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Radeberger Stadtrat: Gender-Debatte kocht wieder auf

Seit Ende Januar wird in Radeberg nicht mehr gegendert. Nun kam das Thema erneut im Stadtrat auf - weil eine Einwohnerin die Entscheidung kritisierte. Was der Sächsische Städte- und Gemeindetag dazu sagt.

Von Verena Belzer
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Ende Januar hat der Radeberger Stadtrat mehrheitlich beschlossen, die weibliche Form aus der städtischen Hauptsatzung zu streichen.
Ende Januar hat der Radeberger Stadtrat mehrheitlich beschlossen, die weibliche Form aus der städtischen Hauptsatzung zu streichen. © Verena Belzer/SZ

Radeberg. In gewisser Hinsicht war die jüngste Stadtratssitzung ein Abziehbild der Sitzung Ende Januar. Damals hatte die CDU-Stadträtin Ingrid Petzold sich darüber beschwert, dass die Stadtverwaltung in der neuen Hauptsatzung künftig auf die weibliche Form verzichten wollte. Statt "Einwohnerin/Einwohner und "Stadträtin/Stadtrat" sollte nur noch die männliche Form genannt werden. "Ich bin seit 30 Jahren politisch tätig und kämpfe seitdem für Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern", hatte Petzold gesagt. Sie könne die neue Version mit der rein männlichen Form nicht akzeptieren.

Die Reaktion aus Teilen des Gremiums: Lachen, Stirnrunzeln und Versuche, die ganze Debatte beenden. Mit 14 zu 9 Stimmen votierte der Rat dann nach ausgiebiger Diskussion für die rein männliche Version - versehen mit der Vorbemerkung, die sie gelte für alle Geschlechter.

Radeberger Einwohnerin bemängelt fehlenden Respekt

Nun kam der Stadtrat erneut zusammen - und sah sich wieder mit dem Thema konfrontiert. Eine Radebergerin hatte die Einwohnerfragestunde dazu genutzt, ihre Kritik zu äußern. Die Reaktion fiel dann in Teilen genau so aus, wie sie schon im Januar ausgefallen war: Lachen aus der AfD-Fraktion - was auch unmittelbar von der Einwohnerin aufgegriffen wurde: Daran könne man erkennen, wie respektlos an das Thema herangegangen werde. "Einfach 50 Prozent der Einwohner nicht mehr zu nennen, das hat etwas mit mangelndem Respekt zu tun", sagte die Radebergerin.

Bereits in einem Leserbrief hatte sie ihre Meinung kundgetan. "Wir sind keineswegs Befürworterinnen von Gendersternchen, verbogener Sprache oder ähnlichem", hatte sie geschrieben. "Aber die Hälfte der Bevölkerung einfach gar nicht mehr zu nennen, empfinden wir als vollkommen falsches und rückwärts gewandtes Signal." Sie fühle sich "um viele Jahrzehnte zurückversetzt".

Die einzige nachvollziehbare Aussage für die Änderung der Satzung sei die Lesbarkeit gewesen, "die hier aber weder durch Sternchen noch Großschreibung von Buchstaben mitten im Wort gestört wurde". Von der Stadtverwaltung forderte sie eine Erklärung dafür, warum man die Hauptsatzung geändert habe.

Keine Vorgaben von Seiten des Städte- und Gemeindetags

Oberbürgermeister Frank Höhme (parteilos) verwies auf Vorgaben des Sächsischen Städte- und Gemeindetags (SSG). Dort allerdings gibt es solche Vorgaben nicht. Auf Nachfrage erklärt Micha Woitschek, der Geschäftsführer, dass anfragenden Kommunen geraten werde, sich nach den Hinweisen des Rats für deutsche Rechtschreibung zu richten.

"Dieser hat zuletzt vor knapp zwei Jahren seine Auffassung bekräftigt, bei der Schreibweise allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache zu begegnen und sie sensibel anzusprechen." Abgeraten habe der Rechtschreibrat indessen von Schreibweisen mit Gender-Stern, Gender-Gap, Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen, so Woitschek weiter. Diese Varianten jedoch wurden in der alten Hauptsatzung nicht verwendet - stattdessen wurden die weibliche und männliche Form durch einen Schrägstrich getrennt.

Woitschek erläutert weiter, dass der SSG in der Tat eine Musterhauptsatzung herausgegeben hat, die das generische Maskulin verwendet, um die Lesbarkeit zu erhöhen. "In den Erläuterungen unseres Musters wird zur sprachlichen Gleichstellung die Empfehlung ausgesprochen, bei der Übernahme in die Praxis diejenige Form anzuwenden, die der tatsächlichen Besetzung oder der jeweils handelnden Person entspricht", sagt Woitschek. "Inwieweit dieser Empfehlung gefolgt wird, entscheidet jede Kommune im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung selbst."

Mit den Aussagen des SSG konfrontiert, räumt OB Höhme einen Fehler ein. "Sofern das Wort 'Vorgabe' gefallen ist, war diese Aussage in der Tat nicht korrekt", schreibt sein Pressesprecher Michael Weber. "Bei der Überarbeitung der Hauptsatzung wurden die verschiedenen Empfehlungen seitens des SSG beziehungsweise deren Mustersatzung berücksichtigt und aufgenommen. Die dabei gegebenen Handlungsspielräume wurden diskutiert und schließlich sowohl im Ältestenrat, im Ausschuss als auch durch den Stadtrat in bekannter Form beschlossen." Ergänzend sei im Vorfeld seitens der Verwaltung bei der Kommunalaufsicht angefragt worden, "auch hier gab es gegen die gewählte Form der Ansprache keine Einwände".

Dass keine Behörde Einwände vorgebracht hat, könnte indes schlicht daran liegen, dass es eine politische Entscheidung ist, ob gegendert wird - oder eben nicht. Es gibt keine einheitliche, verbindliche Regelung

Grüne/SPD-Fraktionschef fremdschämt sich für Gremium

Der Radeberger Stadtrat hat in seiner Sitzung im Januar seine eigene Entscheidung getroffen - gegen die Stimmen unter anderem von Andreas Känner und Ingrid Petzold (beide CDU) und der Grüne/SPD-Fraktion. Deren Fraktionsvorsitzender Ulrich Hensel kann nachvollziehen, dass Radebergerinnen ob des Votums empört seien. "Ich bin auch darauf angesprochen worden", berichtet er. "Was diese Angelegenheit angeht, fremdschäme ich mich für den Stadtrat."

Freie-Wähler-Fraktionschef Detlev Dauphin, der die Diskussion um die weibliche Form im Januar noch als "korinthenkackerhaft" bezeichnet hatte, wandte sich in der jüngsten Sitzung an die Einwohnerin. Die Entscheidung sei "nicht böse gemeint" gewesen. Keinesfalls handle es sich um eine Missachtung der weiblichen Bevölkerung. Im Ältestenrat sei darüber debattiert und anschließend die Empfehlung ausgesprochen worden, der Hauptsatzung die Vorbemerkung voranzustellen. Es sei auch zu kompliziert gewesen, wieder jede einzelne männliche Form im Text durch eine geschlechtersensible Form zu ersetzen.