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Wie Michael Richter beim Radeberger Unternehmen Paso Doble eine zweite Heimat gefunden hat

Michael Richter arbeitet beim Radeberger Inklusionsunternehmen Paso Doble. Was das mit Drogen zu tun hat, was er dort macht - und warum der Betrieb wichtig für die Stadt ist.

Von Verena Belzer
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Michael Richter leidet an einer drogeninduzierten Psychose - doch beim Inklusionsunternehmen Paso Doble hat er seinen Platz gefunden.
Michael Richter leidet an einer drogeninduzierten Psychose - doch beim Inklusionsunternehmen Paso Doble hat er seinen Platz gefunden. © René Meinig

Radeberg. Wenn es nachts zentimeterweise schneit wie Anfang der Woche, dann beginnt Michael Richters Arbeitstag um 4 Uhr morgens. Dann sitzt er in seinem Räumfahrzeug und befreit das Radeberger Epilepsiezentrum vom Schnee. Dick eingepackt in eine warme Jacke, die orangefarbene Mütze auf dem Kopf.

Michael Richter arbeitet bei Paso Doble, dem Radeberger Inklusionsunternehmen, das von Renovierungsarbeiten bis zum Transportservice diverse Dienstleistungen anbietet. Richter, 39 Jahre alt und aus Löbau stammend, ist unter anderem für Fahrdienste zuständig - und eben auch fürs Schneeschippen.

Paso Doble hat einst klein angefangen: Aus zwei Mitarbeitern in einem Café in der Stolpener Straße im Jahr 2006 sind heute knapp 80 Beschäftigte geworden. 40 Prozent mit Einschränkung, 60 Prozent ohne. Viele Dienstleistungen werden direkt für das Epilepsiezentrum erledigt, aber bei Weitem nicht alle. Das Unternehmen hat etliche andere Kunden.

Teamarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderung

Sandra Stöhr, Geschäftsführerin von Paso Doble und des Epilepsiezentrums, weist auch darauf hin, dass sich das Unternehmen am Markt behaupten muss: "Inklusionsunternehmen haben in unserer Gesellschaft eine Art Brückenfunktion. Sie verpflichten sich, dass bis zu 50 Prozent der eigenen Angestellten Menschen mit Behinderung sind", erklärt die Chefin. "Das gibt den notwendigen Raum, sodass hier echte Teamarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen entstehen kann. Menschen mit Behinderungen haben also ein richtiges sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, einen Arbeitsvertrag und zugleich finden sie Arbeitsbedingungen, die ihren Fähigkeiten gerecht werden. Letztlich agieren die Inklusionsunternehmen aber am Markt und müssen sich dort auch wirtschaftlich behaupten."

Und auch Radeberg erkennt den großen Wert für die Stadt an: "Das Epilepsiezentrum ist für Radeberg wirtschaftlich enorm wichtig. Schließlich handelt es sich um einen der größten Arbeitergeber hier vor Ort und zudem verfügen die verschiedenen Einrichtungen über gewisse Alleinstellungsmerkmale, die die Stadt regelmäßig auch über ihre Grenzen hinaus positiv in den Fokus rücken", sagt Oberbürgermeister Frank Höhme (parteilos).

Inklusion werde in Radeberg bereits seit vielen Jahren gelebt. "Nicht nur durch den Standort in Liegau, sondern auch die barrierefreien Wohnanlagen in unserer Innenstadt oder eben das Unternehmen Paso Doble haben mit Präsenz und Engagement dazu beigetragen und tun dies noch immer."

Mit den halluzinogenen Pilzen kam die Psychose

Und Michael Richter? Der hat in seiner Heimat Löbau nach der Schule eine Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten absolviert - doch dann kam die Psychose. Ein Klinikaufenthalt folgte. Was war passiert? "Ich habe in der siebten Klasse angefangen zu kiffen", erzählt er. "Auf einer Klassenreise nach Erfurt mit meinen Kumpels." Später konsumierte er auch halluzinogene Pilze. "Davon hat es mich irgendwann entschärft. Ich habe Paranoia und Angstzustände bekommen."

Die Ärzte im Krankenhaus konnten dem jungen Mann gut helfen - er nimmt seitdem Medikamente und hat seine Krankheit die meiste Zeit im Griff. Dennoch hat er eine 30-prozentige Behinderung davongetragen, die man ihm nicht ansieht. Wortgewandt und zugewandt erzählt er seine Geschichte, er hat sich mit ihr arrangiert. "Man wächst hinein", nennt er das. Und beruflich hat er sich neu orientiert.

Bei Paso Doble wird Michael Richter nach Tarif bezahlt

2011 ist er nach einiger Zeit des erfolglosen Suchens nach einem passenden Job bei Paso Doble gelandet - hier hat er einen ganz regulären Arbeitsvertrag, ist für 38,5 Stunden pro Woche beschäftigt und erhält Gehalt nach einem Branchentarif. Paso Doble ist keine Behindertenwerkstatt. "Ich habe früher Hartz IV bekommen und dann aufgestockt, heute stehe ich finanziell auf eigenen Beinen und bin nicht mehr auf Hilfe vom Amt angewiesen."

Er hat eine Wohnung im nahen Wachau und läuft meistens zu Fuß auf Arbeit ins Epilepsiezentrum. Nicht, weil er keinen Führerschein oder kein Auto hätte. "So eine kurze Strecke, das ist nicht gut für den Motor."

Paso Doble wirbt offensiv mit der Einschränkung seiner Mitarbeiter - hier posiert Michael Richter in einem gelben Superman-Anzug. Auf den Transportern, die im ganzen Stadtgebiet unterwegs sind, steht: "Sprung in der Schüssel?"
Paso Doble wirbt offensiv mit der Einschränkung seiner Mitarbeiter - hier posiert Michael Richter in einem gelben Superman-Anzug. Auf den Transportern, die im ganzen Stadtgebiet unterwegs sind, steht: "Sprung in der Schüssel?" © paso doble

Spätestens seit er in einem gelben Supermann-Anzug mit Umhang und passender Augenbinde von einem der Paso-Doble-Transporter herunterlächelt, auf dem der Spruch "Sprung in der Schüssel?" zu lesen ist, ist er nicht nur auf dem Gelände des Epilepsiezentrums bekannt wie ein bunter Hund.

"Das Paso Doble fällt ja im Radeberger Raum vor allem durch die Beklebung der Autos auf. Die Sprüche sind markant, sie bleiben im Kopf", sagt auch Geschäftsführerin Sandra Stöhr. "Wer schon einmal einen Umzug von uns organisieren lassen hat, der weiß, dass es bei der Arbeit gar nicht mehr um Behinderungen geht. Die Leute machen ihre Arbeit, das steht im Vordergrund."

Im Alltag spielt seine Behinderung überhaupt keine Rolle

Für Michael Richter ist das Unternehmen inzwischen zu einer zweiten Familie geworden, er fühlt sich pudelwohl. Die Arbeit macht ihm Spaß - nur ab und an plagen ihn noch depressive Verstimmungen, dann muss er ein wenig runterfahren. "Wenn es zu viel wird, muss ich eine Pause machen", sagt er. "Und reden, das hilft." In der Therapie habe er gute Verhaltensweisen gelernt, wenn die Gedanken mal wieder anfangen zu kreiseln. Und spazieren, das tue ihm auch gut. "Da bekomme ich den Kopf frei."

Michael Richter berichtet offen und ehrlich von seiner Geschichte - erst kürzlich war eine neunte Klasse des Kamenzer Lessing-Gymnasiums zu Besuch im Radeberger Epilepsiezentrum.
Michael Richter berichtet offen und ehrlich von seiner Geschichte - erst kürzlich war eine neunte Klasse des Kamenzer Lessing-Gymnasiums zu Besuch im Radeberger Epilepsiezentrum. © René Meinig

Im Alltag spielt seine Behinderung so gut wie keine Rolle. Er verrichtet seine Arbeit und ist im Betriebsrat für die Kollegen engagiert. In seiner Freizeit hört er mit seinen Kumpels Musik oder spielt Fifa an einer Konsole.

Und Weihnachten? "Ich feiere mit meiner Familie", sagt er. Besonders freut er sich auf seine beiden Neffen. "Mit ihnen verbringe ich auch viel Zeit, da bringe ich dann immer Frühstück am Wochenende mit, wenn ich hinfahre."

Ob er manchmal mit seiner Biografie hadere? "Anfangs war es schwer", gibt Michael Richter zu. "Aber ich habe mich gut hineingelebt. Es ist wohl Schicksal."