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Kretschmer kritisiert Wanderwitz scharf

Ausgerechnet der eigene CDU-Spitzenkandidat bringt Sachsens Regierungschef Kretschmer unter Druck. Der wehrt sich öffentlich.

Von Annette Binninger
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisiert die Aussagen des Ostbeauftragten Marco Wanderwitz.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisiert die Aussagen des Ostbeauftragten Marco Wanderwitz. © Ronald Bonß

Dresden/Erfurt. Im Stillen sollen mancherorts schon Wetten abgeschlossen worden sein, wie viele Stimmen der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, die CDU bei der am Sonntag bevorstehenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gekostet haben könnte. Zwei bis drei Prozent wären da schon drin, wird gemunkelt.

Dabei ist jeder Prozentpunkt bei dieser Wahl für die CDU extrem wichtig – nicht nur für den ostdeutschen Landesverband und mögliche Koalitionen, sondern auch, weil dem Abstand zur vermutlich zweitplatzierten AfD gerade in diesen Tagen eine besondere Bedeutung zukommt.

Schuld daran ist ausgerechnet der Spitzenkandidat der Sachsen-CDU zur Bundestagswahl. In diese Funktion wurde der Bundestagsabgeordnete Wanderwitz, der zur Wahl am 26. September im Wahlkreis Zwickau erneut antritt, im April mit rund 80 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt. Wie pfeift man also den eigenen Spitzenmann zurück, wenn der sich gerade mit unglücklich-vieldeutigen Aussagen zur Zielscheibe des ganzen Ostens macht?

"Gewinner der Einheit sind die neuen Länder"

Am Mittwochabend wies CDU-Landeschef und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die pauschalen Äußerungen von Wanderwitz über rechtsextremes Gedankengut in Ostdeutschland scharf zurück. „Viele Menschen fühlen sich jetzt getroffen, die nicht gemeint sein können. Darum muss man mit solchen Äußerungen vorsichtig sein“, sagte er im ZDF. Wanderwitz hatte zuvor unter anderem erklärt, dass ein Teil der Ostdeutschen „diktatursozialisiert“ sei und daher unwiederbringlich der Demokratie den Rücken zugekehrt haben. Kretschmer widersprach Wanderwitz: „Es ist wichtig, zu zeigen, dass niemand verloren ist – nicht die ländlichen Regionen und vor allem nicht die ostdeutschen Bundesländer insgesamt.“

Dabei fiel Kretschmer die Distanzierung von einem Teil von Wanderwitz‘ Aussagen durchaus schwer. Zu Beginn des TV-Interviews versuchte der Regierungschef zunächst noch zu relativieren. Ja, das stimme, ein Teil der Ostdeutschen habe der Demokratie den Rücken zugekehrt. Aber das sei in anderen Teilen Deutschlands und Europas auch nicht anders. Man könne eben nie alle erreichen.

Doch das Problem bei pauschalen Äußerungen sei eben, dass sich eine große Gruppe von Menschen angesprochen fühle, die gar nicht gemeint sei. Daher sei es „wichtig, dass wir das nochmal klarstellen“, bemühte sich Kretschmer um bundesweite Reparaturarbeit. Allerdings betont behutsam, mit Rücksicht auf Parteifreund Wanderwitz. „Gerade für mich galt immer, wir sprechen mit Jedem. Es gibt eine Grenze, die ist dort, wo der Staatsanwalt eingeschaltet werden muss.“ Ansonsten: Man müsse diskursfähig bleiben.

"Klare Trennung" zwischen Extremisten und Besorgten

Auf den Einwand von Moderatorin Marietta Slomka hin, dass in Ostdeutschland durchaus deutlich mehr rechtsextremistisches Gedankengut wissenschaftlich belegbar sei, entgegnete Kretschmer, dass es für ihn entscheidend sei, was man aus der Situation mache. „Ist es ein Abstempeln oder ist es der Beginn von etwas. Für mich ist es der Beginn“, sagte Kretschmer. Gerade jetzt verzeichne Sachsen sehr viele Unternehmensansiedlungen und Wissenschaftszentren. Der Standort sei gefragt.

Es sei wichtig, sich um das Phänomen des Extremismus zu kümmern, betonte Kretschmer. Dabei sprach er immer wieder von extremistischem Gedankengut, aber nicht dezidiert von rechtsextremistischem, worauf Moderatorin Slomka in ihren Fragen jedoch immer wieder abzielte.

Entscheidend sei eine „klare Trennung“ zwischen Extremisten und einem großen Teil der Bevölkerung, der sich Sorgen mache, entgegnete Kretschmer. Diese Menschen gelte es „mitzunehmen, sie auch zu „Mittuenden“ zu machen“, sie nicht einfach zu verstoßen.

"Eine absurde Diskussion"

Genervt reagierte Kretschmer schließlich, als Slomka weiter insistierte und nachbohrte. Stigmatisierung sei doch ein Problem in der Diskussion um die neuen Länder, sagte Kretschmer energisch. Das sei doch eigentlich eine „absurde Diskussion“, empörte er sich. Die eigentlichen Gewinner der deutschen Einheit seien doch die Menschen in den neuen Ländern.

„Wir haben die hohen Lebenserwartungen, wir haben den Wohlstandszuwachs. Aber wir haben seit den letzten zehn Jahren eine Debatte, dass wir die Verlierer dieses Prozesses sind. Das ist doch dummes Zeug.“ Die Ostdeutschen haben doch die Mauer eingerissen, sie wollten, dass die DDR endet.“

Er wünsche sich, dass diese dezidierte Diskussion über „Ostdeutschland“ und die „neuen Länder“ ende. Das sei doch ein Phänomen, das „wir nach und nach hinter uns lassen“ sollten. „Ich bin Sachse und habe mit Bayern und Baden-Württemberg mehr Gemeinsamkeiten als mit Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.“ Ziel müsse sein, dass Deutschland endlich zusammenwachse.