Wie gefährlich kann die Cum-ex-Affäre für Kanzler Scholz werden?

Von Georg Ismar
Der 27. September wäre eigentlich ein Hochfest für Johannes Kahrs. Am Tag nach der Bundestagswahl wird Olaf Scholz in der Parlamentarischen Gesellschaft gefeiert, der Seeheimer Kreis, die konservative Strömung in der SPD-Fraktion, lädt zum Gartenfest. Scholz kann Kanzler werden, die SPD hat knapp gewonnen.
Jahrelang war Kahrs der Chef der Seeheimer. Als er aber nicht wie gewünscht für das Amt des Wehrbeauftragten nominiert wurde, trat er im Mai 2020 plötzlich von allen politischen Ämtern zurück. Einige fragen sich, war das wirklich der Grund?
Der Scholz-Vertraute Wolfgang Schmidt ist auch bei dem Gartenfest, er glaubt fest an ein Ampel-Bündnis - und keiner hat Scholz so verteidigt und die Dinge in den Kontext einzuordnen versucht wie Schmidt, in der scheinbar überstandenen Hamburger Cum-ex-Affäre. Aber am nächsten Tag, dem 28. September, machen in Hamburg Ermittler in einem Schließfach von Kahrs einen brisanten Fund, der auch Scholz und der SPD nun noch einiges an Ungemach bescheren kann.
Warum ist Kahrs im Hamburger Cum-ex-Skandal eine Schlüsselfigur?
Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt. Schon für Scholz entwickelten sich die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Tagebücher von Christian Olearius, Miteigentümer der in die Affäre verwickelten Warburg Bank, zum großen Problem. So wurden gemeinsame Gespräche des damals Ersten Bürgermeisters vor der brisanten Entscheidung bekannt, erst 47 Millionen Euro und dann nochmal 43 Millionen Euro, die die Bank zu Unrecht kassiert hatte, zunächst nicht zurückzufordern.
Für den langjährigen Bundestagsabgeordneten Kahrs sind die Tagebücher noch viel mehr ein Problem. Denn so wurde bekannt, dass sich der umtriebige Strippenzieher bis hin zum Bundesfinanzministerium und zur Finanzaufsicht Bafin für die Bank einsetzte. Es geht um den Verdacht der politischen Einflussnahme, dass die Privatbank hohe Millionensummen, die sie unrechtmäßig durch Cum-ex-Geschäfte erworben hat, nicht an den Staat zurückzahlen musste.
Was ist über finanzielle Zuwendungen bekannt?
Der von Kahrs geführte SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte erhielt eine Spende der Warburg-Bank, ebenso der SPD-Landesverband, insgesamt sind es rund 45 000 Euro. Nun wurde bekannt, dass an jenem 28. September 2021 in einem Bank-Schließfach, das Kahrs zugeordnet wird, 214 800 Euro in bar gefunden worden sind. Die Frage ist, woher stammt das Geld, hängt es mit dem Fall zusammen?
Die SPD-Spitze will sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht äußern - und auch nicht Kahrs zur Offenlegung der Herkunft auffordern. Aber in der SPD bröckelt die Schweigefront. So betont der Bundestagabgeordnete Erik von Malottki, das Auffinden von so viel Geld im Schließfach von Kahrs sei sehr besorgniserregend: „Kahrs sollte gegenüber der Öffentlichkeit und der SPD begründen, warum er so eine hohe Summe Bargeld lagert. Mir fehlt die Fantasie, dass es dafür eine rechtlich saubere Begründung gibt.“
ls Scholz vor einiger Zeit im Bundestag von dem Linken-Abgeordneten Fabio de Masi mit der Frage konfrontiert wurde, ob nicht zumindest die offiziellen Warburg-Spenden von der SPD zurückzuzahlen seien, antwortete Scholz sinngemäß, das sei nicht seine Sache, er lebe jetzt schließlich in Potsdam.
Wolfgang Schmidt, heute Chef des Bundeskanzleramts, verwandte viel Energie darauf, die Rolle von Scholz in das rechte Licht zu rücken. Und in der Tat gibt es bisher keinerlei Beweise, dass der heutige Kanzler sich von Kahrs oder den Bankern hat beeinflussen lassen, dass er oder der damalige Finanzsenator und heutige Erste Bürgermeister Peter Tschentscher aktiv Einfluss genommen haben, um eine Steuerrückzahlungsforderung zu verhindern.
Wie war der konkrete Ablauf?
Bei Cum-Ex-Geschäften wurden Aktienpakete rund um den Dividenden-Stichtag mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch so hin- und hergeschoben, dass man sich Steuern mehrfach erstatten lassen konnte, also der Staat durch eine inzwischen geschlossene Gesetzeslücke betrogen wurde. Weltweit wird der Betrugsschaden auf rund 150 Milliarden Euro geschätzt.
Insgesamt ging es bei der Warburg Privatbank mit ihren vielen wohlabenden Kunden um rund 170 Millionen Euro, die die Bank zwischen 2007 und 2011 mit Cum-ex-Deals kassiert hat. Ein Teil war schon steuerrechtlich verjährt.
Im konkreten Fall ging es noch um 90 Millionen, die man noch zurückbekommen konnte, als der Betrug aufgeflogen war. Denn Anfang 2016 kam es bei der Warburg Bank zu einer Durchsuchung durch die für diese Fälle zentral zuständige Staatsanwaltschaft Köln. In der Folge geriet eine Finanzbeamtin in den Fokus. Zunächst deutete sie an, dass sie 47 Millionen, die 2016 verjähren würden, nicht zurückfordern will auch nicht die restlichen 43 Millionen, die 2017 verjähren würden. Aber sie schwankte in ihrer Einschätzung. Olearius hat das alles notiert.
Welchen Einfluss hatte Scholz?
Am 7. September 2016 kommt es zum ersten Treffen des Bürgermeisters Scholz mit den Eigentümern Olearius und Max Warburg. Scholz habe nichts versprochen, aber gebeten, in der Sache auf dem Laufenden gehalten zu werden. Olearius soll Scholz auf eine schlechte wirtschaftliche Lage der Bank verwiesen haben. Im Oktober will die Finanzbeamtin auf Druck der Kölner Staatsanwaltschaft doch die Steuern zurückfordern, spätestes jetzt wird es ein Fall, der politisch zu entscheiden ist.
Am 26. Oktober 2016 treffen sich die Banker erneut mit Scholz, nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ notierte Olarius, Scholz habe zugehört, keine Meinung geäußert, nichts durchblicken lassen oder gesagt, wie er zu handeln gedenkt. Das beschreibt ziemlich genau die Methode Scholz, so verbrennt man sich weniger die Finger, so zurückhaltend agiert Scholz in vielen Gesprächen und wägt sein Handeln ab, ohne sich in die Karten blicken zu lassen – es gibt bis heute keine Beweise, dass er danach aktiv Einfluss genommen hat.
Scholz wird aber ein Schreiben an die Finanzbehörden überreicht, in dem die Banker ihr Handeln als rechtmäßig darstellen und betonen, dass die altehrwürdige Bank bei einer Rückzahlung in ihrer Existenz bedroht sei. Am 9. November soll Scholz Olearius dann angerufen haben, er möge das Schreiben ohne weitere Bemerkungen an Finanzsenator Peter Tschentscher schicken, der später Scholz im Amt des Ersten Bürgermeisters nachfolgt. Dieser Vorgang ist besonders umstritten und bis heute fragwürdig.
Denn wenige Tage später wird der Bank mitgeteilt, dass die 47 Millionen Euro nicht zurückgefordert werden. Als das 2017 auch für die restlichen 43 Millionen gelten soll, schreitet das Bundesfinanzministerium in einem höchst seltenen Fall ein und erteilt die Weisung, dass die 43 Millionen Euro zurückgefordert werden müssen.
Durch eine Anpassung im Steuerrecht muss aber die Warburg Privatbank am Ende eine weit größere Summe zahlen, auch für die eigentlich schon verjährten Fälle. Im März 2020 verurteilt das Landgericht Bonn die Warburg Bank zur Rückzahlung von 176,5 Millionen Euro – dem Steuerzahler entstand also letztlich doch kein Schaden.
Worin liegt die Gefahr für den Kanzler?
learius, dem eine Haftstrafe droht, und auch Kahrs haben nur noch wenig zu verlieren. Was, wenn sie mehr wissen und auspacken? Hat Scholz doch Einfluss genommen, würde es sehr eng für ihn. Und wo kommt das Geld im Schließfach her? „Das Schließfach ist Sprengstoff für den Bundeskanzler“, sagt Fabio de Masi (Linke), der sich in seiner Zeit im Bundestag und bis heute intensiv mit dem Fall beschäftigt. Zudem hat Scholz, der bekannt ist, für sein hervorragendes Gedächtnis und immer sehr tief in allen Details drin ist, gesagt, er könne sich an den Inhalt der Gespräche mit den Bankern oder Kahrs nicht erinnern. Ist das glaubwürdig und gab es noch weitere, bisher unbekannte Gespräche?
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Ein Untersuchungsausschuss versucht derzeit in Hamburg zu klären, ob bewusst auf die Steuernachforderungen in zweistelliger Millionenhöhe verzichtet worden ist. Kommen entscheidende neue Indizien zutage, die Scholz’ Aussagen in Frage stellen, wäre seine Glaubwürdigkeit erschüttert. Der Journalist Oliver Schröm, der ein Buch zu der Affäre schreibt, deutet neue Enthüllungen an, unterstellt dem Kanzler sogar, dass er gelogen hat und will das nachweisen. Am 19. August muss Scholz zum zweiten Mal in dem U-Ausschuss auftreten - es könnte wegen der neuen Enthüllungen nicht das letzte Mal gewesen sein. Für die in Umfragen abgesackte SPD, der eine Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober droht, kommt das alles zur Unzeit.
In den komplexen Fall hat sich übrigens nun auch noch ein anderer bekannter Ex-Politiker eingeschaltet, das CSU-Urgestein Peter Gauweiler. Angesichts der Schuldvorwürfe und Verfahrensabläufe fühlen sich die Gesellschafter der Warburg Bank, Max Warburg und Christian Olearius, in ihren Menschenrechten verletzt und ziehen deswegen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Gauweiler vertritt sie als Anwalt.