Wie die Bürger jetzt noch entlastet werden können

Von Felix Hackenbruch und Albert Funk
Kommunikativ hat sich die Ampel-Regierung selbst ausgetrickst. Seit Tagen dominieren die Berichte über die Gas-Umlage, die auf Verordnung der Bundesregierung Gas-Kunden in den kommenden eineinhalb Jahren belasten wird. 2,4 Cent pro Kilowattstunde beträgt diese ab dem 1. Oktober. Auf einen Durchschnittshaushalt mit vier Personen kommen bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden rund 480 Euro Mehrkosten im Jahr zu, plus noch einmal rund 100 Euro Mehrwertsteuer.
Damit ziehen SPD, Grüne und FDP den Ärger auf sich, gleichzeitig wird die weitaus größere Belastung noch nicht einmal thematisiert. Denn die Gaspreise steigen auch ohne Umlage um teils 400 bis 500 Prozent, was im Herbst Stück für Stück bei den Verbrauchern ankommen wird.
Wie genau die Regierung das ausgleichen will, hat sie bislang versäumt zu erklären. Dass es weitere Entlastungen braucht, wissen sie in der Ampel bereits seit Monaten. Doch den ganzen Sommer hat man sich nicht auf Details festlegen können. Stattdessen kursieren im Tagesrhythmus neue Vorschläge, die Ideen der Koalitionspartner werden öffentlich diskreditiert, aus dem Kanzleramt kommen keine Ansagen. „Unsere aktuelle Performance ist peinlich“, sagt eine Ampel-Politikerin. Aus Regierungskreisen heißt es inzwischen, man wolle bis zur Einführung der Gas-Umlage am 1. Oktober ein neues Entlastungspaket vorlegen. Die Kabinettsklausur im Brandenburgischen Schloss Meseberg Ende August bietet sich dafür an und es gibt mehrere Möglichkeiten.
Welche Nachbesserungen gibt es an der Gas-Umlage?
Der erste Entlastungsversuch der Ampel bei der Gas-Umlage scheint jetzt schon bereits gescheitert. Deutschland könne auf die Mehrwertsteuer, die noch zusätzlich auf die Umlage erhoben wird, nicht einfach verzichten. „Es gibt keine Möglichkeit für eine Ausnahme bei dieser Art von Abgabe“, sagte ein Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel.
Damit ist Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seiner Bitte gescheitert, die EU solle für die Umlage eine Ausnahme machen. Nun sucht man einen anderen Ausweg: „Die Mehrwertsteuer soll nicht obendrauf kommen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Wie jedoch zielgenau Gas-Kunden, also rund jeder zweiter Haushalt in Deutschland, entlastet werden könnten, ist dabei vollkommen unklar.
Um den Kostenschock zu mindern, ist auch eine Streckung der Umlage, die bislang bis April 2024 befristet ist, weiter im Gespräch. Udo Sieverding, Bereichsleiter Energie der Verbraucherzentrale NRW, hält dies auch für sozialgerecht. Bislang würden vor allem die Privaten die Umlage zahlen, die Industrie profitiere: „Die Umlage enthält zwei Heizperioden, in denen der Heizbedarf mit Gas gedeckt werden muss. Aber nur einen Sommer, in dem der Industriebedarf ohne große Veränderung weiterläuft, aber der Verbrauch der kleinen Gaskunden nur verschwindend gering ist“, sagte Sieverding dem Tagesspiegel.
Eine weitere Forderung kommt aus den eigenen Reihen. Ein Energiepreisdeckel für den Grundbedarf sei der beste Vorschlag, sagte die Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, im „Deutschlandfunk“. Damit verhindere man, dass Menschen nicht mehr heizen oder duschen könnten. „Alles, was über dem Grundbedarf stattfindet, wird dann teurer. So sorgen wir auf der einen Seite fürs Energiesparen und auf der anderen Seite dafür, dass alle gut durch den Herbst und Winter kommen.“ Ähnliche Forderungen hatten bereits die Linke und die Union geäußert.
Welche kurzfristigen Maßnahmen für den Herbst sind im Gespräch?
In den ersten beiden Entlastungspaketen hat die Koalition einige Einzelmaßnahmen beschlossen, an die in einem dritten Paket nun angeknüpft werden kann. Allerdings deutet sich an, das zwei recht umfangreiche Maßnahmen (Kosten von jeweils gut drei Milliarden Euro) nicht mehr kommen – zum einen der Tankrabatt über die verringerte Energiesteuer, zum anderen das Neun-Euro-Ticket, das die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs stark verbilligt hat. Beide laufen im August aus. Praktisch als Anschlussmaßnahme kommt dann allerdings der größte „Happen“ im zweiten Entlastungspaket, das im März beschlossen worden war.

Die Energiepreispauschale für alle Arbeitnehmer in Höhe von einmalig 300 Euro wird erst im September fällig, dann soll sie in der Gehaltsabrechnung stehen. Insgesamt bedeutet diese Einmalzahlung, dass der Staat neun Milliarden Euro ausschüttet. Da die Pauschale versteuert werden muss, bekommen Geringverdiener mehr heraus als Besserverdiener. Ab einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 58600 greift der Spitzensteuersatz von 42 Prozent, bei Paaren ist es das Doppelte.
Unter anderen hat Grünen-Chefin Ricarda Lang eine Wiederholung im Herbst oder Winter ins Gespräch gebracht. Die Pauschale wirkt sehr breit, sei ist auch zügig umsetzbar. Allerdings wurde kritisiert, dass Rentner und Studenten sie nicht bekommen. Das könnte in einem weiteren Paket geändert werden. Unklar ist, wie hoch eine nochmalige Energiepreispauschale sein könnte. Relativ dringlich ist das Problem, dass Haushalte gestiegene Energiekosten nicht bezahlen können.
Bei Mietern kann das bedeuten, dass ihnen die Kündigung der Wohnung oder die Sperrung von Gas und Strom droht. Daher ist seit längerem ein zweifaches Moratorium im Gespräch. Zum einen würde es dann befristet verboten sein, säumige Gas- und Stromkunden vom Netz abzuklemmen. Zum anderen dürften Vermieter ihren Mietern nicht kündigen wenn sie eine höhere Vorauszahlung nicht zahlen können. Vermieterverbände lehnen das ab mit dem Hinweis, dass dann auch Vermietern Zahlungsschwierigkeiten drohen.
Diejenigen, die Wohngeld bekommen (immerhin 710.000 Haushalte), haben schon Anspruch auf einen Heizkostenzuschuss. Er macht in einem Einzelhaushalt 270 Euro aus, bei zwei Personen 350 Euro, mit jedem weiteren Haushaltsmitglied kommen 70 Euro dazu. Studierende mit Bafög bekommen pauschal 230 Euro. Überwiesen wird das Geld im Laufe des Sommers. Für diese Gruppen könnte eine nochmalige Zahlung im Winter die Belastung weiter abfedern.
Welche Entlastungen werden für das Jahr 2023 erwogen?
Im Gesamtpaket der Ampel wird es neben möglichen Einzelmaßnahmen ganz sicher einige Entlastungsvorhaben geben, die frühestens ab dem 1. Januar greifen, dann aber dauerhaft wirken. Kanzler Olaf Scholz (SPD) selbst hat eine umfassende Wohngeldreform für das kommend Jahr angekündigt. Als zweites Projekt der SPD ist die Einführung des Bürgergelds, als Ersatz für Hartz IV, zum 1. Januar von Scholz festgeklopft worden.
Finanzminister Christian Lindner hat, als großes FDP-Vorhaben, ein Inflationsausgleichsgesetz auf den Weg gebracht. Ein Grünen-Großprojekt ist noch nicht sichtbar – ein Hauptziel der Partei ist die Zusammenführung familienpolitischer Leistungen in eine Kindergrundsicherung. Allerdings haben Lang und Familienministerin Lisa Paus schon ein höheres Kindergeld ins Gespräch gebracht. Eine Anzahlung darauf war der Sofortzuschlag für Kinder im ersten Entlastungspaket.
Das Kindergeld wird im Rahmen das Inflationsausgleichs von Lindner ohnehin erhöht, offensichtlich wollen die Grünen hier aber noch draufsatteln, um zusätzliche Entlastung bei Geringverdiener zu erreichen. Der Finanzminister muss sich deutliche Kritik von den Koalitionspartnerinnen anhören. Sein Vorstoß sei sozial unausgewogen, heißt es. Tatsächlich ist die Entlastungswirkung bei der Anpassung der Einkommensteuer an die Inflation bei Höherverdienern nach absoluten Summen größer. Bei Mittelverdienern liegt sie etwa auf Höhe der Energiepreispauschale. Mit etwas höheren Grund- und Kinderfreibeträgen lässt sich, so Vorstellungen in der SPD, hier noch mehr herausholen.
Als Anzahlung auf den Inflationsausgleich hat die Koalition schon den Grundfreibetrag ab 1. Januar 2022 erhöht (wirksam wird das mit den Lohnabrechnung in diesem Sommer), den Arbeitnehmerpauschbetrag (Werbekostenpauschale) von 1.000 auf 1.200 Euro erhöht und die Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer.
Teil der Wohngeldreform könnte neben der Ausweitung des Kreises der Berechtigten auch ein fester Heizkostenzuschuss sein. Beim Bürgergeld gibt es Streit um die Höhe und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das große Entlastungspaket nutzen, um Regelsätze für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger um monatlich 40 bis 50 Euro zu erhöhen. Das lehnt die FDP ab, und möchte stattdessen erreichen, das von Nebenverdiensten mehr bei den Bürgergeldbeziehern hängen bliebe.