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Wie Habeck eine schwere Gaskrise verhindern will

Nach der Drosselung russischer Gaslieferungen will Wirtschaftsminister Habeck nun reagieren - damit es im Winter nicht eng wird. Dabei gibt es eine bittere Pille.

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Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und Industrie gesenkt und die Befüllung der Speicher vorangetrieben werden.
Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) soll der Einsatz von Gas für die Stromerzeugung und Industrie gesenkt und die Befüllung der Speicher vorangetrieben werden. © Jan Woitas/dpa

Berlin. Mit umfangreichen Maßnahmen will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Gasverbrauch in Deutschland senken und auf die Drosselung russischer Lieferungen reagieren. Damit soll eine schwere Gaskrise verhindert werden mit Blick vor allem auf den Winter und den Beginn der Heizperiode. Im Kern geht es um staatliche Milliarden für das schnelle Befüllen von Speichern, Kohle statt Gas zur Stromerzeugung und Anreize für Industriefirmen zu weniger Verbrauch.

Die Situation sei ernst, sagte Habeck am Sonntag. "Wir stärken daher weiter die Vorsorge und ergreifen zusätzliche Maßnahmen für weniger Gasverbrauch. Das heißt: Der Gasverbrauch muss weiter sinken, dafür muss mehr Gas in die Speicher, sonst wird es im Winter wirklich eng."

Der russische Staatskonzern Gazprom hatte den Gasfluss durch die Ostseepipeline Nord Stream in den vergangenen Tagen deutlich verringert. Begründet wurde dies mit Verzögerungen bei der Reparatur von Verdichterturbinen durch die Firma Siemens Energy.

"Strategie von Putin, uns zu verunsichern"

Die angespannte Situation und die hohen Preise seien eine unmittelbare Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf Geheiß von Präsident Wladimir Putin, so der Grünen-Politiker. "Es ist offenkundig die Strategie von Putin, uns zu verunsichern, die Preise in die Höhe zu treiben und uns zu spalten. Das lassen wir nicht zu."

Noch könnten die ausfallenden Mengen ersetzt werden, noch laufe die Befüllung der Gasspeicher, wenn auch zu hohen Preisen. Die Versorgungssicherheit sei aktuell gewährleistet. Der Gasverbrauch im Strombereich und in der Industrie solle aber gesenkt und die Befüllung der Speicher forciert werden, so Habeck: "Je nach Lage werden wir weitere Maßnahmen ergreifen."

Konkret geht es darum: Um die Einspeicherung von Gas zu sichern, stellt die Bundesregierung schon in Kürze eine zusätzliche Kreditlinie über die Staatsbank KfW in Höhe von 15 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Kreditlinie ist bis Ende 2025 befristet und mit dem Finanzministerium besprochen. Der Haushaltsausschuss soll noch unterrichtet werden.

Angesichts steigender Gaspreise soll mit dem Kredit die sogenannte Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe THE die nötige Liquidität bekommen, um Gas einzukaufen und die Befüllung der Speicher voranzutreiben. Der Kredit werde über eine Garantie des Bundes abgesichert. Die Gesellschaft Trading Hub Europe ist durch eine Kooperation von Netzgesellschaften entstanden.

Habeck plant außerdem noch im Sommer ein Gasauktions-Modell. Dieses soll industriellen Gasverbrauchern Anreize bieten, Gas einzusparen. Im Kern geht es darum, dass Industriekunden, die auf Gas verzichten können, ihren Verbrauch gegen Entgelt verringern, das über den Markt finanziert wird - und das Gas zur Verfügung stellen, damit es eingespeichert werden kann. "Alles, was wir weniger verbrauchen, hilft", so Habeck. Die Industrie sei dazu ein Schlüsselfaktor.

Mehr Kohle soll verstromt werden

Gas ist nicht nur fürs Heizen von Wohnungen wichtig, sondern auch in der Industrie, als Rohstoff für die Produktion sowie für die Energieerzeugung. Gas trug 2021 laut Ministerium rund 15 Prozent zur Stromerzeugung bei, nach Branchenangaben lag der Anteil im Mai bei etwa 10 Prozent.

Im Strommarkt soll der Einsatz von Gas verringert werden - statt Gas soll mehr Kohle verstromt werden. Pläne der Regierung sollen möglichst schnell umgesetzt werden. Genutzt werden sollen dann Kohlekraftwerke, die derzeit nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden.

Ein entsprechendes Gesetz soll laut Ministerium am 8. Juli vom Bundesrat beschlossen werden und dann zügig in Kraft treten. Parallel wird eine notwendige Ministerverordnung vorbereitet. "Wir rufen die Gasersatz-Reserve ab, sobald das Gesetz in Kraft getreten ist", so Habeck. "Das bedeutet, so ehrlich muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke. Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken."

Auch die Industrie hatte gefordert, die Gasverstromung zu stoppen und sofort Kohlekraftwerke aus der Reserve holen. Der stärkere Einsatz von klimaschädlichen Kohlekraftwerken soll laut Gesetzentwurf bis März 2024 begrenzt sein. Bis zum Sommer 2024 könnte der Anteil russischen Gases nach früheren Angaben des Ministeriums schrittweise auf 10 Prozent des Verbrauchs in Deutschland gedrückt werden. Derzeit liegt er bei 35 Prozent, vor dem Ukraine-Krieg bei 55 Prozent.

Gasspeicher aktuell zu rund 57 Prozent gefüllt

An einem früheren Kohleausstieg will Habeck nicht rütteln. Die Ampel-Koalition will diesen "idealerweise" auf 2030 vorziehen, bisher ist er spätestens 2038 geplant.

"Wir müssen und wir werden alles daran setzen, im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich einzuspeichern", sagte Habeck. Die Gasspeicher müssten zum Winter hin voll sein. Das habe oberste Priorität.

Die aktuellen Füllstände der Speicher liegen bei rund 57 Prozent, wie es im Bericht der Bundesnetzagentur vom Sonntag heißt. Ziel der Regierung ist es, dass die Gasspeicher zum 1. Oktober zu 80 Prozent und zum 1. November zu 90 Prozent befüllt sind - um für mögliche Engpässe gerüstet zu sein.

Hintergrund: Wie lange reichen eigentlich gut 57 Prozent?

Laut Branchenverband Ines können die Speicher in Deutschland insgesamt Gas mit einem Energiegehalt von maximal rund 256 Terawattstunden speichern. Das entspricht etwa einem Viertel des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland (rund 1.000 Terawattstunden). "Dieses Speichervolumen alleine kann Deutschland zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas versorgen", sagt die Bundesregierung. Gut 57 Prozent dieses Volumens würden im Winter also gut ein bis anderthalb Monate reichen bei unverändertem Verbrauch - wohlgemerkt theoretisch.

Denn ist zu beachten, dass genau dieser Verbrauch bei einer sogenannten Gasmangellage noch deutlich sinken würde. Schon jetzt ist der Gasverbrauch in Deutschland infolge der stark gestiegenen Preise deutlich zurückgegangen.
Hinzu kommt, dass bei einem Wegfall russischer Gaslieferungen weiterhin Pipeline-Gas etwa aus Norwegen und den Niederlanden fließen dürfte. Außerdem wird damit gerechnet, dass Deutschland über Anlandeterminals im Ausland dann weiterhin verflüssigtes Erdgas (LNG) erhält.
Schließlich wird in Deutschland auch Erdgas gefördert. Die Frage, wie lange wir mit dem aktuell gespeicherten Erdgas hinkämen, ist also nur näherungsweise zu beantworten.

Ein neues Gasspeichergesetz soll dafür sorgen, dass die Speicher zum Beginn des Winters ausreichend gefüllt sind. Es schreibt einen Füllstand von 80 Prozent zum 1. Oktober, von 90 Prozent zum 1. November und von 40 Prozent zum 1. Februar vor. Mit dem Gesetz werden die Speicherbetreiber in Deutschland verpflichtet, ihre Speicher schrittweise zu füllen. Es könne im Saldo weiterhin Gas eingespeichert werden, hieß es am Samstag von der Bundesnetzagentur.

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Die Regierung hatte bereits verschiedene andere Maßnahmen ergriffen, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. So sollen Flüssiggas-Terminals in Deutschland gebaut und der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne massiv beschleunigt werden.

Das aber dauert Jahre. Um kurzfristig Anreize für weniger Verbrauch zu setzen, schlugen Politiker und Ökonomen Rabatte oder Prämien für private Haushalte vor. Habeck hatte deutlich gemacht, dass er gesetzliche Maßnahmen zu Energieeinsparungen als Konsequenz der gesenkten Gaslieferungen nicht ausschließen könne. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte eine gesetzlich vorgeschriebene Drosselung der Heizungstemperatur für Wohnungen ins Spiel gebracht. Dies stieß auf große Kritik. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der dpa: "Ich bin kein Anhänger davon, jetzt einzelne Maßnahmen zu diskutieren, bevor ein Gesamtkonzept vorliegt." (dpa)