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Radeberg will Schul-Paukenschlag

Epilepsiezentrumschef Wallmann applaudiert im Radeberger Stadtrat und der OB dichtet vor Begeisterung einen „Höhner“-Hit um.

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© Architekturbüro Dauphin Radeberg

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Applaus ist in den Radeberger Stadtratssitzungen eher selten. Doch nach diesem Beschluss hielt es Martin Wallmann einfach nicht mehr auf seinem Sitz. Der Chef des Epilepsiezentrums Kleinwachau im Ortsteil Liegau war trotz schwerer Erkältung in die Sitzung gekommen, „um bei dieser historischen, wegweisenden Entscheidung dabei zu sein“, sagte er hinterher. Und war rundum glücklich.

Soeben hatten die Stadträte einstimmig den Grundsatzbeschluss gefasst, im Ortsteil Liegau-Augustusbad ein sächsisches Pilotprojekt auf den Weg zu bringen. Einen gemeinsamen Schulcampus an der Wachauer Straße, der sowohl von der hier schon ansässigen Förderschule für geistig Behinderte des Epilepsiezentrums, als auch von den Schülern einer hier dann neu zu bauenden Grundschule genutzt werden soll. Zudem ist eine Turnhalle geplant. Und mit diesem Projekt wäre Radeberg echter Vorreiter; denn eine solche Verbindung verschiedener Schulformen und auch verschiedener Trägerschaften gibt es in Sachsen bisher nicht. Nicht zuletzt mit Blick auf das Thema Inklusion. Würden hier ja dann Schüler mit und ohne Einschränkungen ihren Tag gemeinsam verbringen.

Und die Vorteile liegen auf der Hand: „Wir bekommen auf diese Weise eine moderne Grundschule, lösen das Schulsportproblem in Liegau – aktuell ist aus Mangel an einer Turnhalle kein regulärer Unterricht möglich – und wir sichern auch gleich noch beide Schulen für die Zukunft“, kam OB Gerhard Lemm (SPD) fast ins Schwärmen. Und hatte auch gleich noch einen Hit der Kölsch-Rocker „Die Höhner“ umgedichtet, um für den Beschluss zu werben: „Wer, wenn nicht wir – wo, wenn nicht hier – wann, wenn nicht jetzt!“ Und das sahen dann eben auch alle Stadtratsfraktionen so.

Offen gegenüber Behinderten

Und tatsächlich sind die Voraussetzungen im Ortsteil Liegau-Augustusbad für ein solches Projekt nahezu perfekt. Die Offenheit der Einwohner gegenüber Behinderten ist hier durch das ansässige Epilepsiezentrum sehr hoch – und auch die Verantwortlichen im Epilepsiezentrum sind sehr offen für die Zusammenarbeit, stellen beispielsweise das Grundstück für den Bau zur Verfügung. Zudem war ja in den vergangenen Monaten auch schon bei den zuständigen Ministerien vorgefühlt worden –  von dort kam nun der Hinweis, dass es eine Machbarkeitsstudie samt Grundsatzbeschluss des Stadtrates brauche, um über Fördermittel für das Projekt reden zu können. Die Studie hat das Radeberger Architekturbüro Dauphin erstellt; und hatte das Ganze auch bereits in einer Einwohnerversammlung in Liegau präsentiert. „Dass es jetzt richtig losgehen kann, ist ein wunderbares Weihnachtsgeschenk“, machte Epilepsiezentrums-Chef Martin Wallmann nach der Sitzung klar, dass der Weihnachtsmann diesmal nur noch mit kleinen Geschenken vorbeizuschauen braucht …

Zudem sind auch bereits erste konzeptionelle Vorarbeiten geleistet. Beide Schulleiter haben Grund-Ideen entwickelt. Und der große Vorzug dieses Projektes ist es zudem, dass letztlich beide Schulen ihre Eigenständigkeit behalten. Das hilft, Ängste bei den Eltern abzubauen, dass durch eine Verbindung beider Schulen möglicherweise die Ansprüche an den Unterricht in der Grundschule verwässert werden könnten. „Es gelten selbstverständlich die Anforderungen des sächsischen Lehrplanes“, stellte Grundschul-Chefin Alexandra Baumgärtel in der Einwohnerversammlung ausdrücklich klar. Dennoch – und das wird eben das Besondere an diesem Projekt – werden die Schüler beider Schulen in bestimmten Bereichen gemeinsamen Unterricht absolvieren können. Im Sport zum Beispiel, auch bei Kunst oder Musik gibt es entsprechende Möglichkeiten. Und wer weiß, vielleicht können sich beide Schulen ja im Falle von Lehrer-Ausfällen auch gegenseitig unterstützen?

Wie notwendig der Neubau einer Grundschule ist, unterstrich dann auch noch einmal Liegaus Ortsvorsteher Gabor Kühnapfel, der ja für die SPD auch im Stadtrat sitzt. „Ein Kind im Rollstuhl kann im fast 120 Jahre alten Schulgebäude nicht unterrichtet werden, und das Lehrerzimmer unterm Dach ist eher eine Hornzsche, um es mal sächsisch auszudrücken …“ Liegau werde langfristig weiter wachsen, die Kita ist schon jetzt übervoll, die Liste der Voranmeldungen zeigt, dass das auch weiterhin so bleibt. „Da würde es schon wirklich helfen, wenn die Hortkinder künftig in neuen Räumen der neuen Schule betreut werden könnten“, so Kühnapfel.

Aber auch inhaltlich ist das Ganze ein wichtiger Schritt, findet zum Beispiel CDU-Fraktionssprecher Andreas Känner. Er ist ja bekanntlich stellvertretender Schulleiter am Radeberger Gymnasium und ist begeistert: „Es ist eine wunderbare Chance, ein solch besonderes pädagogisches Konzept zu entwickeln und weiterzutragen!“

Und so blieb Martin Wallmann am Ende nicht allein mit seinem Applaus. Auch die Stadträte ließen sich anstecken. Es war eben wirklich ein besonderer Beschluss. Ein durchaus historischer …