Wohnen auf zwölf Quadratmetern in der Dresdner Heide

Radeberg. Sommerferien. Raus, weg, nichts mehr hören von der Pandemie. Trotz Delta-Variante, trotz vieler Ferienziele, die mittlerweile zu Hochinzidenzgebieten erklärt wurden. Ja, Urlaub sei schon wichtig, findet Romeo Kowalke. Einmal im Jahr aus seinem gewohnten Umfeld herauszukommen, das sollte man schon, findet der 62-Jährige. Ein Ortswechsel bringe ja neue Perspektiven, neue Blickwinkel. Vor einigen Jahren fuhr er hoch an die Ostsee. Mit seinem Pferd. Ein Ross braucht halt auch mal eine andere Umgebung. „Am Strand zu reiten, das war Freiheit pur“, schwärmt er noch heute von diesem Trip. Auf dem Rückweg legte er einen Zwischenstopp in Berlin ein. Einer, der für einiges Aufsehen sorgte.
Aber braucht es unbedingt einen Urlaub, wenn man so lebt wie er? Ein Dienstagvormittag im Juli. Noch ist Zeit, bis seine Spätschicht im Ottendorfer Postzentrum beginnt. Pferde wiehern vom benachbarten Reiterhof, ein kleines Bächlein plätschert in den Teich, der an sein Domizil grenzt. Manchmal springe er da rein, erzählt er. Das Heim von Romeo Kowalke, es ist knapp zwölf Quadratmeter groß, ein stationärer Wohnwagen, verkleidet mit zahlreichen Holzscheiben. „Ich arbeite gerne mit Holz, ist ein guter Baustoff“, erklärt er. Kowalke führt an der Hofewiese ein etwas anderes Leben. Eines, das er so eigentlich nicht geplant hatte.
Drei Ehen hielten auf Dauer nicht
Eigentlich sollte alles bürgerlicher sein. Drei Ehen hat er hinter sich, hat drei Kinder, zuletzt lebte er in Weixdorf mit seiner Frau in einer Doppelhaushälfte. „Fand ich in Ordnung, war nett dort zu wohnen.“ Doch die Beziehung hielt nicht. Eine Weile lebte er im Wohnwagen auf dem gemeinsamen Grundstück, was irgendwann nicht mehr ging. Wie gut, dass er ein Mensch ist, der es draußen in der Natur gut aushält.
In der Zeit half er ab und an in einem Reiterhof in der Heide. Neue Erfahrungen waren das. Mit Pferden. Da wurde sein in den vergangenen Jahrzehnten recht lebendiges Dasein zu einem ländlichen. Ruhig. Zeit zum Nachdenken. „Ich glaube, das musste einfach sein“. Ein aufregendes Leben hatte er, beziehungstechnisch gesehen. Eines, das Spuren hinterlassen hat. Es gibt ja solche Menschen, deren Wege mitunter so verworren, so verschlängelt sind, dass man sich fragt, wie das zu entwirren ist. Und deren Leben dann an einen Punkt gerät, wo man am Stoppschild nicht vorbeikommt, aber auch nicht vorbeikommen will.
Seit 2011 lebt Kowalke in der Dresdner Heide. Für manche ist er ein Lebenskünstler, für andere ein Freigeist. Aber weder das eine noch das andere will er für sich beanspruchen. Es sind die Pferde, die ihn erden. Das findet er jedenfalls. Sein 14-jähriger Wallach Apollo sei seine Berufung, sagt er. Ein Pferd als Berufung? Manch einer schaut da fragend. Ist ihm aber egal. Die Hofewiese, sein kleines Heim, dort fühlt er sich angekommen. Das war in den vergangenen Jahrzehnten oft nicht so.
Zunächst Ausbildung bei der Bahn
Zu DDR-Zeit machte er eine Ausbildung zum Schienentriebfahrzeugschlosser, wie das im Reichsbahndeutsch hieß, ging dann zur Post, wo er noch heute arbeitet. Er heiratete, ließ sich scheiden. Einmal, zweimal und auch ein drittes Mal. Ebenso oft wechselte er die Wohnorte. Oft war es unruhig. Rückblickend findet er, dass „vieles einfach sein musste, sonst wäre ich wohl nicht hier“. Er schaut sich um, auf seiner kleinen mit hölzernem Nippes ausgestatteten Veranda. Ein kleines Urlaubsdomizil.
Wenn man sich mit ihm unterhält, klar, kommt man auch um das Thema Corona nicht herum. So, wie die Menschen auf der Welt lebten, dieses ständige "immer mehr haben wollen", das gehe nicht so weiter, findet er. Jetzt wehre sich der Planet, so seine Erklärung für das Virus. Hätte er während der letzten anderthalb Jahre mit dem vielen Lockdowns in einer Wohnung in der Stadt gelebt, „ich glaube, ich wäre verrückt geworden“, meint er. In der Zeit sei ihm wieder klar geworden, wie viel Freiheit sein Leben in der Heide doch hat.
Er erzählt von seinem Pferd, davon, wie oft er mit ihm in der Dresdner Heide unterwegs ist, gelegentlich geht es mit seinem Vierbeiner auch runter zur Elbe. Warum? So ein Ausflug tue beiden gut. In seinem Alter kommen nun häufiger die Gedanken an den nächsten Lebensabschnitt. Was bringt der Ruhestand? In zwei Jahren ist es so weit. Er hat eine sogenannte Löffelliste aufgestellt, da stehe all das, „was ich noch erleben will, bevor ich den Löffel abgebe“. Ganz oben ist ein besonderes Projekt.
Er will mit Apollo über die Alpen. Warum auch nicht. Apollo hat sicher nichts dagegen. Hatte er seinerzeit auch nicht, als Romeo Kowalke auf seinem Rücken Berlins Innenstadt erkundete. Brandenburger Tor, Check-Point-Charlie, Unter den Linden. Die beiden bekamen viel Aufmerksamkeit. Wenn man schon mal in der Bundeshauptstadt ist.
Wer ihn als Ruhe liebenden, naturverbundenen Menschen kennt, der fragt sich, ob das überhaupt zu ihm passt. Solche Extratouren. "Ach, geht schon", findet er. Er sei ja kein Einsiedler, kein Eremit. Ein bisschen Leben dürfe es schon sein. Dazu sei man ja auch auf der Erde.