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Schluss mit dem Parteiengeplänkel

Der Erfolg der Parteilosen bei Kommunalwahlen zeigt, wovon viele genug haben. Doch ohne Parteien geht es nicht. Sie müssen sich ändern.

Von Marcus Thielking
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Unsere Demokratie kann ohne Parteien nicht funktionieren, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking.
Unsere Demokratie kann ohne Parteien nicht funktionieren, meint Sächsische.de-Redakteur Marcus Thielking. © Ronald Bonß

Was macht eigentlich Horst Schlämmer? Der schnauzbärtige Lokalzeitungsjournalist trat vor einigen Jahren als Kanzlerkandidat an, um Angela Merkel abzulösen. Sein Programm: liberal, konservativ und links. Grevenbroich, sein Heimatort, sollte Bundeshauptstadt werden, so eine seiner Kernforderungen. Mangels Alternative gründete er die HSP – die Horst-Schlämmer-Partei. Bei der Bundestagswahl kam diese auf 0,37 Prozent. Weisse Bescheid, Schätzelein.

„Isch kandidiere“ – der Kinofilm des Komikers Hape Kerkeling von 2009 war eine alberne Satire auf den deutschen Politikbetrieb. In Wirklichkeit ist die Sache ernster. In allen westeuropäischen Demokratien wenden sich die Bürgerinnen und Bürger von den Parteien ab. Schon seit Jahrzehnten geht das so. Mitgliederzahlen schrumpfen, Wahlbeteiligungen sinken.

Gerade in Ostdeutschland identifizieren sich wenige mit einer bestimmten Parteifarbe. Die Kommunalwahlen in Sachsen haben es jetzt wieder gezeigt: Ein Großteil der gewählten Bürgermeister sind unabhängige Kandidaten. Oder sie wurden unterstützt von Bündnissen wie der „Action gemeinsame Liste Bösenbrunn“, der „Wählervereinigung Tourismus“ in Bad Schandau oder der Initiative „Pro Großrückerswalde“.

Ein Feuerwehrmann wird Oberbürgermeister

In Radeberg gewann die OB-Wahl überraschend der parteilose Feuerwehrmann Frank Höhme – gegen eine Kandidatin, die gemeinsam von CDU, SPD und Grünen aufgestellt worden war. „Hier geht’s um unser Radeberg“, sagte Höhme nach der Wahl, „nicht um das Parteiengeplänkel.“

Eine kleine Sensation der Kommunalwahlen ist auch der Erfolg des Parteilosen Dirk Neubauer, der in Mittelsachsen künftig als einziger Landrat ohne CDU-Parteibuch regiert. Neubauer war früher Mitglied der SPD und trat vor einigen Jahren frustriert aus. „Parteienmitgliedschaft war nicht so meins“, sagte er in einem Wahlwerbevideo. Die derzeitigen Probleme könne man nur lösen, „wenn man überparteilich agiert“.

Der Parteilose Dirk Neubauer wird neuer Landrat in Mittelsachsen.
Der Parteilose Dirk Neubauer wird neuer Landrat in Mittelsachsen. © Jürgen Lösel

Dabei weiß natürlich auch Neubauer: Die parlamentarische Demokratie kann ohne Parteien gar nicht funktionieren. Sie bündeln die verschiedenen Interessen und Anschauungen, die es in jeder offenen Gesellschaft gibt. Links, rechts, grün, national, liberal – solche Schubladen sind zwar oft ungenau. Aber ohne sie herrschte totales Meinungschaos.

Die Idee der überparteilichen, nur am Gemeinwohl orientierten Regierung gab es schon in der Antike, mit Platons Philosophenherrschaft. Doch die moderne Massendemokratie basiert auf dem Wettbewerb und Wechsel der verschiedenen Kräfte. Diese Kräfte organisieren sich in Parteien.

Trotzdem ist der Erfolg der Parteilosen eine Chance für das System. Typen wie Neubauer bringen Schwung in den Laden, mit frischen Ideen und unkonventionellen Lösungsvorschlägen. Ob die in der Wirklichkeit alle so schön taugen, wie sie klingen, wird sich zeigen.

Neue Gesichter ohne Parteibuch könnten auch Menschen wieder in die Wahllokale locken, die sonst gar nicht mehr gehen würden. Traurige Tatsache ist jedoch, dass selbst in Neubauers Landkreis Mittelsachsen die Wahlbeteiligung gesunken ist: Waren es vor sieben Jahren 42 Prozent, gingen jetzt nur noch 36,6 Prozent hin.

Der Osten und die Runden Tische

Vor allem aber setzen die Parteilosen die klassischen Parteien unter Druck. Und das ist gut. Mal abgesehen davon, dass es der Demokratie nie schadet, wenn die jahrzehntelange Vorherrschaft einer einzelnen Partei durchbrochen wird: Jetzt werden die Etablierten gezwungen, sich zu überlegen, was sie anders machen müssen, um wieder mehr Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.

Zuerst mal sollten sie anfangen, Verhaltensmuster abzulegen, die so vielen auf den Keks gehen: Postengeschacher, ideologischer Starrsinn oder inhaltliche Beliebigkeit, Wahlversprechen aus der PR-Maschine, die nie eingehalten werden, und so weiter.

Parteilose Politiker geben sich gern als Pragmatiker, auch das kommt gut an. Gerade in der Lokalpolitik lassen sich Probleme oft sachorientierter lösen als in der Landes- oder Bundespolitik. Hier im Osten wird das von der historischen Erfahrung der Runden Tische bestärkt. Müllabfuhr ist nicht links oder rechts, sondern muss funktionieren.

Dabei schließen Pragmatismus und eine politische Haltung einander nicht aus. Im Gegenteil: Wer einen Kompass hat, kann oft auch in der Sache mit klarerem Blick urteilen und Kompromisse schließen.

Der parteilose Feuerwehrmann Frank Höhme gewann die OB-Wahl in Radeberg.
Der parteilose Feuerwehrmann Frank Höhme gewann die OB-Wahl in Radeberg. © Christian Juppe

Warum dann auf der lokalen Ebene nicht gleich ganz auf Parteien verzichten? Das wäre fatal für die Demokratie. Es würde noch mehr den Eindruck einer Kluft verstärken: Dort „die Politiker“ in den Talkshows und in Berlin, hier die einfachen Bürger, deren Alltagssorgen niemanden interessieren. Parlamentarische Politik braucht die Verwurzelung der Parteien – von der globalen Außen- und Gipfelpolitik bis tief in die kleinsten Ortsvereine.

Natürlich hängt das Schicksal von Großrückerswalde nicht davon ab, ob der Bürgermeister von der CDU oder der SPD ist. Aber hier lernen die Menschen, wie Politik funktioniert, und nur hier können Parteien nachwachsen, wenn sie nicht zu Wahlkampfoptimierungsagenturen mutieren sollen.

Feuerwehrmann Höhme aus Radeberg hat völlig recht: Parteiengeplänkel, kleinliches Hickhack, nervt. Deshalb: Schluss mit dem Geplänkel! Aber die Parteien brauchen wir noch.