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Der Parteitag in Bonn zeigt, wie sehr sich die Grünen verändert haben

Beim Parteitag der Grünen wirbt Realo Robert Habeck um die Herzen der Basis. Zum Auftakt stellt die Partei einen Frieden zur Schau, der von der Spitze teils erkauft wurde.

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Robert Habeck braucht seine Partei. Ihr Vertrauen als Rückendeckung und Beinfreiheit zugleich.
Robert Habeck braucht seine Partei. Ihr Vertrauen als Rückendeckung und Beinfreiheit zugleich. ©  dpa/Kay Nietfeld

Von Felix Hackenbruch

Kurz schließt Robert Habeck die Augen. Er atmet tief ein, saugt den Applaus auf. Dann verbeugt er sich zweimal kurz vor seinen Parteifreunden, die sich vor ihm im großen Saal es World Conference Center in Bonn von ihren Stühlen erhoben haben. Auch Habeck beginnt zu applaudieren – aber nicht sich selbst, sondern seiner Partei.

Viel hat der Wirtschaftsminister den Grünen in den ersten zehn Monaten in der Regierung zugemutet. Waffenlieferungen an die Ukraine, reaktivierte Kohlekraftwerke, Besuche bei arabischen Autokraten auf seiner fossilen Shoppingtour, der rasante Bau von LNG-Terminals an der norddeutschen Küste, reduzierte Umweltstandards beim Bau von Windanlagen.

Alles hat die Partei mitgetragen, trotzdem steht der Vizekanzler seit Wochen unter enormen Druck. Sein Wirtschaftsministerium bekommt die Energiekrise nicht in den Griff, sagen selbst Parteifreunde, die ihm gewogen sind. Zu groß sind die Probleme in der Energieversorgung in Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.

„Dieser Winter wird hart werden“, prognostiziert Habeck und meint damit auch die Anfeindungen, die er für seinen Kurs erwartet. Doch Habeck hat auch eigene Fehler gemacht. Bei der verbockten Gasumlage, bei patzigen TV-Auftritten und vor allem im zermürbenden Streit um die Atomkraft. Seine Umfragewerte sind eingebrochen bevor der Winter begonnen hat. Und Opposition und Liberale treiben ihn weiter.

Habecks Partei: Rückendeckung und Beinfreiheit

Habeck braucht seine Partei. Ihr Vertrauen als Rückendeckung und Beinfreiheit zugleich. Also wirbt er in Bonn um die Herzen der Delegierten wie selten. „Die Partei hat bewiesen, dass sie zurecht in der Verantwortung steht“, sagt er mit Blick auf die vielen Kompromisse.

In seinen 20 Jahren bei den Grünen habe er sich noch nie so zuhause gefühlt wie aktuell. „Nie war ich so stolz auf diese Partei“, sagt Habeck. Kurz bricht seine Stimme und die Augen wirken glasig. Ob Rührung oder Rhetorik – die Basis ist begeistert. Schon während der Rede springen die Delegierten immer wieder auf, applaudieren lautstark.

Das liegt auch daran, weil Habeck in seiner Rede mehrfach gegen die Liberalen austeilt, mit denen sich die Grünen in den vergangenen Wochen fast dauerhaft streiten. „Wir müssen nicht überlegen, warum wir in der Regierung sind. Wir müssen nicht unser Profil schärfen“, ruft Habeck.

Es ist das erste Mal, dass sich die Grünen seit Kriegsbeginn treffen, coronabedingt das erste Mal seit 2019 wieder in Präsenz. Für rund 40 Prozent der 817 Delegierten ist es das erste Mal auf einem Parteitag überhaupt – darunter vermutlich viele der Menschen, die während des grünen Hypes unter Habeck und Annalena Baerbock an der Parteispitze bei den Grünen eingetreten sind.

Gegenwind von Pazifisten, Atomkraft- und Kohlegegnern

Die Partei hat sich verändert. In die Mitte der Gesellschaft wollte man, nun sind dutzende Sponsoren mit Ständen auf dem Parteitag – vom Chemiekonzern Bayer, über den Gesamtverband der Versicherer und die deutsche Geflügelwirtschaft bis hin zum Discounter Lidl. Als Gastredner ist am Freitag Siegfried Russwurm, Präsident der Deutschen Industrie, nach Bonn gekommen. Eine Veranstaltung ganz nach dem Geschmack von Oberrealo Habeck.

Doch es gibt auch die Menschen in Bonn, die von den Grünen enttäuscht sind. Sie stehen vor dem World Conference Center. Die Anti-Atomkraft-Bewegung hat mobilisiert und alle Zufahrtswege mit Transparenten plakatiert.

Auch Kohlegegner sind da, die Habeck für seinen Deal mit dem Energiekonzern RWE kritisieren, der bald das Braunkohledorf Lützerath abbaggern wird. Und dann sind da noch die Pazifisten, die den Grünen in der Ukraine Kriegstreiberei vorwerfen.

Ihnen widerspricht Parteichefin Ricarda Lang in ihrer Auftaktrede vehement. „Kriegstreiber gibt es in dieser Situation nur einen einzigen – und der heißt Wladimir Putin.“ Die Parteilinke fordert schnellere und entschlossenere Waffenlieferungen an die Ukraine. „Die Zeit der Zögerlichkeiten ist vorbei.“

30 Minuten spricht die 28-Jährige, die seit Februar gemeinsam mit Omid Nouripour die Partei führt, ohne Skript, Teleprompter oder Pult und skizziert ihre Vorstellungen der Grünen. Einmal mehr stellt sie dabei die soziale Frage in den Mittelpunkt als Ausgleich zu den multiplen Krisen. „Gerechtigkeit ist die Grundlage und Klimaschutz bleibt die Aufgabe“, sagte Lang.

Atomkraftpolitik als interner Streitpunkt

Sie ist es auch, die später am Abend den mit Spannung erwarteten Antrag für die Atom-Einsatzreserve einbringt. Trotz großer Bedenken solle die Partei dem Plan des Wirtschaftsministers zustimmen, die Laufzeit der beiden süddeutschen Atomkraftwerke noch einmal für drei Monate zu verlängern.

„Wir machen Politik für die Realität, die da ist, nicht die, die wir uns gewünscht haben“, sagt Lang. Sie zieht aber auch ihre roten Linien.

In der Halle gibt es zwar viele Zweifler, aber kaum Gegenreden. Grünen-Urgestein Karl-Wilhelm Koch hält dagegen: „Wer garantiert uns, dass wir den 15. April nicht auch wieder kippen?“ Der Atomausstieg sei mühsam mit Betreibern, der Anti-AKW-Bewegung und den Menschen vor Ort erarbeitet worden. „Diesen Kompromiss geben wir jetzt auf, weil die FDP meint, Wahlkampf machen zu müssen.“

Doch die versammelte Parteispitze – Habeck, Umweltministerin Steffi Lemke, Ex-Umweltminister Jürgen Trittin – bringen die Delegierten auf Linie. Isar 2 und Neckarwestheim 2 sollen laut Beschluss bis zum 15. April laufen dürfen. Das Atomkraftwerk Emsland soll dagegen vom zum Jahreswechsel vom Netz gehen, der Kauf von Brennstäben bleibt ein Tabu.

Wie der festgefahrene Streit mit der FDP, die nach verlorenen Landtagswahlen genau das fordert, gelöst werden kann, löst unter den Funktionären in der Halle Ratlosigkeit aus.

Verhandlungsspielraum hat Habeck nun quasi keinen mehr. Für ihn kann die Entscheidung zum Risiko werden. Die Verantwortung für die Versorgungssicherheit trägt er.

Ein Parteifrieden - von der Grünenspitze erkauft

Doch an diesem Abend stellen die Grünen ihren Parteifrieden zur Schau. Ein Frieden, der von der Parteispitze teils erkauft wird. Bei vielen Anträgen sucht sie den Kompromiss mit der Basis.

100 Milliarden Euro beschließt der Parteitag für zusätzliche Klimaschutzinvestitionen. Auch die Forderung eines temporären Mietenstopps in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten verabschieden die Delegierten.

Zudem soll eine Vermögensabgabe zur Krisenbewältigung kommen. Wie solche Forderungen angesichts leerer Kassen und des liberalen Koalitionspartners umsetzbar sein sollen, bleibt offen.

Die Regierung mache nicht immer die beste Figur, gesteht Habeck in seiner Rede. „Es ist auch gar nicht schön manchmal“, sagt er. Doch es lohne sich in der Regierung zu sein.

Im Kompromiss liege eine Stärke. „Schaut auf die Kraft, die entsteht, wenn eine Partei sich nicht parteilich kleinkariert verhält, sondern sich an der Wirklichkeit messen lässt“, ruft Habeck und wird bejubelt.

Der Realo wird sich schon am Sonntag wieder den Delegierten stellen müssen, wenn über seinen Deal für das Kohledorf Lützerath abgestimmt wird. Die Parteijugend will die Entscheidung gegen das Symbol der Klimabewegung nochmals prüfen lassen. Habeck wird das Vertrauen und die Beinfreiheit seiner Partei nochmals brauchen.