Wir haben gerade bei den Landkreiswahlen gesehen, dass die Wahlbeteiligung auch dort nicht höher war. Es müssten schon zwei markante Persönlichkeiten gegeneinander antreten oder es muss es ein polarisierendes Thema geben, bei dem mobilisiert werden kann, dann ist die Wahlbeteiligung höher. Knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung ist fast noch gut. Es ist auch noch kein Zeichen für eine Schwäche der Demokratie.
Die mediale Zuspitzung ist da größer, in Kombination mit polarisierenden Personen und Themen führt dies dazu, dass stärker mobilisiert werden kann. Bei kommunalen Themen geht es eher um Sachangebote für die Lösung kommunaler Probleme.
Nein. Nur hier und da gibt es Äußerungen, wie einzelne Probleme gelöst werden können. Meist sind es aber Absichtserklärungen, die wir vorfinden.
Es fehlt mir die Bewegung, es fehlt das allumfassende Thema, es fehlt auch ein bisschen die Polarisierung. Es fehlt das Momentum, was Kandidatinnen und Kandidaten erzeugen können, um Menschen für sich zu gewinnen. In einer Situation, in der offensichtlich noch nicht alles entschieden ist, wäre das wichtig.
Man sieht im Augenblick den Versuch des Amtsinhabers, das Klimathema zu besetzen. Das ist ein Thema, bei dem er eher das Wählerklientel von Frau Jähnigen vermutet. Ich sehe hier einen leichten Ansatz der Polarisierung. Eine andere Frage ist, ob Herr Hilbert dieses Thema nach einer gewonnenen Wahl auch so prominent besetzt, wie er es im Augenblick zumindest medial versucht.
Ich sehe im Moment bei Frau Jähnigen keine Besetzung eines Themas, welches einen Einbruch in die Wählerklientel von Herrn Hilbert vermuten lässt. Sie betont sehr das Klimathema, sie lässt sich sehr oft in der grünen Natur abbilden. Das ist aber ohnehin ihr Thema, das ist nichts Neues. Sie versucht zudem deutlich zu machen, dass sie einen anderen Führungsstil hat. Das waren aber auch schon vor dem ersten Wahlgang ihre Themen. Darüber hinaus ist nichts Neues dazu gekommen.
Frau Jähnigen müsste deutlich machen, wie sie die Wirtschaftskraft Dresden stärken will, welche Perspektiven sie über die Klimafreundlichkeit und den Umbau der Verkehrswege hinaus hat.
Was sind aus Ihrer Sicht die Zukunftsthemen der Stadt?
In Magdeburg investiert Intel bis zu 20 Milliarden Euro. Nicht die Region Dresden, sondern Magdeburg macht diesen großen Schritt nach vorne. Dresden muss mit den umliegenden Gemeinden und Regionen sehr schnell ein Konzept entwickeln, um solche Ansiedlungen zu ermöglichen. Das steht ganz vorne.
Aber Herr Hilbert führt solche Gespräche doch?
Ja, Dirk Hilbert kann zurecht darauf verweisen, dass die Gewerbesteuereinnahmen sehr stark gestiegen sind, dass es in Dresden eine geringe Arbeitslosigkeit gibt. Auch Infrastruktur für die Kinderbetreuung wurde ausgebaut. Dresden ist da gut aufgestellt. Das sind Pluspunkte, doch da kann man nicht stehen bleiben. Es muss weitere Ansiedlungen geben. Dresden braucht ein Klima, welches es attraktiv für Fachkräfte macht, nach Dresden und in die Umgebung zu kommen. Die Themen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind weiter ganz erheblich.
Geschieht da zu wenig?
Es ist eine Menge passiert, der OB hat sich der Sache angenommen. Aber es muss nach außen und innen deutlicher werden. Und es kommt noch etwas dazu, gerade im Wettbewerb mit Leipzig: Dresden hat nicht unbedingt das Image, eine junge dynamische Stadt zu sein. Dresden hat aber alle Voraussetzungen - von der Landschaft über die kulturellen Attraktionen bis hin zur Kinderbetreuung - um die Kreativ-Szene anzulocken. Diese Potenziale sind nicht ausgereizt.
Dresden muss eine junge, dynamische Stadt werden, es braucht eine Zukunftsvision, es braucht zum Beispiel Proberäume für Bands und Coworking-Spaces, auch Risikobereitschaft und schnellere Entscheidungen. Es braucht eine Initiative, die Dresden ein junges Image verpasst. Der Hauptschwung dafür muss von der Stadt kommen, doch dieser Schwung fehlt.
Wo könnte er herkommen? Herr Hilbert oder Frau Jähnigen: Wer spricht eher junge Menschen an?
Junge und unverbrauchte Gesichter, die nach außen und nach innen dynamisch wirken, sind in Dresden sehr rar gesät. Wir brauchen eine Erneuerung des Personals. Herr Hilbert oder Frau Jähnigen müssten sich als Mentoren verstehen, um junge Menschen für Dresden, auch für die Politik, zu gewinnen.
War es richtig, im Wahlkampf nur auf Personal aus den eigenen Reihen, aus der eigenen Stadt zu setzen?
Dresden hat ein Problem der Selbstbezüglichkeit und der Selbstgenügsamkeit. Man kann in Dresden eigentlich nur Erfolg haben, wenn man aus Dresden kommt. Es gibt eine seit Jahrzehnten zu beobachtende Selbstprovinzialisierung, die Dresden nichts nützt. Auch im Rathaus müssten mehr Leute von außen kommen, doch das stößt immer wieder auf Widerstand. Erneuerungsfähigkeit kommt auch durch neues Personal.
Das ist dann aber für die anstehende Wahl zu spät?
Natürlich ist es jetzt zu spät, es gibt diese Impulse jetzt nicht, es gibt kein Momentum, keine Verkörperung des Aufbruchs. Doch das wäre Aufgabe eines Oberbürgermeisters, das wäre für Dresden so wichtig, es braucht dieses Zeichen des Aufbruchs.
Den ganzen Wahlkampf begleitete stattdessen doch eher eine Müdigkeit, wie hätte man die aufbrechen können?
Es hätte eine klare Themensetzung und eine klare Zukunftsperspektive gebraucht. Die Bewerber hätten Menschen von Innen und Außen um sich gruppieren müssen, um zusammen eine Zukunftsvision zu entwickeln. Interessante Leute aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft - das wäre wichtig gewesen. Im Prinzip hätten wir ein anderes Spitzenpersonal gebraucht. Für die nächsten sieben Jahre brauchen wir ein Zeichen des Aufbruchs!
Dieses Aufbruchszeichen: Wer kann das am besten setzen?
Ich sehe es im Augenblick nicht. Mein Appell an beide Bewerber: Sie müssten sehr schnell in die Puschen kommen, um Dresden einen weiteren Sprung nach vorne zu ermöglichen, momentan ist der Zug abgefahren.
Sehen Sie bei SPD und Linken ausreichend Unterstützung für Frau Jähnigen?
Meine Wahrnehmung ist, dass es keine sehr starke Wechselstimmung gibt. Es gibt diese Unterstützung dem Wortlaut nach. Herr Pallas wirbt teilweise auch auf der Straße für Frau Jähnigen, aber man hat nicht den Eindruck, dass sie eine Dynamik entfachen.
Es gab kein gemeinsames Bild der drei linken Kandidierenden, wäre das nicht wichtig gewesen?
Ja, es hätte dieses Bild gebraucht: Frau Jähnigen mit Herrn Schollbach und Herrn Pallas. Das hätte neuen Schwung gegeben. Herr Hilbert wäre automatisch in die Defensive gerückt und hätte sich die Frage gefallen lassen müssen: Wer steht eigentlich hinter Hilbert? Das hätte auch ihn noch einmal gefordert und den Wahlkampf befeuert.
Wer gewinnt denn die Wahl?
Die Stimmanteile von Grünen, Linken und SPD können nicht einfach aufaddiert werden, es gibt große Unterschiede zwischen den Parteien. Frau Jähnigen wird zulegen können, ich bin mir aber nicht sicher, ob es reicht. Wäre Maximilian Krah nicht für die AfD erneut angetreten, hätte Hilbert in dessen Wählerschaft mobilisieren können. Es könnte letztlich darauf hinauslaufen, dass Dirk Hilbert 40 Prozent plus X erreicht, Frau Jähnigen 40 Prozent minus X.
Auf jeden Fall wird es eng. Das sieht man auch daran, dass Herr Hilbert versucht, seine Themen zu erweitern. Seine Hausbesuche im Endspurt des Wahlkampfes, das ist etwas ganz Neues, das kann eventuell zum Erfolg führen. Wir wissen dies aus der Wahlforschung. Es könnte den entscheidenden Prozentpunkt Vorsprung bringen. Sicher bin ich mir da aber nicht. Am Ende zählt womöglich der Amtsbonus.
Was ist die Motivation von Herrn Krah, in den zweiten Wahlgang zu gehen?
Er möchte nach wie vor die Aufmerksamkeit haben, er möchte die AfD präsent halten auf dem Wählermarkt Dresden. Er könnte aber auch auf einen Wahlsieg der Grünen hoffen, um dann in sieben Jahren eine zugespitzte Situation zu erzeugen.
Sie haben so oft von Erneuerung und Aufbruch gesprochen und deutlich gemacht, wie schwer das mit dem aktuellen Personal erscheint. Empfehlen sie überhaupt eine Amtsdauer von sieben Jahren?
Für Dresden kann ein Aufbruch nicht sieben Jahre warten, es müsste jetzt schon passieren. Wir brauchen eine Führungskraft mit Visionen, die begeistern kann. Das ist entscheidend. Sie könnte auch den Stadtrat, der viele eingefrorene Konflikte mit sich rumträgt, anschieben. Es wäre so wichtig.