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Wie die AfD ihre Wahlpleite im Kreis Görlitz schön redet

Die AfD wollte unbedingt den Landrat im Kreis Görlitz stellen, Bundessprecher Chrupalla ging von einem Sieg im ersten Wahlgang aus. Jetzt kam es anders. Eine Analyse.

Von Sebastian Beutler & Susanne Sodan
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Sebastian Wippel (Mitte) im Kreise der AfD-Mitglieder am Abend des 12. Juni in Görlitz.
Sebastian Wippel (Mitte) im Kreise der AfD-Mitglieder am Abend des 12. Juni in Görlitz. © Martin Schneider

Sebastian Wippel ließ sich Zeit mit einer Reaktion. Anders als bei der Görlitzer OB-Wahl. Damals ging er noch am Wahlabend zur Wahlparty von Sieger Octavian Ursu und gratulierte ihm zu dessen Erfolg. Am Sonntag nun blieb er aber bei seinen Anhängern.

Erst am Montagnachmittag äußerte sich der AfD-Landespolitiker und Landratskandidat im Kreis Görlitz in den sozialen Netzwerken zu seinem Ergebnis am Sonntag.

Wippel freut sich über sein Ergebnis

Wippel erreichte bei der Landratswahl 35,8 Prozent der Stimmen, landete damit deutlich hinter Wahl-Gewinner Stephan Meyer (CDU), der 56,4 Prozent der Stimmen sammeln konnte. Auch lag er nur in drei der 53 Gemeinden im Landkreis Görlitz am Sonntag vor Meyer. Wippel sieht sein Ergebnis dennoch positiv.

In einem Facebook-Beitrag schreibt er, es sei ihm gelungen, "das beste Wahlergebnis von allen AfD-Kandidaten in ganz Sachsen einzufahren - auch wenn es am Ende letztlich nicht gereicht hat, um unser Ziel zu erreichen und erstmals einen Landrat stellen zu können." Tatsächlich konnten sich die AfD-Kandidaten in keinem Wahllandkreis am Sonntag durchsetzen. Im Erzgebirgskreis kam der AfD-Kandidat auf lediglich 16,3 Prozent der Stimmen.

Erwartungen der AfD lagen viel höher

Im Vergleich zu den AfD-Erwartungen ist das Ergebnis für die Rechtsaußen-Partei enttäuschend. Bundessprecher Tino Chrupalla hatte noch am 11. Juni auf dem Görlitzer Marienplatz die Erwartung geäußert, am darauffolgenden Sonntag im ersten Wahlgang den "Sack zuzumachen" und die ersten Landräte in Sachsen zu stellen. Das gelang bekanntermaßen nicht, aber auch im zweiten Wahlgang konnte sich kein AfD-Kandidat durchsetzen.

Schon zuvor war es der AfD ebenso nicht gelungen, ein Rathaus zu gewinnen. Im Landkreis Görlitz hatte sie nur bei drei Bürgermeisterwahlen eigene Kandidaten aufgestellt. Ihr bestes Ergebnis erreichte sie bei der Oberbürgermeisterwahl in Zittau mit 28,2 Prozent. In Rothenburg (12 Prozent) und Boxberg (6,8 Prozent) landete sie aber mindestens genauso abgeschlagen hinter den Siegern. Damit setzte sich die Niederlagenserie der AfD bei Personenwahlen durch, wie sich auch schon bei den Oberbürgermeisterwahlen in Löbau und Niesky gezeigt hatte.

AfD hat ein Kandidatenproblem

Die AfD hat ein Kandidatenproblem - und offensichtlich auch ein Mobilisierungsproblem. Obwohl Wippel noch der Kandidat war, der den Wählern am ehesten zu vermitteln war. Ursprünglich hatte sich der Görlitzer Hochschulprofessor Hansjörg Huber für eine Kandidatur interessiert. Das bestätigte er auch gegenüber sächsische.de. Schließlich hätte er sich aber dagegen entschieden.

Der Wahlkampf Wippels nahm nie Fahrt auf, vergleichsweise wenige Mitglieder engagierten sich so stark wie auf der Gegenseite bei Meyer. Zudem fanden auch die Kundgebungen in Zittau, Löbau und Weißwasser wenig Resonanz, nur in Görlitz versammelte sich am 11. Juni eine nennenswerte Zahl an Teilnehmern - allerdings mussten dazu auch die beiden heutigen Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel kommen sowie Anhänger aus der gesamten Oberlausitz nach Görlitz reisen.

Solange die AfD keine Kandidaten aufstellt, die mehrheitsfähig und durch ihr Wirken über die Partei bekannt sind sowie stärker mit Mitgliedern in Vereinen oder anderen Gremien vertreten ist, hat sie einen strukturellen Nachteil bei Wahlen. Das heißt nicht, dass sie nicht gewählt wird. Aber es gab schon Gemeinderatswahlen, da konnte die Partei gar nicht alle Sitze besetzen, die ihnen das Wahlergebnis zusprach, weil die Kandidatenliste zu kurz war.

Sebastian Wippel scheint das Problem in der Wahlbeteiligung zu sehen. Seinen Anhängern rät er, nun nicht in "Nichtwählerbeschimpfung" zu verfallen. Warum seine Wähler nicht an die Urne gegangen sein sollen, lässt er aber offen. Tatsächlich erhielt er im zweiten Wahlgang knapp 6.600 Stimmen weniger als im ersten Wahlgang, Meyer büßte nur rund 600 Stimmen ein.

Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 40 Prozent, nach 49,4 Prozent im ersten Wahlgang. Trotz der zurückgegangenen Wahlbeteiligung lag sie im Kreis Görlitz am Sonntag sachsenweit am höchsten. Und auch der Vergleich zu der Landratswahl 2014 zeigt, dass sie gar nicht so niedrig lag. Damals gaben 36,6 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

Trotzdem hält sich in den sozialen Netzwerken hartnäckig die Erzählung, dass Wippel zusammen mit den Nichtwählern eine Mehrheit hätte. Als wenn alle Nichtwähler potenzielle AfD-Wähler wären, die nur aus Bequemlichkeit den Weg zur Wahlurne nicht gefunden haben.

Anders herum wird dann der Wähleranteil von Stephan Meyer im Verhältnis zur Wahlbeteiligung heruntergerechnet und ihm wiederum eine Mehrheit im Kreis abgesprochen. Dieses Spiel wiederholt sich in AfD-Kreisen immer nach verlorenen Wahlen - also zuletzt sehr häufig. Damit aber werden freie, geheime und gleiche Wahlen infrage gestellt.

Wippel verband seine Erklärung in den sozialen Netzwerken zugleich aber auch mit einer deutlichen Warnung. Er hoffe, dass sich Meyer "konsequent von unrühmlichen CDU-Eskapaden wie etwa der Vetternwirtschaft" abgrenze und warnt: "Und vergessen Sie nie: Am Ende des Tages müssen Sie mit allen im Kreis zusammenarbeiten und ein Landrat aller Bürger des Landkreises sein", auch für seine Wähler, so Wippel.

Was es mit der angeblichen Blockade auf sich hat

Meyer solle diese Menschen nicht vergessen - und von der Blockadehaltung gegenüber der AfD abrücken, "denn damit würden Sie die bereits stark vorangeschrittene Politikverdrossenheit bei einer Vielzahl von Menschen nur noch mehr voranschreiten lassen." Mutmaßlich meint Wippel, falls Meyer nicht von der angeprangerten Blockadehaltung abrücke, werde die Politikverdrossenheit steigen. Wippel gehört auch dem Görlitzer Kreistag an.

Auch diese angebliche Blockadehaltung ist ein immer wiederkehrendes Argument bei der AfD, um ihre Ergebnislosigkeit in den Gemeindevertretungen zu kaschieren. Selbst wenn sie wie im Görlitzer Stadtrat oder im Görlitzer Kreistag die größte oder zweitgrößte Fraktion bilden, so sind sie weit von Mehrheiten entfernt.

Dass andere Parteien, Fraktionen und Wählervereinigungen oftmals thematisch näher liegen und Mehrheiten zustande bringen, ist dann weniger Ausdruck einer Blockadehaltung, sondern von der Fähigkeit zu Kompromissen in einem demokratischen System. Doch bislang hält die AfD von Kompromissen nicht viel. Nützen tut ihr das Beharren auf den Vorwürfen auch nicht viel: Ihr Stimmenanteil ist stabil bei rund 35 Prozent kreisweit - aber er erhöht sich auch nicht mehr.