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So lief die Recherche in der "Dresden Offlinevernetzung"

Das Auffallen der Morddrohungen gegen Michael Kretschmer auf Telegram ist Leistung zweier Reporter. Im CoronaCast geben sie Einblick in ihre Recherche.

Von Fabian Deicke
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Die Reporter Arndt Ginzel (kleines Bild oben) und Henrik Merker haben nach Recherchen in einer Telegramgruppe deren Mitglieder auf dort geäußerte Morddrohungen angesprochen.
Die Reporter Arndt Ginzel (kleines Bild oben) und Henrik Merker haben nach Recherchen in einer Telegramgruppe deren Mitglieder auf dort geäußerte Morddrohungen angesprochen. © [M] GKD Journalisten/SZ

Dresden. Die Investigativ-Journalisten Arndt Ginzel und Henrik Merker haben in dieser Woche offengelegt, wohin das Verbreiten von Hass und Desinformation führen kann. In einem Bericht für das ZDF-Magazin Frontal berichten sie darüber, wie sich die Kommunikation in einer Telegramgruppe aus dem virtuellen Raum in die Realität verlagert hat. Im CoronaCast, dem Podcast von Sächsische.de, berichten die Journalisten von ihrem Erleben während einer verdeckten Recherche.

"Um ehrlich zu sein, war es Beifang", sagt Merker. Er sei beim Suchen nach bestimmten Schlagworten wie etwa "Waffe" auf die Telegramgruppe mit dem Namen "Dresden Offlinevernetzung" gestoßen. "Im Grunde hätte das jeder finden können, weil die Gruppe öffentlich gewesen ist."

Schließlich sei den Reportern schnell deutlich geworden, dass die Mitglieder der Gruppe bestehende Corona-Maßnahmen nicht nur kritisieren, sondern in politisch Handelnden die Köpfe einer "Corona-Diktatur" sehen. In Beiträgen sei davon gesprochen worden, sich bewaffnet zu haben, berichten die Reporter und berufen sich auf dokumentierte Audio-Mitschnitte. Die Gewaltphantasien gipfeln bekanntlich in Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, die inzwischen Ermittlungen des LKA zur Folge haben.

Drohungen, rohe Sprache und Ankündigungen von Gewalt sind vor allem auf dem Nachrichtendienst Telegram keine Seltenheit. Eine neue Dimension sehen Ginzel und Merker aber darin, dass sich Menschen, die sich in großer Zahl in einer Chatgruppe organisiert hatten, nun auch real zu treffen schienen. "Wir wollten herausfinden, ob es diese Zusammenkünfte wirklich gibt und was dabei genau besprochen wird."

Mehrere Wochen Beobachtung bis zur Konfrontation

Nach ein paar Wochen Beobachtung sei schnell klar geworden, dass sich die Telegramgruppe von anderen unterscheide. Den Erkenntnissen der Journalisten zufolge hatten bis zu jenem Treffen am vergangenen Wochenende, von dem auch Bilder in dem ZDF-Bericht zu sehen waren, bereits mindestens sieben weitere vorher stattgefunden. "Bei diesen Treffen ging es nicht darum, um darüber zu reden, wie man ein Auto repariert, sondern explizit darum, wie man einen Ministerpräsidenten umbringt."

Die Reporter berichten auch von der Situation, als sie die Teilnehmer dieses konspirativen Treffens aufsuchten und mit deren Aussagen konfrontierten. "Man hat gespürt, dass sie über unser Erscheinen erschrocken waren", sagt Ginzel. Und das, obwohl sämtliche Kommunikation öffentlich einsehbar gewesen sei.

Viel sei bei dem Treffen von den Teilnehmern nicht zu erfahren gewesen. Um ein Bild davon zu bekommen, was diese Menschen antreibe, würden jedoch deren Chats auf Telegram schon Hinweise geben. "Man hat den Eindruck, dass einige von ihnen wirklich glauben, was sie dort sagen. Man weiß zeitweise gar nicht, was dringender wäre: das Einschreiten der Ermittlungsbehörden oder weil es schon pathologisch erscheint, dass sie ärztliche Behandlung brauchen." Es sei beängstigend, wie entschlossen und tief einige Mitglieder der Gruppe in einem von Missinformation geprägten Gedankengebäude festhingen.

Regulierung auf Telegram: Eine Aufgabe für die Medien?

Infolge der Veröffentlichung des ZDF-Beitrages der beiden Reporter hat die Debatte um eine stärkere Regulierung des Nachrichtendienstes Telegram Fahrt aufgenommen. Ministerpräsident Kretschmer sagte in einem Interview der "Welt", dass die Betreiber der Plattform eine Verantwortung hätten, der sie nicht gerecht werden würden. Er wie auch die übrigen Regierungschefs der Länder fordern nun eine Regulierung auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.

Wie diese Debatte weitergeht, ist offen. Ginzel und Merker halten ein staatliches Eingreifen bis hin zum Blockieren von Telegram jedoch für den falschen Weg. Zwar könnten Ermittler mit mehr Rechten ausgestattet werden, um Chats zu verfolgen. Einen größeren Erfolg, glauben sie, könnte aber das Entgegensetzen von Fakten bringen. "Das könnte eine zukünftige Aufgabe klassischer Medien sein. Auf Telegram, also dort, wo sich diese Menschen aufhalten."

Außerdem Themen des Gesprächs:

  • Wie Rechtsextreme Vernetzung zur gezielten Desinformation über Telegram nutzen
  • Warum nicht die Polizei, sondern Journalisten auf die Gruppe stießen
  • Wie verbreitet sind Verschwörungsmythen in Sachsen wirklich?

Das Podcast-Gespräch wurde über einen Videoanruf aufgezeichnet. Alle am Gespräch beteiligten Personen saßen ausreichend weit voneinander getrennt an verschiedenen Orten.

Hier sind ergänzende Links zu Themen, auf die in der Folge Bezug genommen wird:

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