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Einblicke in die zerrissene Seele der AfD

Der gebürtige Dresdner Sebastian Pittelkow ist ein Kenner der AfD. Nun legt er mit einer Kollegin ein Buch über die Partei vor.

Von Oliver Reinhard
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Die AfD demonstriert gegen das Asylheim im Spreehotel am Bautzener Stausee. In Sachsen hat die Partei eine Hochburg, hier gibt es besonders viele Sympathisanten, hier ist die Partei besonders extremistisch.
Die AfD demonstriert gegen das Asylheim im Spreehotel am Bautzener Stausee. In Sachsen hat die Partei eine Hochburg, hier gibt es besonders viele Sympathisanten, hier ist die Partei besonders extremistisch. © Steffen Unger

Sebastian Pittelkow ist Mitglied des Rechercheverbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Zu dessen großen Themen gehörten der Whistleblower Edward Snowden, Salafisten in Deutschland, VW-Abgasskandal und Panama Papers. Seit Jahren recherchiert der 1982 in Dresden geborene Journalist über die AfD, die in seiner sächsischen Heimat besonders stark ist. Wir sprachen mit ihm über diese Partei, die er für die größte politische Bedrohung unserer demokratischen Kultur hält.

Herr Pittelkow, seit dem Parteitag in Riesa und ihrer erneuten Radikalisierung ist es eher still geworden um die AfD. Ist die Partei auserzählt und journalistisch uninteressant geworden?

Nein. Ich glaube im Gegenteil, dass es wichtig bleibt, sie journalistisch zu begleiten, auch weil es die Partei wie so oft in der Vergangenheit schafft, unter den großen Krisen dieser Zeit weniger durch ihre Radikalität aufzufallen. Genau genommen sind es momentan mit dem Ukrainekrieg und der Energiekrise sogar zwei Krisen, auf die sich das Hauptinteresse der Medien und der Öffentlichkeit konzentriert.

Und die AfD im Aufmerksamkeits-Schatten liegt?

So würde ich das sehen. Im besten Fall besetzt sie diese Krisen auch noch thematisch wie jetzt mit ihrer Russlandfreundlichkeit und Kritik am Westen und lenkt davon ab, dass sie auf die meisten und wichtigsten politischen Fragen der Zukunft keine Antworten hat und das auch gar nicht braucht. Sie bedient die Krise und profitiert davon. Sie nutzt die lauten Straßenproteste aus und die Sorgen vieler Menschen angesichts der Energiepolitik. Indem sie das bedient, kommt sie zu ihren Umfragehochs, und zusätzlich kehrt Ruhe um sie ein.

Auch im Inneren der Partei?

Nein, davon will sie ja ebenfalls ablenken. Die äußere Ruhe täuscht hinweg über die inneren Streitigkeiten und Kämpfe in dieser Partei, die vielen Verfehlungen und Skandale und darüber, dass sie immer mehr in Richtung Rechtsextremismus driftet. So innerlich konfliktgeladen und zerrissen wie die AfD ist keine andere Partei.

Mit seinen Kolleginnen und Kollegen konnte Sebastian Pittelkow geheime Chats der AfD sichten. Was er dort las, hat selbst ihn in seiner Härte und Gewalthaltigkeit doch noch überrascht.
Mit seinen Kolleginnen und Kollegen konnte Sebastian Pittelkow geheime Chats der AfD sichten. Was er dort las, hat selbst ihn in seiner Härte und Gewalthaltigkeit doch noch überrascht. © Sebastian Schneider

Was halten Sie von der These, die AfD sei eigentlich gar keine reine Protestpartei mehr?

Das sehe ich anders. Eine reine Protestpartei ist sie sowieso nicht, sondern eine rechtsradikale Protestpartei, das darf man nicht vergessen. Und was wir in der Geschichte der rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien sehen, sehen wir auch bei der AfD: Sie braucht die Straße, sie sieht sich selbst als verlängerten Arm der Straße, als politischen Arm der Straße. Das wurde spätestens deutlich, nachdem die Eurokritiker aus dem Lucke-Lager, die die AfD ja einst gegründet hatten, die Partei verlassen hatten. Als es im Jahr 2015 in die sogenannte Flüchtlingskrise ging und später in die Corona-Pandemie hat sich die AfD auf diese Themen genauso gesetzt wie jetzt auf die Anti-Energiepolitik- und Anti-Westen-Demonstrationen. Die Partei braucht den Protest, sie saugt die Kraft der Straße auf. Sie ist eine Dagegen-Partei, weil sie kaum Dafür-Inhalte hat.

Interessant finde ich, dass die AfD offenbar aus Prinzip gegen alles ist, was angeblich der sogenannte Mainstream will: gegen Waffen für die Ukraine, gegen Tempolimit, gegen mehr Minderheitenrechte, gegen E-Mobilität, gegen sensible Sprache, gegen das Gendern …

Ich würde das eher Kalkül nennen. Was Sie genannt haben, sind Themen, mit denen viele Leute unzufrieden sind. Veränderungen, vor denen sich viele Menschen auch Sorgen machen. Politik wird durch die Aneinanderreihung von realen Krisen und der Globalisierung immer schnelllebiger. Da fällt es vermeintlich leichter, gegen etwas zu sein als dafür und die sozialen Sorgen und Ängste, die daraus entstehen, fängt die AfD ein.

Der Parteitag in Riesa hat gezeigt, dass der eindeutig rechtsextreme Thüringer Fraktionschef die eigentliche Nummer eins der AfD ist und ihr immer mehr seinen Stempel aufdrückt. Ist es da überhaupt noch korrekt, von einer „rechten“ Partei zu reden, die nur „in Teilen rechtsextrem“ ist?

Na ja, man darf nicht vergessen, dass der Hauptteil der Mitglieder und der Wählerschaft der AfD im Westen dieses Landes liegt, im Osten aber die Erfolge geholt werden. Und dieser Zustand birgt eine große Gefahr für die Partei: Dass sie, wenn Extremisten wie Höcke und Co. ihre Linie jetzt weiter behaupten können, sich verzwergen könnte und immer mehr zur reinen Ostpartei wird. Sie wird damit umgehen müssen, dass im Westen gegebenenfalls ein Großteil der Mitglieder oder der Wähler diese zunehmende Rechtsradikalisierung nicht mehr tragen will.

Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla geben sich oft weniger radikal als das Höcke-Lager. Doch da die Partei immer ostdeutscher und immer extremistischer wird, ist die Zukunft der beiden ungewiss.
Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla geben sich oft weniger radikal als das Höcke-Lager. Doch da die Partei immer ostdeutscher und immer extremistischer wird, ist die Zukunft der beiden ungewiss. © dpa

Hinzu kommt der Druck, dass die Partei es bislang noch nirgends in Regierungsverantwortung geschafft hat, auch die Jagd nach Landrats-Ämtern war ja erfolglos.

Das ist für die AfD ein politisches Dilemma, und das hören wir aus der Partei immer wieder, gerade hier in Sachsen und Thüringen. Selbst wenn die AfD nach den Umfragewerten stärkste Kraft in diesen beiden Ländern ist, reicht das womöglich für einen dauerhaften Zuspruch ihrer Wähler nicht, wenn sie es nicht gleichzeitig schafft, irgendwann tatsächlich in Regierungsverantwortung zu kommen, weil niemand mit ihnen koalieren will. Die Partei muss, um auch im Osten erfolgreich zu bleiben, ihren Wählern irgendwann beweisen: Wenn ihr uns wählt, können wir den Wandel der Gesellschaft nach rechts umsetzen. Wir können unsere Politik durchsetzen, so radikal sie auch sein mag. Wenn also die AfD den Weg der Radikalisierung weitergeht, wird sozusagen ihr politischer Korridor immer schmaler.

Ist das der Grund dafür, dass die Partei den Weg der Rechtsextremisierung noch nicht wirklich offen und konsequent geht und Björn Höcke statt in den Parteivorsitz zu gehen lieber noch im Hintergrund bleibt?

Ich glaube, Höcke ist aus anderen persönlichen strategischen Gründen vorsichtig. Er testet seit Jahren immer wieder, wie stark er das Sagbare auch innerhalb der Partei nach rechts verschieben kann. Erst redete er vom afrikanischen „Ausbreitungstyp“, dann vom „Mahnmal der Schande“, dann benutzte er ganz bewusst das Wort „ausschwitzen“ in eindeutigem Zusammenhang. Er ist mit seiner Art immer wieder an Grenzen gestoßen, hat zwei Parteiausschlussverfahren durchlaufen, hat aber die Partei trotzdem immer weiter nach rechts bewegen können, weil sie ihn letztlich immer wieder gewähren lässt.

Trotzdem bleibt er in Deckung, weil …?

… er genau weiß, dass er den Westen sonst verliert, und den braucht er nun mal. Er nutzt lieber den vorpolitischen Raum, die rechten und rechtsradikalen Medien, das Institut für Staatspolitik in Schnellroda – ein rechtradikaler Thinktank – oder die Straße, wie bei Pegida. Höcke hat es geschafft, diese vorpolitischen Räume zu besetzen und sie immer enger an die Partei zu binden. Gleichzeitig hat er auf dem Parteitag in Riesa im Juni mit seinen Getreuen einen Bundesvorstand durchbekommen, der so rechtsradikal ist wie noch nie.