Merken

Provokation aus Licht

Der Künstler Ludger Hinse eröffnet neue Perspektiven auf das Kreuz als Symbol. Seine Arbeiten sind jetzt an vielen Orten in Bautzen zu sehen.

Von Franziska Springer
 4 Min.
Teilen
Folgen
In 20 Jahren Beschäftigung mit den Themen Kreuz und Licht hat der Künstler Ludger Hinse viele Werke geschaffen, die er vor allem in Deutschland, aber auch weltweit ausstellt. Etwa 40 seiner Arbeiten, darunter das Lichtkreuz, zeigt er ab Mittwoch.
In 20 Jahren Beschäftigung mit den Themen Kreuz und Licht hat der Künstler Ludger Hinse viele Werke geschaffen, die er vor allem in Deutschland, aber auch weltweit ausstellt. Etwa 40 seiner Arbeiten, darunter das Lichtkreuz, zeigt er ab Mittwoch. © Steffen Unger

Bautzen. Ganz langsam dreht sich ein zwei Meter hohes, gleichschenkliges Kreuz unter dem Gewölbe des St.-Petri-Doms in Bautzen um die eigene Achse. Es versperrt die Sichtachsen. Wirkt dann, wenn sich die Sonnenstrahlen an seiner spiegelnden Hülle aus Plexiglas brechen, als sei es aus purem Gold. Schon im nächsten Moment scheint es fast transparent und ist kaum mehr als eine Irritation für das Auge.

Das Lichtkreuz aus der Hand von Ludger Hinse ist nur eine von etwa 40 Arbeiten, die der Recklinghausener Künstler ab Mittwoch für drei Monate an 13 verschiedenen Orten in Bautzen ausstellt. Die Werke – so unterschiedlich ihr Ansatz, ihre Stofflichkeit, ihre Wirkung mitunter auch sind – eint vor allem eine Mission: „Wir verbinden das Kreuz mit Begriffen wie Not, Leid, Elend, Dunkelheit“, erklärt Hinse. „Dieses Sehen möchte ich verändern.“

Seit er vor über zwanzig Jahren in Santiago de Chile erlebte, wie das Tragen von Kreuzen Demonstranten vor dem Zugriff durch das Militär schützte, ist dieses wichtigste Symbol der Christen ein bestimmendes Thema in Hinses Werken. Seither versucht er, auch die Wahrnehmung des Publikums für die Ambivalenz des Zeichens zu sensibilisieren: „Das Leidenskreuz mit dem angeschlagenen Korpus ist das Symbolbild des westlichen Glaubens geworden“, kritisiert er. Aber es sei eben auch Symbol des Lebens, der Auferstehung. „Die Schönheit des Lichtkreuzes ist die Provokation schlechthin, denn sie zerstört unser Bild vom Kreuz“, erklärt der Westfale seine grundlegende Idee.

Von der vagen Idee zum Projekt

Auf der Suche nach neuen Impulsen für den traditionellen Einkehrtag in der Fastenzeit entdeckte Dompfarrer Veit Scapan die Arbeiten Hinses und war sofort angetan: „Das Kreuz zentral mit Ostern, also der Auferstehung, zu verbinden ist theologisch sauber. Es braucht diesen Korpus nicht“, findet auch er. Beim ersten Besuch des Künstlers in der Spreestadt im September 2017 wurde aus der vagen Idee unter Mitwirkung der evangelischen Gemeinde schnell ein ökumenisches Projekt mit Strahlkraft in die ganze Stadt hinein. „Das Erste seiner Art“, betont Scapan. Und auch eine „Einladung an alle, sich mit dem Zeichen des Kreuzes auseinanderzusetzen“, wie Hinse es formuliert.

82 musische und informative Veranstaltungen laden im Umfeld der Ausstellung zwischen Aschermittwoch und Pfingstsonntag dazu ein. „So vielfältig die Arbeiten sind, die ich hier ausstelle, so vielfältig wird auch das Rahmenprogramm“, verspricht Hinse. Auch er selbst wird demnächst viel Zeit in Bautzen verbringen und verspricht neben Vorträgen und Führungen eine besondere Performance in der Gedenkstätte Bautzen II. Unter dem Titel „Das Leid der Welt“ gestaltet er am 4. Mai einen Abend mit eigenen Texten unter der Mitwirkung von Musiker Hans Narva, auch bekannt durch die Ost-Punk-Band „Herbst in Peking“. Die Gedenkstätte in der Weigangstraße ist es auch, in der Hinse seine wenigen Leidkreuze auszustellen bereit ist und so die dunkle Seite des Kreuzes zur Darstellung bringt. Unter den ausgestellten Objekten wird sich etwa das Kreuz von Auschwitz befinden, auf dem sprichwörtlich Leichenberge das Grauen der nationalsozialistischen Diktatur illustrieren. Die Maria-Martha-Kirche ganz in der Nähe der Gedenkstätte wird durch die Ausstellung ebenfalls bespielt – unter anderem mit einer Himmelsleiter. „Sie bewegt sich und verändert den ganzen Raum“, schwärmt der Künstler, der besonders mit diesem Objekt viele eindrückliche Erlebnisse verbindet. Einige seiner Anekdoten wird er am Mittwoch bei seiner Predigt beim ökumenischen Gottesdienst im Bautzener Dom zum Besten geben. Darüber hinaus verspricht er noch eine große Überraschung für die beiden Gemeinden: „Ich werde Bautzen ein Geschenk überreichen“, verspricht er vielsagend. „Was das ist, behalte ich aber noch für mich.“

Das Lichtkreuz im Dom.
Das Lichtkreuz im Dom. © Steffen Unger

Bis am Mittwoch zur zentralen Auftaktveranstaltung alle Werke des Künstlers ihren Platz in Bautzen gefunden haben, stehen Hinse und seinem Team noch einige hektische Stunden des Aufbaus hervor. Welche Wirkung das Lichtkreuz im Dom aber bereits jetzt auf Betrachter hat, lässt sich vielleicht im Trubel des Aufbaus besonders gut beobachten: „Ich finde es einfach fantastisch“, sagt etwa Rosemarie Pohontsch, die auf einer der Kirchenbänke im evangelischen Teil des Doms Platz genommen hat und verzückt das Lichtspiel betrachtet. „Es sieht so vollkommen aus und gleichzeitig so zurückhaltend. Besonders das Strahlende fasziniert mich.“