Update Politik
Merken

Lauterbach-Entführung geplant: Erneut Razzien gegen "Reichsbürger"

Eine Gruppe namens „Vereinte Patrioten“ - unter ihnen auch eine pensionierte Lehrerin aus Sachsen - steht seit Mai vor Gericht. Einige mutmaßliche Komplizen bekamen jetzt Besuch von der Polizei.

 4 Min.
Teilen
Folgen
Die Polizei hat in mehreren Bundesländern Wohnungen sogenannter Reichsbürger durchsucht und Verdächtige verhaftet.
Die Polizei hat in mehreren Bundesländern Wohnungen sogenannter Reichsbürger durchsucht und Verdächtige verhaftet. © dpa

Berlin. Die Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorgruppe "Vereinte Patrioten" erstrecken sich jetzt auf noch mehr Verdächtige. Polizisten durchsuchten am Dienstag in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen zahlreiche Wohnungen sogenannter Reichsbürger, die dem Umfeld der Gruppierung zugerechnet werden, und nahmen dabei insgesamt fünf Verdächtige fest.

Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte mit, ein nun in Wolfratshausen festgenommener Beschuldigter habe sich bereiterklärt, sich an der von der Gruppe geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu beteiligen und dafür in Kroatien Schusswaffen zu besorgen. Der 41-Jährige soll der Polizei schon länger bekanntgewesen sein. Er war nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur unter anderem wegen Volksverhetzung auffällig geworden. Der Haftbefehl gegen ihn wurde am Nachmittag durch den Ermittlungsrichter in Vollzug gesetzt.

In Baden-Württemberg durchsuchten Beamte der rheinland-pfälzischen Polizei die Wohnung eines Menschen, der im Verdacht steht, der Vereinigung einen Server für konspirative Kommunikation zur Verfügung gestellt zu haben. Außerdem soll er sich nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart an der Verwaltung einer geschlossenen Chatgruppe beteiligt haben.

Die 75-jährige pensionierte Lehrerin wurde Mitte Oktober 2022 in Sachsen festgenommen
Die 75-jährige pensionierte Lehrerin wurde Mitte Oktober 2022 in Sachsen festgenommen © dpa POOL

Ein weiterer Beschuldigter soll Mitglieder der Gruppe bei einem Treffen in die Bedienung von Funkgeräten eingewiesen haben. Außerdem werfen ihm die Ermittler vor, er habe in Chatgruppen zur Teilnahme an Zusammenkünften der Vereinigung aufgerufen.

Vorstellig wurde die Polizei auch bei drei mutmaßlichen Mitverschwörern in Rheinland-Pfalz. Einem 52-Jährigen aus dem Kreis Trier-Saarburg sowie einer 32-Jährigen aus dem Kreis Bad Dürkheim wird unter anderem die Unterstützung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, wie die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz mitteilte.

Eine Richterin ordnete Untersuchungshaft gegen die beiden Beschuldigte an. Darüber hinaus wird einer 53-Jährigen aus dem Kreis Bad Dürkheim vorgeworfen, von den Planungen gewusst, diese gebilligt und nicht angezeigt zu haben. Bei Durchsuchungen gegen die drei Beschuldigten wurden Mobiltelefone, andere Datenträger und Unterlagen sichergestellt.

Deutschlandweiter Stromausfall war Ziel

Wegen eines geplanten Umsturzes in Deutschland und der beabsichtigten Entführung von Lauterbach sind bereits vier Männer im Alter zwischen 44 und 56 Jahren und eine 76-Jährige vor dem Oberlandesgericht Koblenz angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder darin Mitglied gewesen zu sein.

Die Gruppe namens "Vereinte Patrioten" soll einen politischen Umsturz und eine neue Verfassung nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs 1871 geplant haben. Der 44-Jährige hatte in einer schriftlichen Einlassung im September die Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Er erklärte: "Es gab weder eine Struktur noch irgendeine Leitung, schon gar nicht in meiner Person." Die Anklage hält ihn dagegen für einen der Rädelsführer der Gruppe.

"Ich danke den Ermittlern, denen ich wahrscheinlich mein Leben verdanke", schrieb Karl Lauterbach am Dienstag auf der Plattform X. "Die Ermittlungen in diesem Reichsbürger-Komplex haben einen Abgrund offenbart", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Die Pläne der "Reichsbürger" müssten angesichts der Waffenaffinität der Szene sehr ernst genommen werden.

"Die erneuten Festnahmen im Zusammenhang mit der bereits 2022 geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach machen deutlich, dass unsere Sicherheitsbehörden aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und rechtsextreme Netzwerke durchaus erkennen können", kommentierte die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan. Sie sagte: "Wir haben uns in der Bundesregierung vorgenommen, Rechtsextremisten und Reichsbürger nicht mehr als Einzelfälle zu betrachten, sondern strukturell zu bekämpfen."

Die Ermittlungen zu den "Vereinten Patrioten" waren auch Ausgangspunkt für die Ermittlungen zu der Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß gewesen, deren mutmaßliche Rädelsführer im Dezember 2022 verhaftet worden waren. Auch diese Gruppierung, der eine frühere AfD-Bundestagsabgeordnete angehört, soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren.

Auf die Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß waren die Ermittler aufmerksam geworden, weil sie einen dort aktiven Ex-Soldaten auf dem Schirm hatten, der auch in die bereits zuvor aufgeflogenen Pläne zur Lauterbach-Entführung eingeweiht gewesen sein soll.

"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2.000 mehr als im Vorjahr. (dpa)