Dirk Neubauer wird Landrat in Mittelsachsen: "Ich sitze da nicht als Alien"

Augustusburg/Freiberg. Es ist eine Zäsur. Dirk Neubauer gewinnt die Landratswahl in Mittelsachsen. Am Sonntag stimmten 55,6 Prozent für den Einzelbewerber, dessen Kandidatur von SPD, Grüne, FDP und der Linkspartei unterstützt wurde.
Der AfD-Kandidat und Landtagsabgeordnete Rolf Weigand kam mit 24,1 Prozent auf Platz 2. Die CDU, die bisher den Landrat stellte, erreicht mit dem Döbelner Oberbürgermeister Sven Liebhauser nur 20,4 Prozent.
Der 51-jährige Ex-SPD-Politiker übernimmt für die kommenden sieben Jahre nach derzeitigem Stand den einzigen Landkreis, der bei den Landratswahlen nicht an die CDU geht. Der Augustusburger Bürgermeister ist der erste Landrat seit der Kreisreform 2008, der nicht auf CDU-Ticket in ein Landratsamt einzieht.
Die Reaktionen auf den Wahlsieg sind deutlich. "Mittelsachsen zeigt: Veränderung ist nicht nur nötig, sondern tatsächlich möglich", schreibt Marie Müser, die Landesvorsitzende der Grünen, auf Twitter.
Sachsen SPD-Chef Henning Homann sagt, "der progressive Kandidat Dirk Neubauer" habe "der CDU das Amt abgenommen und die AfD in die Schranken gewiesen". Es sei "gut für Sachsen, dass das Monopol der CDU in den Landratsämter Geschichte ist."
Die Landtagsabgeordnete Marika Tändler-Walenta (Linke) dankt Dirk Neubauer "für seinen engagierten und wirklich Mut machenden Wahlkampf". Ihre Parteikollegin Kerstin Köditz twittert: "Mit Dirk Neubauer wird ein linker Bündniskandidat Landrat in Mittelsachsen! Jemand, der Demokratie auch für die Kommunalpolitik einfordert, der sich gegen die ‚kleinen Fürstentümer‘ wendet. Veränderung beginnt mit Demokratie!"
Die SZ hat am Montag mit Dirk Neubauer gesprochen.
Viele feiern Ihren Wahlsieg bei den Landratswahlen als den eines "progressiven" Politikers. Sind Sie das?
Jeder meint damit wahrscheinlich etwas anderes. Ich will versuchen, ansprechbar und erreichbar zu sein – das ist vielleicht das, was viele mit progressiv meinen. Ich möchte die Prozesse so öffnen, dass die Leute nicht nur das Gefühl, sondern die Gewissheit haben, sich einmischen zu können. Ich bin für einen gewissen Pragmatismus. Ich weiß, dass wir viel, viel schneller sein müssen in den Entscheidungen. Das verlangt, dass wir mutiger werden. Aber auch, dass wir eine andere Fehlertoleranz haben – das auch mal etwas schiefgehen können muss. Das ist die Kehrseite dieser Art und Weise, Politik zu machen.
Wie wollen Sie das umsetzen?
Ich werde viel unterwegs sein. Ich möchte Präsenz in der Fläche zeigen. Ich habe in den letzten Wochen so langsam ein Gefühl dafür bekommen, warum manche Menschen sich abgehängt fühlen könnten. Die letzte Veranstaltung, die ich hatte, war in Schwarzbach, das ist von Freiberg anderthalb Autostunden entfernt. Diese Distanz muss man auflösen. Das wird viel Mobil-Sein bedeuten. Wir werden sicherlich darüber reden, den Kreistag wandern zu lassen in diese Region. Und damit auch ganz klar das Signal zu setzen: Wir kommen in eure Nähe. Das sind wichtige Elemente, die man ändern kann und auch muss.
Damit sich die Menschen weniger abgehängt fühlen?
Ich denke schon. Das ist das, was ich in den Gesprächen bei Veranstaltungen immer wieder gehört habe. Dass eine gewisse Ohnmacht herrscht, das Gefühl, auf Dinge überhaupt keinen Einfluss mehr nehmen zu können. Und das kann man ja ändern. Oftmals ist das ja nur ein Gefühl. Ich habe den oder die Bürgermeister/in erlebt, die eigentlich cool sind, es aber nicht einmal versucht haben. Sie denken vorauseilend, dass es sowieso keinen interessiert. Das muss man auflösen. Ich bin ganz sicher, dass man das auch kann.
Sie haben den Ruf eines Machers. Wird es denn mit Ihnen eine neue Einstellung im Landratsamt geben?
Das ist mein Ziel. Ich möchte alle ermutigen, die bisher der Meinung waren, nicht genügend Rückendeckung zu haben, um mutig zu entscheiden. Also die Entscheidungsspielräume, die es ja meistens gibt, auch so auszuleben, wie man das machen könnte. Und sich dabei sicher zu sein, dass sie Rückendeckung dafür haben, dass eine vielleicht mutigere Auslegung des Rechtes auch mal Konsequenzen hat.
Was meinen Sie damit?
Ich möchte ins Ermöglichen kommen. Das wird Menschen in der Verwaltung nur dann gelingen, wenn sie wissen, dass sie Rückendeckung dafür haben. Ich habe das Gefühl, dass das bisher nicht so war.
Als Landrat bestimmen Sie auch die Landespolitik mit. Alle Ihre Kollegen sind von der CDU. Wie stark wird Ihr Einfluss da sein?
Ich kenne den ein oder anderen, der mit mir jetzt im Landkreistag sitzen wird. Ich glaube, wir liegen thematisch bei vielen Dingen gar nicht so weit auseinander. Da kommt auch eine Generation, die anders ausgerichtet ist. Das eine oder andere Gespräch gab es auch schon. Ich bin mir sicher, dass ich da nicht als Alien sitze und mit mir keiner etwas zu tun haben möchte.
Was wird Ihre erste Amtshandlung sein, wenn Sie das Landratsamt übernehmen?
Ich freue mich, dass der Alt-Landrat mich angerufen hat und mir nicht nur gratuliert, sondern angeboten hat, dass wir gemeinsam einen guten Übergang hinbekommen. Ich habe das angenommen. Als Erstes geht es darum, anzukommen und handlungsfähig zu werden. Und dann werde ich sehr schnell Runden durch die große Verwaltung drehen, um mich vorzustellen und allen die Chance zu geben, sich ein Bild zu machen, wer da kommt und wie der tickt.