Magdeburg/Köln/Dresden. Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt hat den AfD-Landesverband unter Beobachtung gestellt und die Partei als Verdachtsfall Rechtsextremismus eingestuft. Am Montag ist das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags in Magdeburg über die Entscheidung vom 12. Januar informiert worden. Zuerst hatte die Mitteldeutsche Zeitung darüber berichtet.
Damit können die rund 1.400 Mitglieder mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden – wie Observierungen, Telefonüberwachung und den Einsatz von V-Leuten.
Die Einstufung hatten Sicherheitskreise bereits für 2020 erwartet. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt soll den Verfassungsschutz nach SZ-Recherchen zunächst mit Prüfaufträgen gebremst haben. Die Entlassung von Innenminister Holger Stahlknecht Anfang Dezember durch Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU) könnte das Verfahren nun beschleunigt haben.
In der Landes-CDU gibt es seit Jahren heftige Konflikte um eine Annäherung an die AfD. Sehr konservative Christdemokraten befürworten sogar eine enge Zusammenarbeit.
Thüringen und Brandenburg beobachten AfD schon
Grundlage
der Beobachtung ist ein Gutachten, das nach jahrelanger Materialsammlung
erstellt worden ist. Demnach gibt es genügend Hinweise darauf, dass es sich bei
der AfD um einen rechtsextremistischen Verdachtsfall handelt, die
verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Der AfD werden Angriffe auf die
Menschenwürde, die Ablehnung rechtsstaatlicher Prinzipien und
Demokratiefeindlichkeit vorgeworfen.
Thüringen und Brandenburg hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits in der ersten Jahreshälfte 2020 als Verdachtsfall eingestuft. Sachsen steht nach SZ-Informationen kurz davor. Der Freistaat gilt etwa als Hochburg des pro forma aufgelösten rechtsextremistischen „Flügels“.
Der sachsen-anhaltische AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner wertet die Beobachtung als Manöver, um die Erfolgsaussichten der AfD bei der für Juni geplanten Landtagswahl zu schmälern.
Vor Weihnachten hatte Kirchner dem MDR noch gesagt, er sehe einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit Gelassenheit entgegen. Das habe auch die Linke schon hinter sich. Kirchner gilt als Anhänger des inzwischen pro forma aufgelösten „Flügels“.
Der AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt gilt als einer der extremsten in der Bundesrepublik. Führende Mitglieder pflegen seit Jahren Kontakte zur rechtsextremistischen Identitären Bewegung, die ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Der Landtagsabgeordnete, AfD-Landesvize und "Flügel"-Protagonist Hans-Thomas
Tillschneider unterhielt zeitweise ein Abgeordnetenbüro in einer Immobilie der
Identitären in Halle an der Saale, war Sprecher der aufgelösten völkischen „patriotischen Plattform“
und ist Mitgründer des als Verdachtsfall eingestuften Vereins „Ein Prozent“.
Als Einzelperson wird Tillschneider seit Februar 2020 vom Verfassungsschutz beobachtet. Das Bundesamt hat ihn als Rechtsextremisten eingestuft – wie auch den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke und den Brandenburger Ex-Funktionär Andreas Kalbitz.
Tillschneider war mit einem Ergebnis von 84 Prozent in den Landesvorstand gewählt worden. Das gilt als Indiz für ein weiteres Abdriften der Landespartei in Richtung Rechtsextremismus.
Auch
Landeschef Martin Reichardt hat offensichtlich keine Berührungsängste. 2018 stand er beim
„Trauermarsch“ der AfD nach dem gewaltsamen Tod des Chemnitzers Daniel H. in
der ersten Reihe. Der „Marsch“ gilt inzwischen als Schlüsselmoment, in dem die
AfD den Schulterschluss mit gewaltbereiten Rechtsextremisten, Neonazis und Hooligans suchte und fand.

Am
Dienstagabend wollte der AfD-Landesvorstand zu einer Sondersitzung
zusammenkommen. Parteichef Reichardt sagte zuvor: „Ich gehe davon aus, dass wir
- wie bei ähnlichen Fällen im Bund und anderen Ländern – den Rechtsweg
einschlagen werden.“
Die für diese Woche erwartete Einstufung der gesamten Partei als Verdachtsfall durch das Bundesamt liegt derweil auf Eis. Weil dies durch Medienberichte vorab bekannt geworden war, klagt die AfD vor dem Verwaltungsgericht Köln und will dem Amt etwa verbieten lassen, sie als Verdachtsfall einzustufen beziehungsweise dies öffentlich zu machen. Bis Mittwoch soll die Behörde eine Stellungnahme abgeben.
Vertreten wird die AfD von der Kölner Kanzlei Höcker, für die der umstrittene Ex-Chef des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen seit 2019 tätig war. Maaßen hat seine Tätigkeit jetzt beendet. Er könnte als Zeuge in dem Verfahren vernommen werden und will offenbar formal einem Interessenkonflikt vorbeugen. (mit dpa/epd)