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Bilanz: ein Jahr SPD-Doppelspitze

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind die leisesten SPD-Vorsitzenden seit langem. Ob sich das auszahlt?

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Die beiden SPD-Bundesvorsitzenden: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Die beiden SPD-Bundesvorsitzenden: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. © Michael Kappeler/dpa

Von Basil Wegener, dpa

Berlin. Die Sigmar-Gabrielisierung der SPD ist ausgeblieben. Vor so einem Schreckensszenario hatte ein einflussreicher Abgeordneter Anfang Januar gewarnt, im Gespräch vor dem SPD-Fraktionssaal im Reichstagsgebäude, als sich dort noch viele Menschen treffen konnten und kein Corona fürchten mussten.

Den Parlamentarier hatte geärgert, dass die frisch gewählten Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit einer neuen Idee nach der anderen an die Öffentlichkeit geprescht waren - ohne Abstimmung in der Partei oder dem Organisieren von Mitstreitern.

So gehe es nicht weiter, meinte der Sozialdemokrat damals. "Sonst droht die Sigmar-Gabrielisierung der SPD." Also eine Spontihaftigkeit wie unter dem früheren Parteichef Gabriel. Was hat sich seither getan und wie sind die Aussichten für die SPD?

Die Vorgeschichte

Andrea Nahles löste am 2. Juni 2019 mit der Ankündigung ihres Rücktritts von der Parteispitze eine beispiellose Selbstbeschäftigung der SPD aus. Nach langer Deutschlandtour von zuletzt noch sechs Kandidatenduos stimmten 53 Prozent der teilnehmenden Mitglieder für die Bundestagsabgeordnete Esken und den früheren NRW-Finanzminister Walter-Borjans - nur 45 Prozent für die Brandenburgerin Klara Geywitz und Finanzminister Olaf Scholz. Am 6. Dezember 2019 wurden Esken und Walter-Borjans dann auf einem SPD-Parteitag in Berlin zu den neuen Vorsitzenden gewählt.

Der Start

Am Anfang rumpelte es ziemlich. Esken und Walter-Borjans fehlte es an einem eigenen Team im Willy-Brandt-Haus und an einem klar erkennbaren Plan. Weite Teile des Parteiestablishments beäugten argwöhnisch jeden Schritt.

In der Öffentlichkeit dominierten kritische bis hämische Kommentare. Kopfschütteln riefen Esken und Walter-Borjans mit Interviews hervor. Mal forderten sie ein Tempolimit, mal eine neue Steuer auf Bodenspekulationen.

Performance der SPD

Ausgerechnet unter den beiden Ober-Grokokritikern Esken und Walter-Borjans regiert die SPD nun schon seit Monaten mit einem Gesetz nach dem anderen reibungslos mit. SPD-Ministerpräsidenten, -Fraktionsspitze, -Minister - niemand scheint sich ausgebootet zu fühlen, alle scheinen mit ihrer Rolle im Reinen.

In der SPD scheint Basta-Politik und interner Hickhack tatsächlich der Vergangenheit anzugehören. Walter-Borjans sagt: "Eine wichtige Stütze bleibt dabei der häufige und intensive Austausch mit den Mitgliedern und Funktionsträgern der SPD in der Fläche - zurzeit natürlich überwiegend online - mit zeitweise 800 Teilnehmenden."

Zustand der Koalition

Und auch der Dauerkrach in der Koalition von der ersten Hälfte der Wahlperiode scheint lange her. Das liegt aber wohl vor allem daran, dass die Regierung dazu keine Zeit hat, sondern das Land seit März durch eine fundamentale Krise steuern muss.

Da fällt es schon aus dem Rahmen, dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Bayerns Regierungschef Markus Söder jetzt in einem Interview unangemessene Selbstinszenierung in der Krise vorwarf: "Ich bin überrascht, wie theatralisch und selbstverliebt der bayerische Ministerpräsident nach der Ministerpräsidentenkonferenz schon wieder aufgetreten ist."

Versprechen der Partei

Mit vielem aus dem SPD-internen Wahlkampf und den ersten Tagen als Chefs konnten sich Esken und Walter-Borjans nicht durchsetzen. Vor allem ihre Groko-Kritik verebbte ohne auf einen Blick sichtbare Folge. Gespräche mit der Union über Nachbesserungen am Koalitionskurs wollten sie führen.

Allerdings ist eine Kernforderung Realität geworden. "Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft für unsere Kinder entgegensteht, dann ist sie falsch, dann muss sie weg», hatte Walter-Borjans gefordert. Mittlerweile hat auch die Union ihr jahrelanges Mantra aufgegeben, dass die Schuldenbremse heilig sei. Allerdings wohl kaum, weil die SPD sie überzeugt hätte, sondern wegen der Corona-Krise, von der vor einem Jahr noch niemand etwas ahnte.

Inhaltliche Erfolge

Das SPD-Spitzenduo hält für sich zugute, dass viele wichtige Entscheidungen der vergangenen zwölf Monate im Koalitionsausschuss bei Kanzlerin Angela Merkel getroffen worden seien. Auch sie hätten das Gremium im Kanzleramt zu einem Motor für politische Beschlüsse gemacht.

Nicht unerwähnt lassen sollte man allerdings auch, dass Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz kein ganz unwesentliches Wörtchen mitredet beim Kurs in der aktuellen Wirtschaftskrise.

Erfolg beim Wähler

Vor einem Jahr wurde Esken gefragt: "Was sind denn die Ziele, die Sie bis Ende 2020 erreichen wollen?". Sie antwortete: "Zustimmungswerte für die SPD von 30 Prozent und vielleicht mehr." Im Donnerstag von der ARD veröffentlichten Deutschlandtrend liegt die SPD bei 15 Prozent - Grünen: 21 Prozent, CDU/CSU: 36 Prozent.

Bei den beliebtesten Politikern liegt der SPD-Kanzlerkandidat Scholz hinter Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und Söder auf Platz vier und büßte acht Punkte ein. Für den Bundestagswahlkampf setzt die SPD vor allem auf eine Frau: Angela Merkel. Oder besser gesagt darauf, dass die Unionswähler noch rechtzeitig erschrecken, wenn sie merken, dass es danach tatsächlich bald Schluss ist mit der gefühlt ewigen Kanzlerin.

Wie sind die Aussichten?

Die SPD will nach der Wahl keine große Koalition mehr. Aber über ein rot-rot-grünes oder ein Ampelbündnis wird im Regierungsviertel derzeit viel, viel seltener spekuliert als über Schwarz-Grün. Esken lässt sich dadurch nicht beirren. "Was mit CDU/CSU nicht zu verhandeln war, zeigt, wie dringend wir in Deutschland ein progressives Bündnis unter SPD-Führung brauchen", sagt sie.

Esken nennt ein paar Punkte, etwa "mehr Respekt auf dem Arbeitsmarkt" oder den Abbau von Ungleichheiten im Land. Eines hört man aus der SPD dieser Tage immer wieder: Unmittelbar vor Beginn eines Bundestagswahlkampfs sei wohl noch nie so unberechenbar gewesen, wie die kommenden Monate laufen werden, wie zur Corona-Weihnachtszeit dieses Mal. (dpa)