Wirtschaft
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Risiko: Unternehmer verlieren die Lust

Detlef Hamann hat 19 Jahre lang die Wirtschaft im Raum Dresden vertreten. Bevor der Hauptgeschäftsführer der IHK in Ruhestand geht, spricht er über Werte und wund geschriebene Finger.

Von Georg Moeritz
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In den Jahren nach der Wiedervereinigung war mehr möglich, sagt Detlef Hamann. Er war seit 2003 Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden.
In den Jahren nach der Wiedervereinigung war mehr möglich, sagt Detlef Hamann. Er war seit 2003 Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden. © Archivfoto: Robert Michael

Herr Hamann, Sie gehen in den Ruhestand und können es offen sagen: Was muss sich in Sachsens Wirtschaftspolitik dringend ändern?

Wir erleben momentan, dass das ganze Wertesystem infrage gestellt wird, das Sachsen zu dem gemacht hat, was es heute ist. Das halte ich nicht für gut. Dazu gehört auch, dass Wirtschaftspolitik in Deutschland immer mehr zur Sozialpolitik geworden ist. Ich wünsche mir, dass Politik auch wieder für die Wirtschaft gemacht wird.

Arbeiten Politik und Verwaltung denn gegen die Wirtschaft?

Aus vielen Gesprächen weiß ich: Unternehmer verlieren die Lust, Unternehmer zu sein. Die Politik muss sich Gedanken machen, die Freude am Unternehmertum wieder zu fördern. Stattdessen hat die Bürokratie zugenommen. In den Jahren nach der Wiedervereinigung war erst einmal mehr möglich und schneller machbar, weil die Verwaltung erst Zeit brauchte, zu voller Leistungsfähigkeit zu kommen. Die ist inzwischen komplett gegeben.

Tragen die Kammern nicht selbst zur Bürokratie bei, mit eigenen Regelwerken und Forderungen?

Wir stehen da manchmal ein bisschen zwischen Baum und Borke. Aber wir haben viele Regeln einzuhalten, etwa beim System der dualen Berufsausbildung mit Vorgaben vom Bundesgesetzgeber. Als IHK sind wir gefordert, unsere Mitgliedsunternehmen vor überbordender Bürokratie zu schützen. Die Erfolge waren leider überschaubar, etwa bei der Erlaubnis für einkaufsoffene Sonntage.

Als Sie 2003 Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden wurden, war Arbeitslosigkeit das beherrschende Thema. Haben Sie hauptsächlich Aufschwung erlebt?

Es hat sich unheimlich viel geändert in diesen rund 25 Jahren, die ich in diesem Haus bin. Damals haben wir Unternehmen gebeten, über Bedarf auszubilden – heute fehlen Bewerber. Vor der EU-Osterweiterung war die Angst weit verbreitet, polnische Arbeitnehmer könnten den Arbeitsmarkt fluten. Jetzt sind wir froh über jeden, der kommt. Wir haben auch Hochwasser erlebt und die Einführung des Euro ...

Was muss Ihr Nachfolger Lukas Rohleder als Erstes anpacken?

Wir haben eine spezifische Situation mit Themen wie Inflation, Rohstofflieferung oder Energieversorgungssicherheit. Da lassen sich schwer einzelne Empfehlungen geben. Das Wichtigste für mich als IHK-Geschäftsführer ist der unmittelbare persönliche Kontakt zu möglichst vielen Unternehmern. Daraus lernt man, und gleichzeitig erdet das auch.

Durften Sie Ihren Nachfolger selbst aussuchen?

Nein, es gab eine Ausschreibung. Die Auswahl aus den 70 Bewerbern hat eine Findungskommission getroffen, bestehend aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und dem Ehrenpräsidenten. Dann haben Präsidium und Vollversammlung entschieden.

Spielt Parteimitgliedschaft bei diesem Posten eine Rolle?

Nein, ich bin selbst nicht Mitglied einer Partei, und darüber war ich die ganzen Jahre sehr froh. Parteibindung spielt bei uns überhaupt keine Rolle.

Ihr Kollege Hans-Joachim Wunderlich, der zur gleichen Zeit wie Sie als IHK-Hauptgeschäftsführer in Chemnitz in den Ruhestand geht, ist in der SPD.

Ja, er gehörte zu den Mitgründern in Plauen nach der Wende. Wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und beide im Ministerium kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es etwas zu kritisieren gab. Das hätten uns unsere Mitgliedsunternehmen auch übel genommen, nur denen sind wir verpflichtet.

Hat denn die Landesregierung auf Ihre Wünsche und Ratschläge gehört?

Bei manchen Themen konnten wir uns die Finger wund schreiben, bei anderen haben wir gut zusammengearbeitet. Bei Corona beispielsweise haben wir ideologiefrei und sachdienlich mit Wirtschafts- und Sozialministerium nach Lösungen gesucht. Als es etwa darum ging, Pendler aus Polen und Tschechien nicht mehr nach Sachsen zur Arbeit zu lassen, haben wir Möglichkeiten mit Tests gefunden.

Hat die Corona-Finanzhilfe ausreichend geholfen?

Ja, insgesamt haben die vielen Programme funktioniert. Es gab Anlaufschwierigkeiten und viele Videokonferenzen, auch mit Bundestagsabgeordneten wie Thomas de Maizière. Auch das Kurzarbeitergeld hat geholfen. Und bei den Corona-Hilfen haben auch wir Kammern manchmal mit Wünschen dazu beigetragen, dass manches noch einmal programmiert werden musste und so etwas länger gedauert hat – aber dadurch besser wurde.

Ihr Spezialgebiet ist die Tourismuswirtschaft, als langjähriger Vizepräsident im Landestourismusverband. Wird sich die Branche von Corona erholen?

Momentan läuft es gut. Die Veranstaltungen häufen sich. Alle versuchen, möglichst viel in den vermeintlich sicheren Sommer hineinzupressen. Aber es bleibt die Unsicherheit, wie es mit Corona weitergeht. Außerdem geht aufgrund der Inflation die Neigung zum Geldausgeben zurück. Das wirkt sich natürlich auf die Urlaubsplanung aus. Mehrere Urlaube im Jahr sind nicht mehr drin. Für die Gastronomie wird es nicht einfach, die gestiegenen Preise an den Kunden weiterzugeben. Von den Arbeitskräfteproblemen ganz zu schweigen.

Wie stark haben Sie die Unterschiede zwischen Dresden und der Oberlausitz zu spüren bekommen?

Der ganze Kammerbezirk außerhalb Dresdens ist ländlicher Raum. Ich war nirgendwo so viel unterwegs wie in der Oberlausitz, zumal auch meine Frau von dort stammt. Ich habe viele tolle Unternehmer-Typen in der Lausitz kennengelernt. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen etwas aufs Gleis zu setzen. Und die Wirtschaftskraft eines Landkreises Bautzen von Müller-Milch bis Accumotive kann locker mit der Dresdner Wirtschaftskraft mithalten.

Was wird die Oberlausitz stärker verändern – der Ausstieg aus der Braunkohle oder das Geld vom Staat, das zum Ausgleich dort ausgegeben werden kann?

Die stärkste Veränderung kommt von der demografischen Entwicklung. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften wird die größte Herausforderung, die wir in Sachsen in den nächsten Jahren haben werden. Denn die angrenzenden Regionen in Polen und Tschechien, die haben wir schon geplündert.

Was kann der Staat tun? Neue Unternehmen stärker anlocken?

Der Staat investiert derzeit sehr viel. Da werden Bachläufe freigelegt für ein schönes Umfeld und Kitas gebaut – gegen die habe ich auch nichts, denn eine tolle Kita im Ort kann auch ein Argument für einen Arbeitgeber beim Werben um Mitarbeiter sein. Ein neu angesiedelter Großbetrieb hätte es aber schwer, viele Arbeitskräfte zu finden. Vor allem müsste der Staat die vorhandenen Betriebe beim Wachsen unterstützen. Wenn die Unternehmer ein Budget für Forschung und Entwicklung neuer Produkte zur Verfügung bekommen, dann fällt ihnen auch etwas ein, was sie damit machen können.

Das Gespräch führte Georg Moeritz.