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"Ein großer Sachse ist von uns gegangen"

Viele Menschen würdigen Kurt Biedenkopfs politisches Erbe. Darunter die Kanzlerin, der Bundespräsident und Weggefährten aus Sachsen.

Von Fabian Deicke & Maximilian Helm
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Bis ins hohe Alter trat Kurt Biedenkopf öffentlich auf und hielt Vorträge - wie hier in der Dreikönigskirche in Dresden.
Bis ins hohe Alter trat Kurt Biedenkopf öffentlich auf und hielt Vorträge - wie hier in der Dreikönigskirche in Dresden. © Ronald Bonß

Dresden. Die Nachricht zum Tod von Kurt Biedenkopf hat am Freitagmorgen deutschlandweit die Menschen bewegt. Über soziale Medien oder in öffentlichen Mitteilungen bekunden Politiker und Parteien ihre Trauer und Mitgefühl.

Der frühere Ministerpräsident Sachsens war am Donnerstagabend im Alter von 91 Jahren gestorben. Der in Ludwigshafen geborene Biedenkopf machte sowohl im Westen als auch nach der Wende im Osten politische Karriere. Der CDU-Politiker war Sachsens erster Ministerpräsident nach der Wiedervereinigung und führte von 1990 bis 2002 die Regierung.

Kretschmer: "Ein Platz in der sächsischen Geschichte"

Michael Kretschmer (CDU), Sachsens amtierender Ministerpräsident, würdigte in einem ersten Pressestatement Kurt Biedenkopf als eine große deutsche Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts und als klugen Visionär für den Freistaat. "Ein großer Sachse ist von uns gegangen. Als Ministerpräsident hat er das Fundament für eine erfolgreiche Entwicklung unserer Heimat gelegt - stark in Deutschland, geachtet in der Welt, bereit für die Zukunft." Biedenkopf werde aufgrund seiner Verdienste "auf Dauer einen Platz in der sächsischen Geschichte haben", so Kretschmer weiter.

Kurz darauf trat Kretschmer in der Staatskanzlei vor die Kameras und eröffnete mit den Worten: "Heute ist ein trauriger Tag für den Freistaat Sachsen." Das Video-Statement wurde auf dem Twitter-Kanal des Ministerpräsidenten geteilt.

Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) ist ein langjähriger politischer Weggefährte Biedenkopfs. Er teilt persönliche Erinnerungen: Ich persönlich erinnere mich an Fraktions- und Kabinettssitzungen mit Kurt Biedenkopf, die durch ganz viel Gestaltungswillen und trotz eines engen Miteinanders auch durch faire und in der Sache harte Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren.

Als ‚Wanderer zwischen Politik und Wissenschaft‘ gelang es ihm, den Wiederaufbau unserer sächsischen Heimat voranzubringen und die Politik des Freistaates zu prägen wie kein anderer. Seine Tatkraft und Weitsicht haben mich tief beeindruckt. Er hatte das richtige Gespür für die Sachsen. Er gab den Menschen nach 1990 Orientierung, stärkte die sächsische Identität und ermutigte zu einem neuen Selbstbewusstsein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Kurt Biedenkopf war ein herausragender politischer Vor- und Neudenker. [...] So war es ein Glück, dass Kurt Biedenkopf sich 1990 für den wiederentstehenden Freistaat Sachsen in die Verantwortung nehmen ließ. [...] Für sein Vertrauen, seine Anregungen und seinen Rat werde ich ihm immer dankbar sein.

Thomas de Maizière, ehemaliger Bundesverteidigungsminister und selbst auch eine prägende Figur der sächsischen Politik, fand persönliche Worte: "Mit Kurt Biedenkopf geht ein Großer. Er verband Intellekt, Führung und Menschlichkeit. Bedeutend wurde er schon im Westen Deutschlands, herausragend in und für Sachsen. Kurt Biedenkopf war ein aufgeklärter Patriot, ein weltoffener Staatsmann. Auch persönlich habe ich ihm viel zu verdanken, vor allem die unbedingte Suche nach geistiger Klarheit mit der Fähigkeit zum Kompromiss. Ich bin traurig und dankbar."

Steinmeier: "Politik und Wissenschaft zu verbinden gewusst"

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reagierte auf die Nachricht und richtete seine Worte direkt an die Witwe Ingrid Biedenkopf. "Die Nachricht erfüllt mich mit großer Trauer. Gerne denke ich in diesen Stunden an die vielen Gespräche und Begegnungen mit Ihrem Mann zurück. Kurt Biedenkopf hat Politik und Wissenschaft in beeindruckender Weise zu verbinden gewusst. Als Modernisierer hat er die Volkspartei CDU und die Reformfähigkeit Deutschlands gestärkt." schrieb Steinmeier.

Am Freitag äußerten sich ungeachtet des Parteibuches alle Fraktionen im Sächsische Landtag in Mitteilungen respektvoll über Biedenkopf und würdigten seine langjährigen Verdienste. Das schreiben die Fraktionen:

  • CDU: Für Sachsen war Prof. Kurt Hans Biedenkopf ein Glücksgriff. Mit ihm sind unwiderruflich der Aufbau und die positive Entwicklung unseres Freistaates seit 1990 verbunden. Dabei haben wir ihm weit mehr zu verdanken, als in Beton gegossene erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Es ist nicht zuletzt auch sein Verdienst, dass die Sachsen ein neues Selbstbewusstsein entwickelt haben. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik war er der CDU-Fraktion immer ein guter Ratgeber. Wir haben einen großen Sachsen verloren. Er wird uns allen fehlen. Unsere Gedanken und Gebete sind bei seiner Frau Ingrid und seinen Angehörigen.

  • SPD: Mit Kurt Biedenkopf geht ein Politiker, der den Wiederaufbau Sachsens nach der friedlichen Revolution maßgeblich verantwortet und vorangetrieben hat. Dafür sind dem einstigen Ministerpräsidenten viele Bürger*innen bis heute dankbar. Die Wiedergründung des Freistaates ist eng mit seinem Namen verbunden. Wir denken in diesen schweren Stunden an seine Angehörigen und Freunde und sprechen unser Beileid aus.

  • Grüne: Im Namen der gesamten BÜNDNISGRÜNEN-Fraktion spreche ich [Fraktionsvorsitzende Franziska Schubert, Anm. d. Red.] seiner Frau Ingrid sowie der gesamten Familie von Kurt Biedenkopf unser aufrichtiges Beileid aus. Mit Kurt Biedenkopf verliert Sachsen eine seiner zentralen politischen Persönlichkeiten. Er scheute auch nach dem Ende seiner Amtszeit als sächsischer Ministerpräsident nicht die Debatte und war bis zuletzt ein Impulsgeber für Diskussionen um die Zukunft des Freistaates.

  • Linke: Politisch wie persönlich verband uns wenig mit dem ersten sächsischen Nachwende-Regierungschef – aber auch wir erkennen an, dass er als konservativer Intellektueller den Freistaat Sachsen nach 1990 wie wohl kein anderer Mensch geprägt hat. Der politische Neustart Sachsens war zugleich seine Chance auf einen persönlichen Neustart, die er engagiert ergriff. Unser Umgang war gemessen an unseren Differenzen fair, doch nie bösartig. Ein Urteil über die Bilanz von ,König Kurt‘ obliegt jeder und jedem selbst.

  • AfD: Wir möchten der gesamten Familie Biedenkopf unser tiefempfundenes Beileid aussprechen. Die Sachsen waren stets sehr stolz auf ihren langjährigen Landesvater, der sich bis zuletzt mit überparteilichen und erfrischenden Wortmeldungen ins politische Geschehen einmischte. Nach der Deutschen Einheit war es für Sachsen von großer Bedeutung, dass mit dem damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf eine authentische, konservative Identifikationsfigur an der Spitze unseres Freistaates stand.

Reaktionen aus Sachsen und Deutschland

Die sächsische Staatskanzlei reagiert auf Twitter. "Ein großer Sachse, ein großartiger Mensch ist von uns gegangen", heißt es auf dem Account der Staatsregierung.

Amtierende sächsische Minister äußern sich ebenfalls auf Twitter. Sachsens Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) würdigt Biedenkopfs Verdienste nach der Wende und bezeichnet ihn als "großen Menschen und prägenden Politiker".

Sachsens Umwelt- und Energieminister Wolfram Günther (Grüne) schreibt in einer Stellungnahme, dass Biedenkopf "mit seinem kulturellen und gesellschaftspolitischen Engagement und nicht zuletzt mit seinen frühen Gedanken zur Nachhaltigkeit Bleibendes hinterlässt."

Armin Laschet, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und CDU-Kanzlerkandidat, gab ein Live-Statement ab. Laschet würdigte Biedenkopf als "Ausnahmepolitiker" und "Staatsmann und Landesvater im besten Sinne". Biedenkopf sei es gelungen, Sachsen zu einer blühenden Landschaft und zu einem Hightech-Standort zu machen, sagte Laschet einen Tag nachdem er in Dresden unter anderem eine Chip-Fabrik besucht hatte.

Armin Laschet spricht im Konrad Adenauer Haus, der CDU-Parteizentrale, zum Tod des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) in einem Live-Statement.
Armin Laschet spricht im Konrad Adenauer Haus, der CDU-Parteizentrale, zum Tod des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) in einem Live-Statement. © Kay Nietfeld/dpa

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schreibt an Ingrid Biedenkopf: "Kurt Biedenkopfs beispielhaftes und intensives politisches Leben werden mir und den Menschen in unserem Land im Gedächtnis bleiben. Herausheben möchte ich insbesondere seine Leistung beim Wiederaufbau Sachsens nach der deutschen Wiedervereinigung zu einem erfolgreichen Bundesland und seinen Beitrag für die innere Einheit Deutschlands."

"Beeindruckt war ich von seiner klaren Abgrenzung zur AfD, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Er hat damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung einer breiten demokratischen Gesellschaft geleistet. Für diese Klarheit gebührt ihm mein Dank. Mit seinem Tod geht uns ein international gebildeter Jurist, Wissenschaftler und Politiker, vor allem aber ein engagierter Demokrat verloren."

Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Alexander Lambsdorff bezeichnete Biedenkopf als sein "erstes politisches Vorbild".

Vertreter der sächsischen Kirchen haben ebenfalls Abschied genommen. Landesbischof Tobias Bilz schreibt aus seinem Urlaub: "Als erster Ministerpräsident des Freistaates Sachsen hat Kurt Biedenkopf nach der Friedlichen Revolution und der Deutschen Wiedervereinigung in besonderer Weise identitätsstiftend und verbindend für das Land Sachsen gewirkt. Er war viel unterwegs im Land, war nah bei den Menschen und hat sich maßgeblich für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen eingesetzt, weshalb er in Sachsen bis heute eine hohe Anerkennung und Wertschätzung genießt.“ Insbesondere in den frühen 90iger Jahren sei es ihm ein wichtiges Anliegen gewesen, das Verhältnis von Staat und Kirche nachhaltig und konstruktiv zu prägen.

Bischof Heinrich Timmerevers sagt:„Kurt Biedenkopf war ein Mann, der Visionen und Tatkraft in seiner Person vereinte. Seinem Engagement ist es maßgeblich zu verdanken, dass der Freistaat Sachsen nach der Friedlichen Revolution und der Deutschen Wiedervereinigung eine so positive Entwicklung genommen hat. Als erster Ministerpräsident nach der Wiedergründung des Freistaats hat er Sachsen nachhaltig geprägt und genießt dadurch bis heute höchste Wertschätzung."

"Den Kirchen war er immer ein verlässlicher Partner. Religionsunterricht wurde zu einem ordentlichen Lehrfach, Freie Schulen konnten neu gegründet werden. Mit dem Staatskirchenvertrag wurde das Zueinander von Kirche und Freistaat auf eine neue Grundlage gestellt. Wir danken ihm für seinen hohen Einsatz für die Christen und alle Menschen in Sachsen und werden die Erinnerung an ihn wachhalten. Als gläubiger Christ hat er seine Hoffnung auf die Auferstehung gesetzt. Wir wünschen ihm, dass er jetzt in Gott die Fülle des Lebens empfängt."

Selbst in der Opposition finden Politiker lobende Worte. "Als erster Ministerpräsident nach der Wiedervereinigung hat Kurt Biedenkopf Sachsen maßgeblich geprägt", schreibt AfD-Sprecher Tino Chrupalla aus Görlitz. Und seine Mit-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Alice Weidel schreibt: "Mit Kurt Biedenkopf ist einer der letzten Charakterköpfe der Politik von uns gegangen."

Eine Reaktion der amtierenden Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), irritierte etwas. Die frühere Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz bezeichnete auf Twitter Kurt Biedenkopf als "eine besondere Persönlichkeit" sowie als einen "Vor-, Quer- und Neudenker". Die Formulierung um den Begriff "Querdenker" erscheint im Lichte der Ereignisse in der Corona-Pandemie etwas deplatziert.