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Die Kunst des Schlichtens: Radebergs Friedensrichter Jens Schuster zieht Bilanz

Seit einem Jahr ist Jens Schuster in Radeberg als Friedensrichter tätig. Wie eine Schlichtung abläuft und wie er auf sein Amt blickt. Eine Bilanz.

Von Rainer Könen
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Radebergs Friedensrichter Jens Schuster zieht eine gemischte Bilanz: Die Arbeit macht ihm Spaß, doch zu den Sprechstunden kommt meist niemand.
Radebergs Friedensrichter Jens Schuster zieht eine gemischte Bilanz: Die Arbeit macht ihm Spaß, doch zu den Sprechstunden kommt meist niemand. © Marion Doering

Radeberg. "Mit meinem Nachbarn kann man nicht vernünftig reden." Ein Satz, den Jens Schuster im jetzt bald abgelaufenen Jahr gelegentlich zu hören bekam. Schuster ist ehrenamtlicher Friedensrichter in der Stadt Radeberg.

Bei ihm melden sich Menschen aus Radeberg und umliegenden Ortsteilen, die mit ihren Nachbarn im Clinch liegen, oft schon jahrelang. Etwa, weil Äste vom Baum nebenan an der Grundstücksgrenze immer höher wachsen oder die Einfahrt zugeparkt ist.

Ist es einem irgendwann einmal genug, kann man sich an die örtliche Schiedsstelle wenden und einen Antrag auf Eröffnung eines Schiedsverfahrens stellen - dann wird der Antragsgegner vom Friedensrichter zum Schlichtungsgespräch eingeladen.

Die Kosten für den Antragsteller: Je nachdem wie komplex der Fall ist, zwischen zehn und 50 Euro. Schuster lädt die Konfliktparteien anschließend zu einem gemeinsamen Termin ins Rathaus ein. Erscheinen ist Pflicht. Wer nicht kommt, riskiert ein Ordnungsgeld. Bei der Verhandlung – Dauer zwischen 60 und 90 Minuten – hält sich der Friedensrichter zurück. Das Ziel: Dass die Streitparteien miteinander in Kontakt und nach Möglichkeit selbst zu einer Einigung kommen.

In Gesprächen mit den Kontrahenten gilt es auszuloten, ob und wie eine Einigung erreicht werden kann. 70 Prozent der Streitparteien sind auf Ausgleich bedacht, einigen sich. In Gesprächen, die festgefahren sind, kann Schuster auf das setzen, was ihm in seinem Beruf als Schulreferent hilft, um Menschen wieder zueinander zu führen. Menschenführung, Mediation und Streitschlichtung. Im Friedensrichter-Amt sind ihm diese Fähigkeiten bisher zugutegekommen.

Gelingt das, ist seine Arbeit getan. Solche Fälle hatte Radebergs neuer Friedensrichter - er ist seit Anfang dieses Jahres im Amt – einige.

In die wöchentliche Sprechstunde kam fast niemand

Die Bilanz nach einem Jahr als Friedensrichter fällt für Jens Schuster dennoch ernüchternd aus. "In der wöchentlichen Sprechstunde, die ich montags angeboten habe, war ich die meiste Zeit alleine. Kam einfach niemand."

Im neuen Jahr wird Schuster diese Sprechstunden im Rathaus deshalb vorerst nicht mehr anbieten. Wer mit ihm Kontakt aufnehmen will, kann das per E-Mail an [email protected] oder per Telefon unter 01515 536 94 48 oder 0351 55 36 94 48 tun.

Schuster beschreibt, dass er zu Beginn dieser ehrenamtlichen Tätigkeit die Erwartung gehabt habe, dass man ihn bei Streitfällen häufiger kontaktieren werde. Ein Irrtum. Woran das liegt, könne er nur vermuten.

Jens Schusters Motivation: sich gesellschaftlich engagieren

Möglicherweise habe es sich in Radeberg und Umgebung noch nicht herumgesprochen, dass die Schiedsstelle der Stadtverwaltung wieder besetzt sei. Bevor er dort anfing, sei die Stelle fast ein ganzes Jahr unbesetzt gewesen. Künftig, so seine Idee, "werde ich vielleicht bei öffentlichen Terminen darauf hinweisen, dass ich hier der Friedensrichter bin, und dass man mich bei Nachbarschaftsstreitigkeiten aufsuchen kann", so Jens Schuster, der mit seiner Familie in Radeberg lebt.

Schuster, der in der Dresdner Schulverwaltung arbeitet, hatte sich seinerzeit für diese ehrenamtliche Tätigkeit beworben, um sich "gesellschaftlich mehr zu engagieren". Er habe einen Beitrag für den Zusammenhalt in der Stadt leisten wollen, in der er lebt.

In der Streitschlichtung ist Sachsen Spitzenreiter

Rund 300 Schiedsstellen gibt es in Sachsen - sie führten 2019 laut Statistik 363 Schlichtungsverfahren durch, das sind 33 weniger als 2018. Die Tendenz ist also rückläufig. Neuere Zahlen liegen nicht vor.

Die Bereitschaft zu einer einvernehmlichen Lösung ist dabei offenbar regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. 2020 konnten in Rheinland-Pfalz nur 35 Prozent der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten mithilfe einer Schiedsperson gelöst werden. In Sachsen lag der Anteil hingegen bei 68 Prozent, so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Seltener haben es Schiedsleute mit Strafsachen wie Beleidigungen und Betrug zu tun, hier ist der Anteil der einvernehmlich geregelten Fälle deutlich geringer.

Nach der Statistik des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen waren 2020 rund 4.600 Schiedsleute in mehr als 12.700 Schlichtungsverfahren aktiv. Knapp die Hälfte konnte durch einen Vergleich beendet werden.

Größer ist die Zahl der sogenannten Tür-und-Angel-Fälle. Rund 17.500 Mal wurden Schiedsleute wegen Streitigkeiten angerufen, ohne dass danach ein Antrag zu einem formellen Verfahren gestellt wurde.

Hoffnung auf einen Stellvertreter aus einer anderen Generation

Jens Schuster ist in Radeberg erst der dritte Friedensrichter, der seit der Wende diese Position ausfüllt. Und er ist mit seinen 36 Lebensjahren der bisher jüngste. Als Nachteil betrachtet er das bisher nicht. Im Gegenteil. "So bin ich näher an den jüngeren Generationen dran, kann deren Probleme verstehen."

Allerdings: Vertreter seiner Generation trifft er in seinen Sprechstunden kaum, dort dominiert zumeist die 50-plus-Generation. Wenn es klappt, könnte Schuster im kommenden Jahr Verstärkung bekommen. In der Stadtverwaltung soll demnächst die Stelle des stellvertretenden Friedensrichters ausgeschrieben werden. "Wäre toll, wenn sich jemand fände", sagt er. Zum einen, weil der oder diejenige ihn vertreten könne, wenn er mal in Urlaub sei. Auf der anderen Seite wäre es nicht schlecht, wenn sein Stellvertreter einer anderen Generation angehörte.

Zwei Friedensrichter unterschiedlichen Alters, das sei doch eine gute Kombination, um Streitfälle aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Wer sich eine solche Stellvertreter-Tätigkeit vorstellen könne, der könne sich gerne bei ihm melden.

Fünf Jahre dauert seine Amtszeit als Friedensrichter. Bisher habe ihm diese Tätigkeit "viel Spaß bereitet", so Jens Schuster. Ob er sich nach den fünf Jahren seiner Amtszeit erneut zur Wahl stellen wird, das lässt der gebürtige Dresdner offen. Müsse man sehen, wie sich die Dinge entwickelten. In der Stadt und auch bei ihm persönlich.