich Länder wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen und auch eine ausreichend große Mehrheit gegen die geplanten Gasregeln nicht in Sicht ist. Die EU-Mitgliedstaaten haben zunächst bis zum 12. Januar Zeit, den Entwurf zu kommentieren.

FDP-Fraktionschef Dürr für Kompromissbereitschaft

Die EU-Kommission verteidigte ihr Vorgehen. "Wir halten diesen Vorschlag für pragmatisch und realistisch", sagte ein Beamter am Montag. Es gehe darum, über die Einbeziehung von Atom- und Gaskraft den Übergang zur Klimaneutralität zu erleichtern.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr plädierte für Kompromissbereitschaft. "Wenn wir verhindern wollen, dass unsere Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität Schaden nimmt, sind wir auf Übergangstechnologien angewiesen. Schließlich muss der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle über einen gewissen Zeitraum kompensiert werden", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn es dem Klimaschutz dient, sollten wir kompromissbereit in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie in anderen EU-Ländern sein." Aus SPD-Parteikreisen hieß es, sie setze zunächst auf weitere Verhandlungen auf EU-Ebene.

EU-Pläne lösen Widerspruch aus

Sowohl in der Gasbranche als auch bei Umweltverbänden lösten die Pläne Widerspruch aus. Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Bedingungen erschwerten das Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele bis 2030, "zumindest werden sie die Zielerreichung erheblich verteuern", sagte der Vorstand des Branchenverbands "Zukunft Gas", Timm Kehler, der dpa.

Die Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Antje von Broock, forderte: "Statt in veraltete 'Dinosaurier'-Technologien zu investieren, braucht es Investitionen in wirklich nachhaltige erneuerbare Energien." Die Bundesregierung müsse die für eine Ablehnung des Vorschlags nötige Mehrheit der EU-Staaten organisieren.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, die Pläne der EU-Kommission seien im Vorfeld zwischen Frankreich und Deutschland diskutiert worden, so etwa beim letzten EU-Gipfel im Dezember. Auf die Frage, ob die Regierungen beider Länder möglicherweise überein gekommen seien, aus Rücksicht auf die Wünsche des jeweils anderen die Vorschläge der Kommission zu akzeptieren, sagte Hebestreit: "Von solchen Absprachen weiß ich nichts."

Kritik an Bundesregierung

Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber sieht im Vorschlag der EU-Kommission zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Energiequelle eine Niederlage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Die neue Bundesregierung habe sich vehement gegen eine solche Einstufung ausgesprochen, sagte der Europaabgeordnete am Montag. Nun habe sie "ihre erste Bewährungsprobe in Brüssel gehörig verpatzt". "Olaf Scholz hat gegen Emmanuel Macron klar den Kürzeren gezogen."

Zugeständnis an Frankreich

Ferber spielte darauf an, dass die geplante Einstufung insbesondere als Zugeständnis an Frankreich gilt, das bei der Energieversorgung stark auf Atomenergie setzt. Scholz hatte nach Angaben von Diplomaten auch am Rande des EU-Gipfels im Dezember mit Macron über das Thema gesprochen.

Die nun bekanntgewordenen Pläne der EU-Kommission sehen vor, dass Investitionen in neue Akw als nachhaltig eingestuft werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Umweltschützer werfen der Kommission vor, ein vollkommen falsches Signal zu setzen. Auch Ferber äußerte sich in diese Richtung. "Man kann Kernenergie nicht als nachhaltig einstufen, solange die Entsorgungsfrage nicht gelöst ist." Wie die Kommission das Thema angehe, sei "schlichtweg nicht seriös".

Esken: Atomenergie keine nachhaltige Technologie

Auch die SPD-Chefin Saskia Esken lehnt den Vorschlag der EU-Kommission zur indirekten Förderung von Atomkraftwerken ab. Sie schrieb am Montag auf Twitter: "Atommeiler produzieren Abfälle, die über Jahrmillionen radioaktiv strahlen und damit das Leben auf unserer Erde gefährden. Ihre sichere Endlagerung ist und bleibt ungelöst. Insbesondere deshalb ist es nicht zu verantworten, Atomenergie als nachhaltige Technologie zu fördern." Nichts sei "green" an der Atomkraft, schrieb Esken.

Esken schrieb, sie habe in den 80er Jahren mit vielen anderen gegen Atomkraft demonstriert. Zu hoch seien die Subventionen, zu groß sei die Gefahr eines Reaktorunfalls, dazu komme die "im Grunde unlösbare" Endlagerung des radioaktiven Mülls. Nichts davon habe sich geändert. "Atomstrom ist immer noch der teuerste Strom. Wenn wir ihn subventionieren, wie in der EU jetzt angedacht, dann schädigt das den Markt für die Erneuerbaren."

Umweltministerin glaubt nicht an Planänderung

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sieht wenig Aussichten, die EU-Pläne zur Atomkraft noch ändern zu können. "Ob der Vorschlag noch zu ändern ist, noch aufzuhalten ist, das wage ich zu bezweifeln", sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag im Bayerischen Rundfunk.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe sich in der Frage bereits im vergangenen Herbst festgelegt. Eine Änderung sei nur möglich, wenn die Mitgliedsstaaten mehrheitlich Nein zu diesem Vorschlag sagen würden. "Frankreich hat sich ganz klar positioniert, andere Länder ebenso." Es könne gut sein, dass die Mehrheitsverhältnisse daher nicht mehr zu ändern seien, sagte die Grünen-Politikerin.

Sie selbst halte die Pläne, Investitionen in Atomkraft unter bestimmten Auflagen als nachhaltig einzustufen, für falsch. Die Position der Bundesregierung in der Frage sei geschlossen. "Die SPD, Bundeskanzler Olaf Scholz, haben alle insgesamt deutlich gemacht, dass Atomkraft aus unserer Sicht, aus Sicht der deutschen Bundesregierung, keine nachhaltige Investition ist."

Die Europäischen Grünen prüfen indes eine Klage gegen die Pläne der EU-Kommission, Atomkraft und fossiles Gas als nachhaltig einzustufen. "Wir erwägen als europäische Grüne vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Pläne der EU-Kommission, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als nachhaltig und klimafreundlich einzustufen, zu klagen", sagte der grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament, der Österreicher Thomas Waitz, der "Welt". "Die EU-Kommission weiß, dass ihr Vorschlag rechtlich anfechtbar ist und nicht auf besonders festen Beinen steht." (dpa)