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Macron in Moskau: Monsieur Europa sucht den Frieden

In der aktuellen Ukraine-Krise war Macron der erste EU-Staatschef, der sich mit Putin traf. Was Frankreichs Präsident will und was ihn antreibt – eine Analyse.

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Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, hält eine Rede zum französischen Ratsvorsitz im Europäischen Parlament.
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, hält eine Rede zum französischen Ratsvorsitz im Europäischen Parlament. © Bertrand Guay/POOL AFP/AP/dpa

Von Albrecht Meier, Claudia von Salzen und Anna Thewalt

Emmanuel Macron ist der erste hochrangige Vertreter der westlichen Staatengemeinschaft, der seit dem Aufmarsch der russischen Truppen versucht, in Moskau gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Krise zu lösen. Die Begegnung zwischen dem französischen Präsidenten und dem Kremlchef am Montag machte vor allem eines deutlich: Macron versucht, das nach dem Amtsende von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entstandene Machtvakuum in der EU zu füllen.

Am Tag nach dem Besuch in Moskau trifft er sich an diesem Dienstag in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der Hausherr im Elysée-Palast präsentiert sich als europäische Führungsfigur – was ihm in der Heimat auch im Wahlkampf nützt.

Bietet Macron Russland Kompromisse im Namen Europas an?

Macron gab am Wochenende der Zeitung "Journal du Dimanche" ein Interview, in dem er Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands äußerte. Nach den Worten von Macron geht es zunächst darum, die Lage an der ukrainisch-russischen Grenze zu entschärfen. In einem zweiten Schritt müsse man sich bemühen, "in Richtung einer neuen Ordnung voranzugehen, die Europa dringend braucht und die auf dem Grundprinzip der Gleichheit und Souveränität der Staaten basiert".

Es wurde erwartet, dass Macron dem russischen Präsidenten in Moskau seine Vorstellungen von einer neuen europäischen Sicherheitsordnung präsentiert, in die auch Russland eingebunden sein soll. Der europäische Sicherheitsdialog mit Russland, beispielsweise über eine Begrenzung der Mittelstreckenraketen, ist eine Idee, die Frankreichs Staatschef schon seit Längerem verfolgt. Unverhandelbar ist für Macron allerdings das Prinzip der territorialen Selbstbestimmung von Staaten wie der Ukraine.

Macron reiste derweil keineswegs in einsamer Mission nach Moskau, sondern suchte vorab eine enge Abstimmung mit US-Präsident Joe Biden, dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem britischen Premier Boris Johnson. Nach Angaben aus dem Élysée-Palast habe Stoltenberg dem französischen Staatschef "für die enge Abstimmung mit den Verbündeten gedankt". Offenbar hat Macron aus den anfänglichen Fehlern seiner Russland-Politik gelernt. 2019 hatte Frankreichs Staatschef den russischen Präsidenten zu einem Besuch in seiner Sommerresidenz am Mittelmeer empfangen. Doch die Hoffnung, dass die Begegnung im Fort de Brégancon die Grundlage für einen neuen Dialog zwischen Europa und Russland bilden könnte, erfüllte sich nicht.

Putin geht es indes in der aktuellen Krise unter anderem darum, eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern. Wegen der komplizierten Lage dämpfte der Kreml die Erwartungen an das Treffen zwischen Putin und Macron. "Die Situation ist zu komplex für entscheidende Durchbrüche nach nur einer Begegnung", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Wie blicken die osteuropäischen EU-Staaten auf Macrons Diplomatie?

Vor seiner Reise nach Moskau telefonierte Macron nicht nur mit Johnson und Stoltenberg, sondern rief auch die Staats- und Regierungschefs von Estland, Lettland und Litauen an. Man habe über die "geeinte Haltung" gesprochen, betonte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas später. An diesem Dienstag treffen sich Macron und Kanzler Scholz in Berlin mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Der französische Staatschef will offenbar dem Eindruck entgegenwirken, mit Putin über die Köpfe der Osteuropäer hinweg Absprachen zu treffen.

Im vergangenen Sommer hatten Macron und die damalige Kanzlerin Merkel einen EU-Gipfel mit Putin vorgeschlagen. Da dieser Vorstoß zuvor nicht intern abgestimmt war, fühlten sich mehrere EU-Staaten – insbesondere die Osteuropäer – brüskiert. Der Vorschlag wurde zurückgewiesen, der Gipfel kam nie zustande. Allerdings stießen auch die jüngsten Interview-Äußerungen des französischen Staatschefs in Osteuropa auf Kritik: Macron sende, wenn auch unabsichtlich, die falschen Botschaften, kritisierte Estlands ehemaliger Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves.

Welche Bemühungen zur Krisenlösung unternehmen Berlin und Paris?

Seit dem Beginn der russischen Intervention in der Ukraine 2014 versuchen Deutschland und Frankreich, zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln. Im Donbass kämpfen von Russland weitgehend gelenkte und massiv unterstützte Separatisten gegen die ukrainische Armee. Seit dem Beginn dieses Krieges starben mindestens 14 000 Menschen. Merkel und der damalige französische Staatspräsident Hollande erreichten in langen, mühsamen Verhandlungen die Minsker Vereinbarungen, die den Weg zu einer Friedenslösung für den Donbass bereiten sollen. Doch der Friedensprozess ist ins Stocken geraten, echte Fortschritte gibt es seit Jahren nicht mehr. Selbst die Waffenruhe an der Kontaktlinie in der Ostukraine wird immer wieder gebrochen.

In den ersten Jahren schien vor allem Merkel in den Vermittlungsbemühungen den Ton anzugeben, doch Macron zeigte sich später bei diesem Thema deutlich aktiver als sein Amtsvorgänger Hollande. Zuletzt kamen im Dezember 2019 Merkel, Macron, Selenskyj und Putin in Paris zusammen. Seitdem gab es kein hochrangiges Treffen im so genannten Normandie-Format mehr. Russland will einem neuen Gipfel nur zustimmen, wenn die Ukraine zuvor bestimmte Bedingungen erfüllt.

Emmanuel Macron (2.v.l), Wladimir Putin (l), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2.v.r), und Wolodymyr Selenskyj kommen im Dezember 2019 zu gemeinsamen Gesprächen im Pariser Schloss Elysee an.
Emmanuel Macron (2.v.l), Wladimir Putin (l), Bundeskanzlerin Angela Merkel (2.v.r), und Wolodymyr Selenskyj kommen im Dezember 2019 zu gemeinsamen Gesprächen im Pariser Schloss Elysee an. © Thibault Camus/AP/dpa

Vor zwei Wochen kamen in Paris die außenpolitischen Berater der vier Staats- und Regierungschefs zusammen. Nach achteinhalb Stunden gingen die Gespräche ohne konkrete Fortschritte zu Ende, doch nach den Jahren des Stillstands war ein Durchbruch auch nicht erwartet worden. Immerhin einigten sich die vier Berater auf eine zeitnahe Fortsetzung der Gespräche: An diesem Donnerstag treffen sie sich erneut in Berlin. Ein neuer Ukraine-Gipfel wäre auch ein diplomatischer Erfolg für Scholz und Macron.

Was bedeuten Macrons Aktivitäten für das deutsch-französische Verhältnis?

Dass sich Frankreichs Staatschef in der Rolle des europäischen Chef-Vermittlers in der Ukraine-Krise sieht, ist für Claire Demesmay, Forscherin am Centre Marc Bloch, nicht verwunderlich. Macron unternehme seine Reise nach Moskau und Kiew "nicht nur als französischer Staatschef, sondern auch als Präsident des EU-Rates", sagt sie. "Diese Doppelrolle verleiht ihm Legitimität gegenüber Russland und anderen internationalen Akteuren".

Die französische EU-Präsidentschaft führt allerdings auch dazu, dass Frankreich auf der Ebene der Europäischen Union und auf der internationalen Bühne im Vergleich zu Deutschland und seiner eben erst in Amt gekommenen Ampel-Koalition als der aktivere Player wahrgenommen wird. Reform des Schengen-Raums, Neujustierung des Verhältnisses zu Afrika, weitere Schritte in Richtung einer europäischen Verteidigungspolitik – Macron hat zu Beginn der Ratspräsidentschaft ein wahres Ideen-Feuerwerk gezündet. Die Politikwissenschaftlerin Demesmay ist der Auffassung, dass Macrons Führungsrolle in der EU "durch seine ehrgeizige pro-europäische Positionierung gestärkt" wird.

Welche innenpolitischen Motive hat Frankreichs Präsident?

Im April werden die Franzosen darüber entscheiden, ob Macron weitere fünf Jahre ihr Präsident sein wird. Deswegen hat Macron auch ein großes innenpolitisches Interesse, sich als erfolgreicher Diplomat in der Ukraine-Krise zu präsentieren. In fast genau zwei Monaten, am 10. April, findet der erste Wahlgang statt. Sein außenpolitisches Wirken birgt Chance und Risiko zugleich.

Einerseits kann er sich als engagierter Krisenmanager präsentieren, der sich nicht davor scheut, eine Lösung mit Putin in Moskau auszuloten. Sollten seine Besuche in Moskau und Kiew die Situation tatsächlich entspannen, könnte er diesen Erfolg für den Wahlkampf nutzen – als Beleg dafür, dass mit ihm an der Spitze Frankreich international Respekt genießt. Im Vorfeld des Treffens mit Putin zitierten französische Medien eine Quelle aus dem Umfeld des russischen Präsidenten: Demnach habe Putin zu Macron gesagt, dass er ein "Gesprächspartner mit Qualität" sei und sie sich die Zeit nehmen würden, "auf den Grund der Dinge" zu gehen. Solche Zitate unterstützen das Bild Macrons, dass er von sich selbst gerne präsentiert.

Andererseits ist die Mission heikel. Die Opposition wirft Macron vor, die EU-Ratspräsidentschaft – und einen denkbaren Verhandlungserfolg in der Ukraine-Krise – für den Wahlkampf zu missbrauchen. Scheitert er mit seinem Versuch zu deeskalieren, dürfte die Opposition dies ebenfalls nutzen und seine Fähigkeiten als Präsident in Frage stellen. Der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour kritisierte Macron bereits am Morgen seines Russlandbesuchs: Macron habe in der Vergangenheit Chancen mit Blick auf Russland nicht genutzt und gute Ideen vertan, sagte Zemmour dem Radiosender "France Inter".