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Wie Polizisten in Sachsen schlechte Nachrichten überbringen

Nach tödlichen Unfällen sind es oft Polizisten, die die Angehörigen informieren müssen. Zwei Beamte der Dresdner Verkehrspolizei erzählen von ihren Erlebnissen.

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Polizeihauptmeisterin Anja Göhler und Polizeihauptmeister Steffen Wünsch stehen im Behördenareal Stauffenbergallee vor ihrem Büro. Nach tödlichen Unfällen sind es oft Polizisten, die die Angehörigen informieren müssen.
Polizeihauptmeisterin Anja Göhler und Polizeihauptmeister Steffen Wünsch stehen im Behördenareal Stauffenbergallee vor ihrem Büro. Nach tödlichen Unfällen sind es oft Polizisten, die die Angehörigen informieren müssen. © Sebastian Kahnert/dpa

Dresden. Manche fallen um, wenn sie die Todesnachricht hören. Andere sagen: "Das stimmt nicht - gehen Sie!" Wieder andere schreien, weil sie es nicht fassen können. Und dann gibt es Menschen, die sagen: "Ich geh' jetzt abwaschen."

So unterschiedlich fallen die Reaktionen der Angehörigen aus, wenn sie von einem Polizisten hören, dass ihr Bruder, ihr Ehemann oder ihr Kind gestorben ist. Für Steffen Wünsch (54) und Anja Göhler (49) gehört das zum Job. Die beiden sind Kollegen beim Unfalldienst der Dresdner Verkehrspolizei.

Schon oft haben sie an den gleichen Fällen gearbeitet, in ihrer Laufbahn haben sie immer wieder zerstörtes Metall, Tote und viel Leid gesehen. 118 Menschen sind laut Statistik allein im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen in Sachsen gestorben. Wie gehen Beamte vor, wenn sie Angehörigen die traurigen Nachrichten überbringen?

"Da gibt’s kein Allgemeinrezept", sagt Steffen Wünsch. "Man sagt "Mein Beileid", klar, aber ansonsten gibt es keinen vorgefertigten Text, das funktioniert nicht." Ähnlich sieht das Matthias Große. Er ist Pfarrer und Polizeiseelsorger der Direktion Dresden. Als Teil eines Kriseninterventionsteams unterstützt und begleitet er Beamte wie Wünsch und Göhler. An Unfallstellen und in Wohnungen der Betroffenen gilt nämlich eine Arbeitsteilung: Polizisten klären vor allem die Fakten - Große kümmert sich um die Seele der Menschen.

Distanz wahren, um emotional stabil zu bleiben

Während die Beamten mit den Angehörigen reden, hält er sich zunächst im Hintergrund, um nicht als der Überbringer der Botschaft dazustehen. Wenn die Polizisten gehen, bleibt er noch in der Wohnung - vorausgesetzt die Angehörigen wollen das. Es sei wichtig, offenzubleiben, zu spüren, was in dem Betroffenen gerade passiert und ihren Gefühlen Raum zu geben, sagt Große.

Auch wenn es keine Routinen, kein Handbuch gibt, so nennt Große doch ein paar Grundregeln: Die Nachricht sollte nicht vor der Tür, sondern in der Wohnung, am besten sitzend, überbracht werden. "Der Betroffene könnte die Tür sonst zuschlagen. Man weiß nicht, was dahinter passiert." Kinder sollten den Raum, wenn möglich, verlassen und die Nachricht später von ihren Eltern erhalten, nicht von einem Polizisten, meint Große.

Auch zu viel Nähe kann ein Fehler sein. "Wir hatten einen Kollegen, der einen Unfall nicht verarbeiten konnte", erzählt Anja Göhler. Der Beamte habe sich von der Mutter eines toten Sohnes vereinnahmen lassen und sei sogar zur Beerdigung gegangen. "So viel Nähe sollte man nicht zulassen", sagt Göhler. Die psychische Belastung sei einer der Gründe gewesen, warum der Kollege die Abteilung schließlich verlassen hat.

Bei schweren Unfällen mit Todesopfern - wie vor zwei Wochen bei Eilenburg - muss die Polizei oftmals die Todesnachricht an Angehörige überbringen. Erschwert wird diese Arbeit oftmals durch soziale Medien und Falschmeldungen.
Bei schweren Unfällen mit Todesopfern - wie vor zwei Wochen bei Eilenburg - muss die Polizei oftmals die Todesnachricht an Angehörige überbringen. Erschwert wird diese Arbeit oftmals durch soziale Medien und Falschmeldungen. © Archiv/Tobias Junghannß

Wer im Unfalldienst arbeitet, müsse Distanz wahren, um emotional stabil zu bleiben, sagt Wünsch. "Ich habe es geschafft, eine Mauer um mich herum aufzubauen." Aber: "Bei Kinderunfällen ist das immer noch was anderes." Auch Anja Göhler war tief berührt, als ihr einmal die Mutter eines verstorbenen Motorradfahrers um den Hals fiel.

Um ihre Erlebnisse zu verarbeiten, können Beamte mit dem Einsatznachsorgeteam sprechen. Zudem gibt es Fortbildungen. Nach Angaben der sächsischen Polizeigewerkschaft ist das Überbringen von Todesnachrichten seit einigen Jahren auch Teil der Ausbildung. Polizeiarbeit sei allerdings ein "Erfahrungsberuf", sagt der Landesvorsitzende Jan Krumlovsky. Theorie und Rollentraining könnten die Praxis im Ernstfall nicht ersetzen. "Das ist ein völlig anderes Level."

"Man weiß nicht, in welcher Situation der Empfänger ist"

Steffen Wünsch und Anja Göhler setzen vor allem auf die Kommunikation im Team. "Da wir alle mit demselben Leid umgehen müssen, wissen wir, wovon wir reden." Nach schweren Einsätzen fahren die Kollegen auch mal gemeinsam einen Umweg mit dem Auto, stoppen an einer Tankstelle, trinken Kaffee, reden über das Grauen, das sie gesehen haben. "Danach geht’s besser."

Zunehmend erschwert werde die Arbeit der Beamten durch soziale Medien, sagt Pfarrer Große. Demnach werden immer häufiger Fotos von Unfällen aufgenommen und beispielsweise auf WhatsApp geteilt. So könne es passieren, dass Menschen über einen dieser Kanäle erfahren, dass ihr Sohn gestorben ist.

Das Problem: "Man weiß nicht, in welcher Situation der Empfänger gerade ist, er könnte die WhatsApp bekommen, während er selbst Auto fährt", sagt Große. Für ihn steht fest, dass im Idealfall die Polizei die Nachricht überbringt. So ließen sich auch Fehlinformationen ausschließen.

Trotz aller Probleme machen die zwei Dresdner Verkehrspolizisten ihren Job gerne. "Mich würde es nicht befriedigen, nur im Büro zu sitzen und Papier zu bearbeiten", sagt Wünsch. Im Unfalldienst könne man Menschen in der Not wirklich helfen, sagt Anja Göhler. "Ich habe schon oft erlebt, dass im Rückblick gesagt wird: Es war gut, dass ihr da wart." (dpa)