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Wirecard: Ein Kanzlerkandidat als Zeuge

Vor dem Wirecard-Ausschuss weist Olaf Scholz jegliche persönliche Verantwortung zurück. Der Kanzlerkandidat muss beweisen, ob er Druck gewachsen ist.

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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kommt zur Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Bilanzskandal Wirecard im Deutschen Bundestag.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kommt zur Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Bilanzskandal Wirecard im Deutschen Bundestag. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Die wichtigste Frage versucht Vizekanzler Olaf Scholz mit nur einem Wort abzubügeln: "Tragen Sie persönlich Verantwortung dafür, dass dieser Skandal nicht früher aufgefallen ist?", fragt der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer. "Nein", sagt Scholz typisch ruhig, doch bestimmt. Aus seiner Sicht könnte es jetzt vorbei sein, es wäre die kürzeste aller Zeugenbefragungen im Untersuchungsausschuss zum wohl größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegszeit, dem Fall Wirecard. Doch so leicht lassen Union und Opposition den SPD-Kanzlerkandidaten am Donnerstag nicht davonkommen.

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer spektakulären Vernehmungswoche. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat schon ausgesagt, Finanzstaatssekretär Jörg Kukies wurde neun Stunden lang bis in die Nacht befragt. Am Freitag kommt die Kanzlerin. Doch niemand von ihnen hat so viel zu verlieren wie Scholz. Der Finanzminister war mit seinem Ministerium nicht nur für die Finanzaufsicht Bafin zuständig, der im Fall Wirecard schwere Fehler vorgeworfen werden. Als Kanzlerkandidat muss er auch dafür sorgen, dass ihn der Skandal nicht bis in die Bundestagswahl im Herbst verfolgt.

Der Vizekanzler steht unter Druck, die Befragung im Untersuchungsausschuss ist eine der größeren Bewährungsproben in seiner Laufbahn. Wie man in solchen Situationen reagiert, kann auch etwas über die eigene Kanzlerfähigkeit aussagen.
Der Vizekanzler steht unter Druck, die Befragung im Untersuchungsausschuss ist eine der größeren Bewährungsproben in seiner Laufbahn. Wie man in solchen Situationen reagiert, kann auch etwas über die eigene Kanzlerfähigkeit aussagen. © Michele Tantussi/REUTERS/POOL/dpa

Nach kurzer Zeit im Zeugenstand ist klar: Es wird nicht einfach - doch Scholz bleibt Scholz. Er setzt sich erst auf seinen Zeugenstuhl, als die Fotografen den Raum verlassen haben. Kanzlerkandidat im Zeugenstand, diese Bilder will er wohl nicht sehen. Später antwortet er oft kurz angebunden. Nicht mehr sagen, sich nicht mehr rühren als unbedingt nötig, das könnte man als das Prinzip Scholz bezeichnen.

Die Opposition und vor allem der Koalitionspartner Union haben sich vorgenommen, ihn hart ranzunehmen. Zu nah rückt die Wahl, aus Partnern sind hier längst Konkurrenten geworden. "Sie haben es sich ein bisschen zu einfach gemacht", kritisiert CDU-Mann Hauer. Er ist es, der Scholz am stärksten in Bedrängnis bringt. Gar nicht unbedingt, indem er den Minister wiederholt auffordert lauter zu sprechen - und dabei selbst aggressiv ins Mikrofon herrscht, bis es übersteuert. Hauer wirft Scholz vielmehr vor, er habe dem Ausschuss relevante E-Mails von seinen privaten Accounts vorenthalten.Der Vizekanzler steht unter Druck, die Befragung im Untersuchungsausschuss ist eine der größeren Bewährungsproben in seiner Laufbahn. Wie man in solchen Situationen reagiert, kann auch etwas über die eigene Kanzlerfähigkeit aussagen.

Wahlkampf statt Aufklärung?

Der Finanzminister muss einräumen, Zeitungsartikel manchmal von einer privaten Adresse weiterzuleiten. Befragung unterbrochen. Der Ausschuss zeigt sich "irritiert". Scholz versichert in gut durchdachten Worten: Er habe gebeten, dem Ausschuss alles vorzulegen. Private Kommunikation lösche er regelmäßig. "Ich kann Ihnen also nichts Weiteres vorlegen, als was sie haben."

Politisches Farbenspiel prägt diesen Ausschuss auf der Zielgeraden fast mehr als die tatsächliche Aufklärung des mutmaßlichen Milliardenbetrugs, in dessen Windschatten so mancher Kleinanleger seine gesamte Altersvorsorge verlor. Dabei haben die Abgeordneten bisher erstaunliche Arbeit geleistet und ein breites Systemversagen aufgedeckt. Finanzaufseher und Wirtschaftsprüfer mussten ihre Posten räumen, über die Naivität der Staatsanwaltschaft schüttelte so mancher den Kopf. Scholz muss einräumen, das Aufsichtssystem sei reformbedürftig. Als er jedoch ausholt, um seine Reformideen zu erläutern, winken die Abgeordneten ab.

Schon vorher war klar: Die Union würde alles versuchen, um Scholz anzugreifen. Die SPD zeigt ihrerseits mit dem Finger auf die Wirtschaftsprüfer, denen ein Report handwerkliche Fehler attestiert - und für deren Aufsicht Unions-Politiker Altmaier zuständig ist. Man bemüht sich nicht einmal glaubhaft, das Pingpong zu verstecken. Am neutralsten wirkt da noch die Opposition. Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar, Fabio De Masi von den Linken und Grünen-Politiker Danyal Bayaz greifen alle Zeugen gleichermaßen messerscharf an: Unaufgeregt, aber kritisch.

Brisanter könnte ein weiterer U-Ausschuss werden

Tatsächlich finden auch sie aber wenig Substanzielles, was Scholz im Fall Wirecard persönlich belasten würde. Von einer besonders kritisierten Maßnahme der Finanzaufsicht sei der Minister vorab nicht informiert gewesen, sagen Scholz und Staatssekretär Kukies, es gibt dazu auch keine Belege. Die Bafin hatte Anlegern zeitweise verboten, bei Wirecard auf fallende Kurse zu wetten. Bei den Aktionären entstand dadurch der Eindruck, in dem Konzern sei alles in Ordnung.

Scholz betont die kriminelle Energie bei Wirecard. Die Bundesregierung trage keine Verantwortung für den "großangelegten Betrug". Der ehemalige Dax-Konzern und Börsenliebling musste im vergangenen Sommer einräumen, dass 1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz nicht mehr auffindbar sind. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seine Bilanzen seit 2015 fälschte. Wirtschaftsprüfer hatten die Jahresabschlüsse immer uneingeschränkt testiert.

Scholz ist sozusagen im Beifang dieses Kriminalfalls mitgefangen. Der Vorwurf, nicht genau genug hinzuschauen, ist ein gefährlicher - wirbt die SPD doch damit, dass man sich auf Scholz in der Regierung verlassen kann. Ob ihn der Fall Wirecard bis zur Wahl verfolgt, ist offen. Brisanter könnte ein zweiter Untersuchungsausschuss werden, in dem Scholz schon in der kommenden Woche aussagen muss: Es geht um mögliche Einflussnahme des früheren Hamburger Bürgermeisters Scholz auf die steuerliche Behandlung einer Bank, die in einem "Cum Ex"-Skandal steckt. (dpa)