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Ganztagsbetreuung: Zehntausende Fachkräfte fehlen in Horten

Jedes Grundschulkind hat künftig ein Recht auf Ganztagsbetreuung. In Sachsen wird der zwar erfüllt, allerdings betreut ein Erzieher hier fast neun Kinder mehr als in Westdeutschland.

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Nach dem normalen Unterricht haben Grundschulkinder künftig ein Recht auf Ganztagsbetreuung.
Nach dem normalen Unterricht haben Grundschulkinder künftig ein Recht auf Ganztagsbetreuung. © Symbolbild/Marcel Kusch/dpa

Gütersloh. Jedes einzelne Grundschulkind hat künftig einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung - für die Umsetzung bis Ende des Jahrzehnts fehlen einer Studie zufolge aber Zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen in Deutschland. Die Bundesländer müssten gemeinsam mit allen Verantwortlichen schon jetzt handeln, um dem steigenden Personalmangel in Grundschulen und Horten vorzubeugen, sagte Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung, die die Studie am Dienstag veröffentlichte.

Insgesamt könnten mehr als 100.000 pädagogische Fachkräfte fehlen. Vor allem im Westen wird die Umsetzung des Rechtsanspruchs demnach schwierig, im Osten sollte dagegen der vergleichsweise schlechtere Personalschlüssel auf West-Niveau verbessert werden. Am Geld scheitert es der Studie zufolge nicht - es gibt schlicht zu wenige Menschen, die den Beruf ergreifen wollen.

Bund und Länder hatten im vergangenen September einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen, der schrittweise eingeführt wird. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift die Regelung bei Kindern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Klassen.

Mehr Nachfrage aber weniger Personal im Osten

Sachsen hat der Studie zufolge ausreichend Fachkräfte, um bis Ende des Jahrzehnts jedem Grundschulkind ein Angebot zur Ganztagsbetreuung machen zu können. Allerdings seien die Personalschlüssel in den Horten bislang deutlich schlechter als im westdeutschen Schnitt, teilt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Stiftung für frühkindliche Bildung, mit.

Für die Personalausstattung legt der Rechtsanspruch keine Standards fest. Die Unterschiede in Deutschland sind gravierend: Während die Horte in Westdeutschland einen Personalschlüssel von 1 zu 6 aufweisen, liegt dieser im Osten bei 1 zu 14 und in Sachsen bei 1 zu 14,7. Eine Vollzeit-Fachkraft im Freistaat muss also rechnerisch fast neun Kinder mehr betreuen als in einem westdeutschen Hort. Um einen Personalschlüssel von 1 zu 6 zu erreichen, müssten mehr als 11.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden.

Sachsen: Forderung nach West-Niveau "völlig überzogen"

Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kritisierte diese Herangehensweise. Die Forderung zum Personalschlüssel im Hort sei völlig überzogen. "Sicherlich wünschen wir uns alle eine optimale Betreuung für unsere Kinder. Aber es muss in der Realität umsetzbar sein", sagte er. Eine Verbesserung auf 1:6 würde allein fast 640 Millionen Euro zusätzlich kosten und etwa 13.750 neue Erzieherinnen und Erzieher bedeuten. "So viele Fachkräfte gibt es auf dem Arbeitsmarkt leider nicht."

Dabei sei die Situation in Ost- und Westdeutschland eine völlig andere: In Sachsen nutzen 87 Prozent der Kinder im Grundschulalter ein Ganztagsangebot, im Westen Deutschlands sind es nur 47 Prozent. Hinzu kommt, dass die Horte an fast allen Grundschulen durch die schulischen Ganztagesangebote entlastet werden.

Die Gewerkschaft GEW sieht das anders. "Die Untersuchung bestätigt die Erfahrungen, die Eltern, Kinder und pädagogische Fachkräfte in Horten täglich machen: Zu wenige Beschäftigte müssen sich um zu viele Kinder kümmern", sagte Landesvorsitzende Uschi Kruse. Dabei bleibe nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten auf der Strecke, dabei komme auch das einzelne Kind zu kurz.

Ein gutes Zeugnis stellt die Studie nur Berlin, Hamburg und Thüringen aus. Dort gibt es bis Ende des Jahrzehnts laut der Prognose genügend Personal, um jedem einzelnen Grundschulkind einen Ganztagsplatz anzubieten - und das bei einem guten Betreuungsschlüssel.

Die westdeutschen Bundesländer müssten sich dagegen auf den Platzausbau konzentrieren. Sollte jedem einzelnen Kind in der Grundschule ein Ganztagsangebot gemacht werden, bräuchte es bis 2030 aber mehr als eine Million zusätzliche Plätze und rund 76.000 Fachkräfte. Selbst wenn nur die heutige Quote Ostdeutschlands - wo mehr als vier von fünf Grundschülern ganztags betreut werden - angepeilt würde, fehlten noch 55.000 Fachkräfte. Und auch wenn ein Teil der Kinder weiter das Übermittagsangebot nutze, bliebe noch ein Minus von 34.000 Fachkräften, heißt es in der Studie.

Expertin Stein von der Bertelsmann Stiftung forderte eine "langfristig angelegte Fachkräfteoffensive von Bund und Ländern". Für eine bessere und bundeseinheitliche Ausstattung müsse die Politik jetzt gesetzliche Rahmenbedingungen, genügend Ausbildungskapazitäten und Anreize für den Einstieg ins Berufsbild schaffen. (dpa, SZ/sca)