"Die Frage ist, ob ein OB bereit ist, Dinge durchzusetzen"

Dresden. Was die Stadtpolitik angeht, so hat sie recht: Die Grünen haben bei der letzten Stadtratswahl die meisten Stimmen geholt. Ein Spiegelbild für eine Gesellschaft, die sich heute mehr gegen schmutzige Luft, Abholzung und Erderwärmung einsetzt als vor 14 Jahren. Gibt es einen günstigeren Zeitpunkt, als Grüne eine Wahl zu gewinnen?
Ein Treffen mit Eva Jähnigen in der Neustadt. Sie hat den Ort gewählt, den Scheune-Vorplatz. Rechts Baucontainer, links ein Gemüsestand, in der Mitte Eva Jähnigen. Sie sitzt unter einem Baum, einen von wenigen an den Neustädter Straßen.
Es ist kein Geheimnis, dass die Äußere Neustadt eine Hochburg der Grünen-Wählerschaft ist. Zur letzten Bundestagswahl holte Bewerberin Merle Spellerberg hier mehr als jede dritte Stimme. Ein Stadtteil, in dem sich Eva Jähnigen zeigen muss, wenn sie gewinnen will. Aus Kalkül habe sie den Treffpunkt aber nicht ausgesucht, sagt die Politikerin. "Womöglich säße ich heute nicht hier als Oberbürgermeisterin-Kandidatin, wenn ich das offene Kulturleben in der Scheune nicht erlebt hätte." Damals, in der späten DDR, sei dies der erste Ort gewesen, an dem sie Stadtgesellschaft erfahren habe.
Jähnigen gefällt es in der Neustadt. "Ich sehe sie weniger als ein Viertel des Einkaufens und Amüsierens, sondern als Viertel, in dem viele Menschen leben und in dem wir früher zu viele Grünflächen zur Bebauung freigegeben haben", sagt sie.
Neustadt-Innenhöfe vom Beton befreien
Wir, das ist die Stadt, deren Verwaltung sie seit 2015 als Umweltbürgermeisterin angehört. Die Fehler seien bereits in den 90er-Jahren gemacht worden. Heute kaum noch rückgängig zu machen, Privateigentum. Jähnigen will daher mit den Eigentümern zusammenarbeiten, begrünen, was begrünt werden kann, und entbetonisieren, was nicht versiegelt sein muss. Innenhöfe zum Beispiel. Ein Projekt, das sie schon als Umweltbürgermeisterin anschieben wollte, aber gescheitert ist.
In diesem Fall an dem Mann, den sie im Rathaus beerben will. Im Fall des Radwegs an der Albertstraße schaffte es Jähnigen über Monate hinweg nicht, eine Mehrheit im Stadtrat davon zu überzeugen, eine Autospur zugunsten von Radfahrern aufzugeben. Im Mittelpunkt der Debatte stand zwar der damalige Verkehrsbürgermeister. Der Radweg ist allerdings Teil des Lärmaktionsplanes für die Innere Neustadt gewesen. Jähnigens Zuständigkeit. Dass es den Radweg heute gibt, ist der Stadtratswahl 2019 zu verdanken, bei der die konservativen Parteien Stimmen einbüßten.
Noch unvollendet wird der Laubegaster Flutschutz sein, wenn Jähnigen im Sommer an den OB-Schreibtisch wechseln sollte. Planung und Genehmigung haben neun Jahre gedauert, davon sieben in ihrer Amtszeit als Umweltbürgermeisterin. Viel Zeit also, um bei Anwohnern um Zustimmung für den Wall zu werben. Nun wird vorm Verwaltungsgericht dagegen geklagt.

Dresden hat Klimaziele verfehlt
Der Klimaschutz, ebenfalls eine Baustelle. Im Winter musste die Stadt verkünden, dass Dresden seine eigenen Ziele verfehlt hat. Jähnigen rechtfertigt sich: Für die wenigsten Klimaschutzmaßnahmen zur Treibhausgasvermeidung sei sie zuständig. Bauen, Verkehr, Energie- und Wärmeversorgung - all das liege nicht direkt in ihrer Hand.
Aus ihrer Sicht hätte Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) steuernd eingreifen müssen, um Klimaschutzziele, die in ihrem Geschäftsbereich entwickelt wurden, und deren Umsetzung zu koordinieren. "Die Frage ist, inwieweit ein Oberbürgermeister bereit ist, Dinge durchzusetzen", sagt Jähnigen.
"Was ebenfalls offen ist, ist das Unternehmenskonzept der Sachsen-Energie zum Ausstieg bei der Wärme- und Energieversorgung aus den fossilen Brennstoffen, auch um uns unabhängig von russischem Gas zu machen." Als Umweltbürgermeisterin seien die Möglichkeiten, dies auf den Weg zu bringen, begrenzt. So etwas müsse vom OB gesteuert werden. "Das ist die große Aufgabe, die ich angehen will."
Eva Jähnigen ist neben Dirk Hilbert die einzige Bewerberin mit kommunaler Verwaltungserfahrung. Geboren wurde sie 1965 in Dresden. Nach einer Ausbildung zur Werkzeugmacherin arbeitete sie zunächst als Hilfskraft im Friedrichstädter Krankenhaus, bevor sie eine zweite Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte.
Nach der Wende studierte Jähnigen Jura und ist heute zugelassene Rechtsanwältin für Verwaltungsrecht. Ihren Einstieg in die Politik fand sie vor dem Mauerfall über die kirchliche Bürgerrechtsbewegung. Von 1991 bis 2011 gehörte sie dem Stadtrat an, zwischen 2009 und 2015 auch dem Landtag. 2015 hat sie der Stadtrat schließlich zur Beigeordneten für Umwelt gewählt.
Gelungen ist in Jähnigens Amtszeit zum Beispiel der Baustart für den Promenadenring und den Südpark sowie die Erweiterung des Alaunparks. Auch die Mehrwegbecher-Initiative für den Kaffee zum Mitnehmen hat sie angeschoben. Ein Herzensprojekt: Streuobstwiesen. Die Dresdnerin hat was übrig für Obstbäume. Wenn sie zu Hause in Trachenberge auf ihrer Terrasse Kaffee trinkt, blicke sie auf die Obstbäume.

Mehr Bäume, Klimaneutralität bis 2035, Erhalt des Stauseebads Cossebaude, Ausbau der städtischen Wohnungsgesellschaft WID, Erweiterung des Bus- und Bahnnetzes: Jähnigens Wahlprogramm umfasst 34 Ziele, manche bergen Zündstoff.
So will die OB-Kandidatin Windräder in Dresden errichten lassen. "Wir haben großes Potenzial für Fotovoltaik und Solarthermie in der Stadt." Sollte alles, was möglich ist, erschlossen werden, könnte Dresden dadurch mehr als ein Viertel seines Strombedarfs decken, sagt sie.
Dennoch werde man auch Windkraft brauchen. "Ich denke, wir kommen nicht umhin, uns im eigenen Stadtgebiet zu fragen, wo es geeignete Standorte gibt." Das könnten zum Beispiel Areale entlang der Autobahn sein.
Von ihrer Familie werde sie bei der erneuten Kandidatur unterstützt, sagt Eva Jähnigen, die verheiratet ist und zwei Töchter hat. Ob sie gefragt wurde, noch einmal anzutreten, oder die Bewerbung von ihr ausging? "Beides." Sie habe selbst noch einmal antreten wollen, weil sie gesehen habe, was jetzt notwendig ist, "damit Dresden wieder eine weltoffene Stadt wird, als Standort bestehen kann – wirtschaftlich wie sozial – und die Folgen der Pandemie bewältigt".
Diese Kandidaten-Porträts zur OB-Wahl sind bisher erschienen:
- Dirk Hilbert (FDP, UBfD e.V.): "Herr Pallas greift mit einer Frechheit an, das macht mich dünnhäutig"
- Maximilian Krah (AfD): Maximilian, der Identitäre
- Albrecht Pallas (SPD): "Ich möchte Rad- und Autofahrer nicht gegeneinander ausspielen"
- André Schollbach (Linke): "Ich werde mit Dirk Hilbert ins Duell gehen"
- Martin Schulte-Wissermann (Piraten): "Ich sehe sonst keinen, der die Verkehrs- und die Klimawende anschiebt"