Von Sven Heitkamp
Jan Hömme, 16 und Schüler in Fürstenau bei Osnabrück, hat seinem kleinen Bruder Arne viel zu verdanken: Ein gesundes Leben – und eine Berufsperspektive. Als Jan fünf Jahre alt ist, wird seine seltene Bluterkrankung mit Stammzellen aus der Nabelschnur des Bruders geheilt. Diesen Herbst nun hat der Schüler sogar ein Praktikum in jenem Unternehmen gemacht, das den ärztlichen Kunstgriff erst technisch ermöglicht hat: Das Biotech-Unternehmen Vita34 in Leipzig, die größte private Stammzellenbank im deutschsprachigen Raum für Nabelschnurblut und Gewebe. Sie hat mittlerweile Stammzelldepots von etwa 150 000 Kindern in Deutschland und anderen Ländern der Welt im Kälteschlaf konserviert.
Mit drei Jahren erkrankt Jan an aplastischer Anämie. Die Blutbildung im Knochenmark versagt. Er darf nicht in Kontakt mit Keimen kommen – und nicht mit anderen Kindern spielen. Als sein zweiter Bruder Arne auf die Welt kommt, entscheiden sich die Eltern, aus der Nabelschnur des Neugeborenen ein Stammzelldepot bei Vita34 anzulegen. Denn daraus können mitunter medizinische Präparate hergestellt werden. Das wertvolle Gut wird in Leipzig bei Minus 190 Grad im Kälteschlaf gelagert. Als sich Jans Zustand weiter verschlechtert, werden ihm schließlich aufbereitete Stammzellen aus Arnes Nabelschnur und etwas Knochenmarkflüssigkeit an der Uniklinik Hannover transplantiert. Schon nach kurzer Zeit verbessern sich seine Werte. „Ich bin heute uneingeschränkt und klinisch gesund“, erzählt er.
Die Geschichte seiner Heilung hat ihn so beeindruckt, dass Jan in diesen Herbstferien ein zweiwöchiges Praktikum in der Forschungsabteilung von Vita34 absolviert hat. Die Kontakte zum Unternehmen haben ihm dabei Türen geöffnet. „Ich würde später gern im mathematischen oder naturwissenschaftlichen Bereich arbeiten“, sagt Jan. Zum Beispiel in der Bioinformatik. „Es war spannend, Vita34 und die Forschungen zur Verfahrensoptimierung dort kennenzulernen. Schließlich hat die therapeutische Anwendung mein Leben entscheidend verbessert.“ Unterstützt wurde Jans Heilung durch die Geschwisterinitiative von Vita34. Das Prinzip: Könnte ein schwer erkranktes Kind für eine Behandlung Stammzellen benötigen und kommt in dieser Familie ein Geschwisterkind zur Welt, lagert das Unternehmen Gewebe mit Stammzellen des Neugeborenen fünf Jahre lang kostenlos ein. „Weil Geschwister mit ihrem Nabelschnurblut einander helfen können, haben wir 2002 diese Initiative ins Leben gerufen“, sagt Vita34-Chef André Gerth. „Geschwister sind ideale Spender für eine Stammzellentherapie, weil das Abstoßungsrisiko beim Empfänger viel geringer ist als bei Fremdspendern.“ Im August hat Vita34 nun seine familiäre Stammzellenbank auch für Dritte geöffnet: Unter dem Titel „Meins und Deins“ können werdende Eltern nicht nur für ihre Kinder ein Stammzelldepot anlegen, sondern die Stammzellen auch öffentlich freigeben. Dafür werden aus der Nabelschnur des Neugeborenen gleich zwei Stammzelldepots angelegt, wenn nach der Geburt ausreichend Blut gewonnen werden konnte. Die Zusatzkosten von bis zu 300 Euro für die öffentliche Spende übernimmt das Unternehmen. „Vita 34 sieht sich in der gesellschaftlichen Verantwortung, eine breite Versorgung mit Stammzellen zu ermöglichen“, sagt Geschäftsführer Gerth. Fast jede zehnte Familie habe sich bereits für „Meins und Deins“ entschieden.
Bisher bestand die Möglichkeit, ein privates Stammzelldepot als öffentliche Spende freizugeben. Die Einsatzmöglichkeiten bei der individuellen Vorsorge seien aber noch vielfältiger. So forsche die regenerative Medizin bereits an einem Ersatz von Haut, Knorpel, Knochen und ganzen Organen. „Das große Potenzial der Stammzellen aus der Nabelschnur kann in der personalisierten Medizin künftig noch besser genutzt werden“, sagt Gerth.
Die Vita34 AG war 1997 als kleine Firma eines Leipziger Immunologen gestartet. Heute sind europaweit mehr als 2 000 Geburtskliniken an das System angeschlossen. Sie können nach einer Entbindung Präparate direkt nach Leipzig liefern, wo die Depots in mit Stickstoff gekühlten Edelstahltanks aufbewahrt werden. 30 der 145 000 Depots im Kryolager kamen bisher in Heilbehandlungen von Blut- und Krebserkrankungen, Hirnschäden und Diabetes zum Einsatz. Das börsennotierte Leipziger Unternehmen macht inzwischen mehr als 14 Millionen Euro Jahresumsatz, hat rund 150 Mitarbeiter in Europa, 100 davon in Leipzig, und Tochterfirmen und Partner in mehr als 20 europäischen Ländern, außerdem in Dubai und im Libanon. Eine eigene Forschungsabteilung bei Vita34 entwickelt parallel die hauseigenen Verfahren und therapeutische Anwendungen weiter. Dafür wurde das Unternehmen dieses Jahr als Top-Innovator ausgezeichnet – für Jan Hömme war es das allemal.