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"Putin führt auch einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Grüne) spricht im Sächsische.de-Interview über die Energiekrise, Preisbremsen und die besondere Lage im Osten.

Von Annette Binninger & Nora Miethke
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Wirtschaftsminister Robert Habeck verspricht, Gas- und Strompreisbremsen für Verbraucher (Archivbild)
Wirtschaftsminister Robert Habeck verspricht, Gas- und Strompreisbremsen für Verbraucher (Archivbild) © Kay Nietfeld/dpa (Archiv)

Herr Habeck, Sie regieren in Berlin mit SPD und FDP. Und hier sind Ihre grünen Kollegen mit CDU und SPD zugange. Was glauben Sie, was einfacher ist?

Wir leben in herausfordernden Zeiten und das spüren wir alle - sowohl in der Bundesregierung wie auch in den Landesregierungen. Daher würde ich sagen: beide Regierungen müssen aktuell große Herausforderungen meistern. Kontroverse Diskussionen auf dem Weg zur Lösung gehören dazu. Wichtig ist aber, dass wir verantwortungsvolle Entscheidungen treffen und gemeinsam alles tun, um die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter gewährleisten.

Thema Gaspreisbremse - Sie können eigentlich nicht zufrieden sein mit dem Tempo, in dem diese langsam und mit vielen Ungewissheiten kommt. Auch in Sachsen warten viele seit langem auf Klarheit.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir mit ganzer Kraft daran arbeiten, sowohl unsere Unternehmen wie auch die Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten. Insgesamt stellt die Bundesregierung 200 Milliarden Euro zur Verfügung, damit wir gut durch die Krisen kommen. Ein erster wichtiger Schritt wurde gestern im Bundeskabinett verabschiedet, nämlich die Soforthilfe für den Monat Dezember. Verbraucherinnern und Verbraucher werden für den Monat Dezember von den Abschlagszahlungen für Gas und Wärme befreit. Das ist für viele ein erster, aber ganz wichtiger Befreiungsschlag. In einem nächsten Schritt folgen dann die Gas- und Strompreisbremse. Die Umsetzung ist komplex und wir müssen auch über rechtliche Fragen mit der Europäischen Kommission sprechen. Insofern ist schon viel passiert.

Aber die Gaspreisbremse soll dann erst ab März wirksam werden – das ist noch lange hin.

Das Problem sehe ich auch. Aber wir schauen, ob sich noch eine Brücke bauen lässt, um die hohen Gaspreise früher zu senken.

Aber Sie können zumindest andeuten, wie das aussehen könnte.

Daran arbeiten wir. Was ich ankündigen kann, ist, dass wir die Strompreisbremse ab 1. Januar verankern werden. Es kann sein, dass einige Stadtwerke das noch nicht sofort umsetzen können. Die Probleme bei der technischen Umsetzung sind auch der Grund, warum die Gaspreisbremse von der Expertenkommission erst ab 1. März vorgeschlagen wurde. Unser Ziel ist es in jedem Fall, die hohen Gaspreise so schnell es geht, zu senken und zugleich eine sichere Versorgung mit Gas zu gewährleisten. Wir schauen, wie gesagt, was da noch früher geht.

Und wie wird die Strompreisbremse aussehen?

Sie wird sehr ähnlich wie die Gaspreisbremse ausgestaltet. Die Gaspreisbremse reduziert den Preis auf 12 Cent pro Kilowattstunde bei 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Für Strom werden wir ebenfalls für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs den Preis senken, wir streben dafür 40 Cent pro Kilowattstunde an.

Vielen Menschen geht das Alles nicht schnell genug. Momentan ist so ein absoluter Hotspot der Proteste im Osten – auch gegen Ihre Energiepolitik, gegen die Grünen und vieles mehr. Wie beurteilen Sie, was da vorgeht? Und würden Sie so, wie das Ministerpräsident Michael Kretschmer es kürzlich getan hat, sich auch persönlich Demonstranten stellen und versuchen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen?

Ja, ich finde das sehr wichtig und beeindruckend. Ministerpräsident Kretschmer und ich sind bei den unterschiedlichen Themen sicher nicht immer einer Meinung. Aber den dauerhaften Versuch, den Dialog zu suchen, den finde ich sehr, sehr stark.

Aber wie erklären Sie sich die heftigen Proteste im Osten?

Es sind Regionen, die schon sehr viele Umbrüche erlebt haben, in denen Lebensentwürfe über den Haufen geworfen wurden. Ich verstehe, wenn Menschen dann skeptischer sind gegenüber Veränderungen und sich schlicht sorgen, wie es in diesen ernsten Zeiten weiter gehen kann. Das beginnt im Kleinen, wenn die Preise für Energie und beim Einkaufen steigen. Und es endet im Großen, wenn sich Landschaften verändern, weil Infrastruktur anders gebaut oder abgebaut wird. Wenn etwas den Raum des Gewohnten wieder verändert, dann reagiert man darauf skeptischer, mitunter zorniger und wütender. Das finde ich alles nachvollziehbar, erklärbar. Ich denke aber, dass wir dennoch daran arbeiten müssen, dass wir uns in diesem Land eine politische Kultur erhalten, wo man genau darüber - auch über das Misstrauen, meinetwegen auch über die Enttäuschung und auch den persönlichen Argwohn - reden kann. Was schwierig ist und letztlich uns als Gesellschaft auseinandertreibt, ist, wenn man nicht mehr redet, sondern nur noch versucht, Angst zu verbreiten.

Sorgen macht vielen Menschen der geplante endgültige Ausstieg aus der Braunkohle. Reicht Ihnen das, was an Projekten auch hier in Sachsen angeschoben wird, um neue Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen zu schaffen?

Die sächsische Kohleregionen bekommen 10 Milliarden vom Bund. Die Mittel sind doch schon ziemlich gut beantragt beziehungsweise belegt. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann mehr Projekte, die auch Menschen mit händischer Arbeit in Lohn und Brot halten. Es geht bisher um sehr viel Forschung, sehr viel um Dienstleistungen und Verwaltungsinfrastrukturen. Das ist gut und wichtig, aber wir sollten hier alle gemeinsam mit vereinten Kräften an Projekten in der Produktion arbeiten. Sachsen ist weit vorn bei Halbleiter-Projekten im Raum Dresden und das ist sehr wichtig für den gesamten Standort Deutschland.

Mit Aussicht auf Zuwachs von weiteren Chip-Herstellern und Forschungseinrichtungen...

Die sind jedenfalls alle sehr, sehr interessiert. Aber man darf nicht verkennen, dass wir in einem harten Wettbewerb mit den Förderkulissen in den USA stehen. Den können wir auch für uns entscheiden. Wie so vieles bei der Sicherung der Energieinfrastruktur, wie auch bei der Wettbewerbsfähigkeit des Landes ist das etwas, das kluges politisches Handeln erfordert und nicht ein Aussitzen und Abwarten nach dem Motto, es wird schon alles von alleine gekommen.

Wenn Michael Kretschmer hier sitzen würde, würde er wahrscheinlich sagen, der Projekte-Mangel zur Ausweitung von Produktionskapazitäten beim Strukturwandel liege auch an den Förderkriterien des Bundes. Was kann denn der Bund noch tun, um die Förderkriterien so zu flexibilisieren, dass auch tatsächlich Wirtschafts-ansiedlungen oder Erweiterungen von Fabriken möglich sind?

Wir haben bei meinem Besuch hier in Dresden auch über die Flexibilisierung der Gelder für den Strukturwandel gesprochen, also dass die Gelder nicht verfallen dürfen, weil bestimmte Fristen überschritten werden. Das finde ich ausdrücklich richtig, da zu flexibilisieren. Ich glaube aber auch, es gibt noch einen nicht gehobenen Schatz der Produktionsansiedlung, nämlich den Ausbau von günstigen erneuerbaren Energien. Wenn das auf den Braunkohle-Flächen funktioniert und es gelingt die günstigen Preise der Stromproduktion an die Unternehmen, die sich dann in der Nähe ansiedeln, weiterzugeben, hat man noch einmal einen neuen Anreiz in der Region, um durch die günstige Energie weitere Unternehmen anzusiedeln. Und ich verstehe es so, dass sowohl das Land Sachsen als auch die Betreiber der Tagebaue das wollen und ehrgeizige Pläne haben. Günstige Strompreise durch mehr erneuerbare Energien sind ein Standortvorteil, der in der Vergangenheit in seinem Potenzial noch nicht gesehen wurde. Wir haben in Brandenburg und Sachsen-Anhalt z.B. gesehen, dass die Versorgungsdichte von erneuerbaren Energien Standortentscheidungen von Unternehmen nach sich gezogen haben. Denn immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Produkte nicht nur nachhaltig verwenden, sondern möchten auch, dass sie nachhaltig produziert werden. Auch in der Lausitz gibt es große Flächen. Wenn man die wirklich nutzt, kann das nochmal einen ganz anderen Push für die Region geben.

Aber über den Zeitpunkt des Kohle-Ausstiegs ist nicht mehr zu reden? Sachsen besteht auf 2038, in anderen Ländern wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen wird jetzt doch schon 2030 Schluss sein.

In Nordrhein-Westfalen hat RWE selbst gesagt, dass es ein Interesse daran hat, schneller auszusteigen, weil sie nicht mehr glauben, dass man mit Braunkohle 2030 bei höheren CO2-Zertifikatspreisen noch viel Geld verdienen kann. Ausschlaggebend für so eine Entscheidung ist insgesamt natürlich die Versorgungssicherheit. Für Nordrhein-Westfalen heißt das auch, den Ausbau von Erneuerbaren nochmal stärker zu beschleunigen. Ich bin davon überzeugt, dass Erneuerbare Energie ein klarer Standortvorteil sind und kann daher nur appellieren gerade in dieser Zeit auch über die Not des Tages zu blicken und mit ganzer Kraft den Erneuerbaren Ausbau voranzutreiben.

Das wird den Menschen in der Lausitz nicht ihre Sorgen und Ängste nehmen, ob sie in den kommenden Jahren dort noch eine Existenz haben werden.

Die Angst verstehe ich. Bei allem, wie wir den Strukturwandel gestalten – und das sollten wir immer gemeinsam mit den Menschen vor Ort machen – geht es im Kern um drei Punkte: Erstens, wollen wir Arbeitsplätze und Struktur, also Wertschöpfung in der Region erhalten. Zweitens, brauchen wir Versorgungssicherheit, die gewährleistet sein muss. Und drittens, sollte die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft vor Ort erhalten werden, sprich wir brauchen eine günstige Energieproduktion. Alle drei Punkte müssten positiv beantwortet werden, bevor man einen weiteren Schritt geht. Ich persönlich glaube, solche Antworten gibt es und vieles spricht dafür, dass sie sogar zukunftsfähiger sind, also mehr Wertschöpfung, günstigere Energieversorgung und höhere Nachfrage möglich ist. Da gibt es keinen Dissens mit der sächsischen Landesregierung.

Wann wird Deutschland die aktuelle Energie-Krise überwunden haben? Viele fragen sich, wann das Licht am Ende des Tunnels zu sehen sein wird.

Das ist schwer zu sagen. Es gibt ein Szenario, das die Wirtschaftsinstitute bei ihrer Herbstprognose zugrunde legen, das besagt: Wir haben eine Abschwächung der Preissituation und der Inflation voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023. Wenn das so käme, wäre das das Licht am Ende des Tunnels.

…und nach dem Ukraine-Krieg? Michael Kretschmer will, dass dann wieder russisches Gas nach Deutschland fließt.

Dafür müsste Russland ja erstmal den Krieg beenden. Im Augenblick wird er sogar brutaler. Und wir sollten eines doch zumindest gelernt haben: Wir dürfen uns nicht mehr in eine solche Abhängigkeit begeben und erpressbar machen.

Aber vor allem in Ostdeutschland lehnen viele Menschen diesen harten Kurs gegenüber Russland ab.

Ich verstehe es, dass Menschen irritiert, vielleicht verstört sind und das dramatisch finden, was passiert. Ein Teil der Deutschen ist mit dem Verständnis, Russland sei ein „Brudervolk“, ein Alliierter und Freund aufgewachsen. Es gab nach 1989 die Chance, dass sich alles anders entwickelt. Auch im Westen haben viele auf eine Aussöhnung mit Russland gehofft. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, wer getäuscht hat und wer einen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine führt. Das ist Wladimir Putin. Wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verdrehen. Putin hat die Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt. Putin hat die Ukraine angegriffen. Wenn man sieht, wie viele Tausende Soldaten in diesen Krieg ziehen und nur verwundet, traumatisiert oder gar nicht zurückkehren werden, dann kann man auch sagen, dass Putin nicht nur gegen die Ukraine und damit gegen den Frieden der Völker in Europa einen Angriffskrieg führt, sondern inzwischen auch gegen seine eigene Bevölkerung. Was mutet er seinem Land zu? Das darf nicht übersehen werden. Man darf nicht verkennen, wer hier der Täter ist.