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Wie Botox Patienten in Kleinwachau hilft

Im Epilepsiezentrum Kleinwachau wird Botox eingesetzt. Es kann bei spastischer Lähmung helfen, ebenso wie bei Spitzfußleiden, Schiefhals und Migräne.

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Dr. med. Frank Brandhoff, der Leiter der Erwachsenen-Station des Epilepsiezentrums Kleinwachau
und behandelnder Arzt in der Botulinumtoxin-Ambulanz kennt sich aus mit dem medizinischen Einsatz des Nervengifts.
Dr. med. Frank Brandhoff, der Leiter der Erwachsenen-Station des Epilepsiezentrums Kleinwachau und behandelnder Arzt in der Botulinumtoxin-Ambulanz kennt sich aus mit dem medizinischen Einsatz des Nervengifts. © Foto: Kairospress

Wachau: Botox, Xeomin oder Dysport - so heißen die Präparate, die Botulinumtoxin enthalten. Botulinumtoxin, oder Botox, dürfte den meisten Rödertalern eher von den Stars und Sternchen bekannt sein. In Hochglanzmagazinen zeigen sie ihre straffe, faltenfreie Stirn. Doch Botulinumtoxin kann mehr, wie Dr. med. Frank Brandhoff, unter anderem Facharzt der Botulinumtoxin-Ambulanz am Epilepsiezentrum Kleinwachau, weiß. Er sieht Botox in der Schönheitsbranche sowieso kritisch und begibt sich selbst nicht auf das Feld der ästhetischen Behandlung.

Der Arzt setzt das stärkste Nervengift, welches es auf der Erde gibt, stattdessen zur Minderung von Leiden ein. Im Gespräch mit Sächsische.de erklärt er die einzelnen Einsatzgebiete.

Herr Dr. Brandhoff, wie funktioniert Botulinumtoxin eigentlich?

Frank Brandhoff: Unter dem Namen Botox kam Botulinumtoxin in den 80er-Jahren erstmals zur Zulassung und Botox ist immer noch die umgangssprachliche Bezeichnung für Botulinumtoxin. Dabei handelt es sich um ein sehr starkes Nervengift. Das bedeutet: Botulinumtoxin lähmt die Muskulatur, indem es in den Muskelnerven wirkt. Botulinumtoxin wirkt an den Nervenendungen am Muskel. Es dockt dort an, bewirkt, dass der Botenstoff an die Muskeln, sich zu bewegen, nicht mehr abgegeben werden kann.

Das ist übrigens unwiederbringlich. Die Nervenendigungen sind stillgelegt. Allerdings werden diese nach zwei bis drei Monaten wieder vom Körper vollständig erneuert. Und weil es nicht im Muskel, sondern in den Nerven wirkt, kann man mit Botulinumtoxin nicht nur die Muskelaktivität verändern, sondern auch zum Beispiel die Aktivität von Speicheldrüsen oder Schweißdrüsen reduzieren. Diese Drüsen werden von der gleichen Nervenart gesteuert wie die Muskeln, was wir uns zunutze machen, wenn das medizinisch sinnvoll ist.

Was ist Botulinumtoxin und wie wurde es entdeckt?

Dr. Justinus Kerner hatte es vor etwa 200 Jahren vor allem mit Lebensmittelvergiftungen zu tun. Kinder, Kranke und Ältere konnten an Brechdurchfall sogar sterben. Ihm fiel damals auf, dass ein Teil der Kranken durch die Vergiftung Lähmungen hatte. In diesem Fall starben sogar die Jungen und Kräftigen seiner Patienten. 1822 berichtete er, dass nach dem Verzehr eines gefüllten Saumagens 13 Menschen krank wurden und sechs von ihnen starben. Alle hatten Lähmungen der Augenlider und dann auch Lähmungen an Armen und Beinen, bis fast die Hälfte von ihnen starben. Dr. Kerner vermutete ein Gift und nannte es "Fettgift". Bakterien waren damals noch nicht bekannt.

1896 konnte der belgische Arzt Emile Pierre Marie van Ermengem erstmals in einer Wurst, an der sich wieder eine ganze Gruppe tödlich vergiftet hatte, ein Bakterium nachweisen und nannte es Lateinisch Bacillus butulinus, zu Deutsch Wurst-Bakterium. Es sondert einen Stoff ab, eine komplexe Eiweißstruktur, die wir heute als Botulinumtoxin kennen. Es lähmt jeden Muskel. Bei der Vergiftung im ganzen Körper bis zur Atemlähmung. Medizinisch lähmt es jeden Muskel, in den man es spritzt. Isoliert wurde Botulinumtoxin erstmals 1946 und medizinisch zum Einsatz kam es in den USA 1989 zuerst bei der Behandlung schielender Kinder. In diesem Bereich bin ich aber nicht zuständig.

Wie setzen Sie Botulinumtoxin bei der Behandlung ein?

Die Hauptanwendung ist bei uns die spastische Lähmung, zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder einer anderen Verletzung des Gehirns. Bessern können wir in diesem Fall die Spastik, das heißt, die ständige Daueranspannung der gelähmten Muskulatur. Diese spastische Daueranspannung führt zu ungünstigen Haltungen von Arm oder Bein, zu Schmerzen in der Muskulatur und oft auch zu Dauerschmerzen in den betroffenen Gelenken. Dort spritzen wir Botulinumtoxin in die Muskeln und die Schmerzen lassen nach, der Muskel entspannt sich, der Fuß wird locker, die ständig spastisch geschlossene Hand geht wieder auf. Ich kann den Muskeln zwar keine gesunde Aktivität zurückgeben, aber ich kann Schmerzen lindern und Fehlstellungen bessern, das Laufen trotz spastischer Lähmung erleichtern.

Ich setze Botulinumtoxin zudem bei Dystonie ein. Dystonien sind unwillkürliche Muskelbewegungen wie zum Beispiel beim Schreibkrampf oder dem bei Profimusikern gefürchteten Musikerkrampf oder beim sogenannten Schiefhals. Sehr gute Erfahrungen haben wir bei der Behandlung des Schiefhalses mit Kopfzittern gemacht. Diese Erkrankungen entstehen durch fehlerhafte Verknüpfungen der Nervenzellen im Gehirn, wodurch es zu dieser krampfartigen Fehlsteuerung der Muskulatur kommen kann. Ebenso bei der halbseitigen Gesichtsspastik und bei Gesichts-Dystonien hilft Botulinumtoxin sehr gut. Dort kann mit Botulinumtoxin, gespritzt im Nasenmuskel, Augenmuskel und Mundmuskel große Linderung entstehen.

Erfolgreich sind bei mir auch Behandlungen von Parkinsonerkrankten, deren Speichelfluss nicht mehr so gut kontrollierbar ist. Der Mensch produziert bis zu zwei Liter Speichel am Tag, und das kann schon sehr unangenehm sein, wenn man als an Parkinson Erkrankter nicht in der Lage ist, den Speichel auch hinunterzuschlucken. Botox spritzt man dann in die Speicheldrüse, die sich vor dem Ohr befindet, oft mit sehr gutem Erfolg.

Und auch bei Migräne hilft Botox. Das war eine Zufallsentdeckung. Menschen mit Migräne, die sich Botox gegen Falten spritzen ließen, berichteten, dass ihre Migräne zurückgegangen war. Wie genau Botox hier hilft, weiß man noch nicht vollständig, aber durch das Spritzen in Muskelbereiche am Kopf und den Schultern kann Migräne spürbar gemildert werden. Und dann können sich auch Menschen, die übermäßig unter den Achseln schwitzen, einer Botoxbehandlung unterziehen.

Der Vorteil ist: Botulinumtoxin hält etwa zwei bis drei Monate. Ist man unzufrieden mit dem Ergebnis, wartet man die Zeit einfach ab und nimmt die Behandlung nicht wieder auf. Doch die allermeisten meiner PatientInnen sind nach drei Monaten wieder da.

Was kritisieren Sie an der Botoxbehandlung in der Schönheitsindustrie?

Der Umgang mit dem persönlichen Altern gehört zu den Herausforderungen, denen sich jeder von uns irgendwann stellen muss. Das Wegspritzen von Falten gehört meiner Meinung nach nicht zu einem reifen Umgang damit. In der Zeit der Corona-Pandemie mit all den Online-Meetings hat sich nicht nur in Deutschland die Nachfrage nach Botulinumtoxin in der ästhetischen Medizin vervielfacht.

An sich habe ich nichts dagegen. Allerdings konnte gezeigt werden, dass Menschen mit durch Botulinumtoxin gelähmter Stirn die Gefühle anderer Menschen nicht mehr so gut lesen und verstehen konnten. Das Lesen von Gefühlen der Anderen geschieht offenbar dadurch, dass wir die unbewusste Mimik unseres Gegenübers unbewusst nachmachen und erst auf diese Art auch nachfühlen können, was unser Gegenüber gerade fühlt. Mit einer gelähmten Stirn geht das deutlich schlechter. Das fände ich schade.

Die medizinischen Behandlungen mit Botulinumtoxin werden überwiegend in Absprache mit dem Arzt von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Die Fragen stellte Siri Rokosch.