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Studie: Gesellschaft tief gespalten

Bei Themen wie Zuwanderung und Demokratie gibt es einer Studie zufolge zwei polarisierte Lager in Deutschland. Experten sehen das mit Sorge.

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Ein Drittel der Bevölkerung gehört einer Studie zufolge einem von zwei Blöcken an, die sich mit verhärteten Positionen gegenüberstehen.
Ein Drittel der Bevölkerung gehört einer Studie zufolge einem von zwei Blöcken an, die sich mit verhärteten Positionen gegenüberstehen. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Münster. In Deutschland haben sich einer Umfrage zufolge zwei verfestigte Lager mit extrem gegensätzlichen Haltungen gebildet, denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung angehört. In den beiden Blöcken seien Einstellungen zu nationaler Zugehörigkeit, Demokratie und Vertrauen in die Politik komplett entgegengesetzt. Auch beim Gefühl einer Bedrohung durch Migranten und Muslime oder einer gefühlten eigenen Benachteiligung zeige sich eine starke Polarisierung. Zu dem Ergebnis kommt ein Forscherteam der Universität Münster, das eine Spaltung der Gesellschaft sieht.

Hinter vielen konträren Einzelthemen stehe ein zentraler, grundlegender Konflikt um die Identität, sagte Mitautor Mitja Back. Man sei überrascht gewesen, dass nach der Befragung von bundesweit gut 1.400 Personen sogar ein Drittel der Bevölkerung einem der beiden Lager zuzuordnen sei. "Wer gehört zu unserem Land, wer bedroht wen, wer ist benachteiligt? Es ist auch erstaunlich, wie weit die Positionen über ganz viele Konfliktthemen hinweg auseinanderliegen", betont der Psychologe.

"Verteidiger" versus "Entdecker"

Die Wissenschaftler nennen die beiden Lager in der am Donnerstag veröffentlichten Studie "Verteidiger" - zu ihnen zählen demnach 20 Prozent der Bevölkerung - und "Entdecker" mit einem Anteil von 14 Prozent. Dazwischen liegen zwei Gruppen, die wegen "mittlerer Positionen" zunächst nicht in den Fokus rücken. Was macht also die beiden polarisierten Lager aus?

"Verteidiger" befürworten eher enges Konzept der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit. Konkret meinen sie zu einem größeren Teil: Nur wer im Land geboren ist, deutsche Vorfahren hat, den größten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat oder Christ ist, gehört dazu. Zugleich fühlt sich etwa die Hälfte von ihnen durch "Fremde" - Muslime oder Geflüchtete - bedroht und selbst kulturell benachteiligt, heißt es in der Analyse. Lediglich ein geringer Teil "Verteidiger" sei zufrieden mit der Demokratie, wenige vertrauten Regierung und Parlament.

"Es ist auch erstaunlich, wie weit die Positionen über ganz viele Konfliktthemen hinweg auseinanderliegen:" Psychologe Prof. Mitja Back von der Uni Münster.
"Es ist auch erstaunlich, wie weit die Positionen über ganz viele Konfliktthemen hinweg auseinanderliegen:" Psychologe Prof. Mitja Back von der Uni Münster. © Privat/Westfälische Wilhelms-Universität /dpa

"Verteidiger" sind demnach im Vergleich zu den "Entdeckern" häufiger heimatverbunden und zeigten vergleichsweise häufiger eine hohe Religiosität. In dieser Gruppe habe nach eigener Aussage jeder Vierte einen niedrigen sozialen Status, besser Gebildete seien weniger vertreten als in der "Entdecker"-Gruppe.

Unter den "Entdeckern" machen die Forscher dagegen nur eine Minderheit aus, die ein enges Konzept von Zugehörigkeit nach ethnisch-religiösen Kriterien befürwortete. Durch Muslime und Geflüchtete fühle sich niemand in hohem Ausmaß bedroht. Zuwanderung und wachsende Vielfalt gelten als Chancen. "Entdecker" zeigten sich überwiegend eher zufrieden mit der Demokratie, vertrauten der Politik fast ausnahmslos. Entdecker seien vergleichsweise gut gebildet und eher nicht von materieller Not betroffen.

Die Bevölkerungsumfrage war auch in Frankreich, Schweden und Polen durchgeführt worden. Die Aussagen der Studie gelten den Autoren zufolge in vielen Bereichen ganz ähnlich auch für Frankreich und Schweden. Rund 5.000 Menschen waren vom Marktforschungsunternehmen Kantar Ende 2020 insgesamt befragt worden.

Kompromisse nötig

Die Untersuchung lässt sich auch als Mahnung sehen. So heißt es: "Die "Verteidiger" transformieren ihr Bedürfnis nach Sicherheit zunehmend in eine aggressive Grundhaltung gegenüber Fremdem und Fremden". Und ebenso gegen die "Entdecker"-Gruppe. Diese wiederum dringe immer vehementer auf gesellschaftliche Veränderungen "nach ihren eigenen Vorstellungen von maximaler Offenheit und Diversität". Die Studie sieht eine "zunehmend genervt-überhebliche Grundhaltung, welche die andere Seite nur umso mehr provoziert".

Unter allen vier Gruppen sei in Deutschland nur unter "Verteidigern" eine hohe Präferenz für die rechtspopulische AfD auszumachen, ergänzt Back. Man habe in diesem Lager auch eine Neigung zu Verschwörungsmythen und zum Konzept "starker Führer" festgestellt.

"Der Identitätskonflikt löst sich nicht von allein", stellt Back klar. Globalisierungseffekte wie Migration, Finanzkrisen, Klimakrise oder die Pandemie verstärkten den Konflikt. Das könne sich noch verschärfen. Um die "verfahrene Situation" zu lösen, solle Politik sich nicht auf eine Seite schlagen, sondern beide Forderungen auf ihren Kern "herunterbrechen". Es brauche Kompromisse bei legitimen Bedürfnissen wie Stabilität und Sicherheit einerseits, Offenheit und Wandel andererseits. (dpa)